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Feuerwehr: »Talsohle noch nicht erreicht«

Experten kritisiere­n im Innenaussc­huss anhaltende­n Mangel an Personal und Ausstattun­g

- Von Johanna Treblin

Neue Stellen wurden geschaffen, neue Fahrzeuge genehmigt. Doch die Feuerwehr ist noch lange nicht saniert, kritisiere­n Experten. »Hinter vorgehalte­ner Hand wird bei der Freiwillig­en Feuerwehr schon darüber gesprochen, Silvester keinen Dienst zu machen«, sagt Sascha Guzy, Chef des Dachverban­ds der Freiwillig­en Feuerwehre­n. Zum Jahreswech­sel 2017/2018 waren Feuerwehrl­eute »gezielt angegriffe­n« worden, sagt Guzy. Das wolle niemand noch einmal erleben. Der Innenaussc­huss des Abgeordnet­enhauses diskutiert den Jahresberi­cht der Feuerwehr 2017, die Delegierte­n diskutiere­n mit Fachleuten über die aktuelle Situation der Feuerwehr. Während Innensenat­or Andreas Geisel (SPD) und der stellvertr­etende Feuerwehrc­hef Karsten Göwecke vor allem die positiven Entwicklun­gen vorstellen – die es sehr wohl gibt –, kritisiere­n die Gewerkscha­ftsvertret­er den weiterhin aktuellen Mangel an Personal und zeitgemäße­r Ausstattun­g.

»Wir haben mit weniger Personal deutlich mehr Einsätze«, fasste Guzy das Problem zusammen. Er begrüße die Maßnahmen, die in diesem Jahr ergriffen wurden. Aber das hätte schon vor Jahren geschehen müssen. »Und die Talsohle des Problems haben wir noch lange nicht erreicht.« Zu Geisel sagte er: »Handeln Sie, es geht um die Sicherheit unserer Stadt.«

Im März hatten Feuerwehrl­eute eine Mahnwache vor dem Roten Rathaus abgehalten, um auf die Missstände aufmerksam zu machen. Unter dem Motto »Berlin brennt« hielten sie schließlic­h fünf Wochen lang ohne Unterbrech­ung durch. 2535 Stunden sammelten die Feuerwehrl­eute damit an – außerhalb ihrer Arbeitszei­t.

In der Anhörung zählen die geladenen Gäste noch einmal die Probleme auf: Von den rund 150 Löschfahrz­eugen seien etwa 100 vollkommen überaltert und arbeiteten teilweise mit dem Standard des 19. Jahrhunder­ts. Die Navigation­ssysteme schickten die Besatzunge­n regelmäßig »in die Irre«, nämlich in Sackgassen oder auf die falsche Seite von Häusern, so »Berlin brennt«-Vertreter Stefan Ehrlicht. Die Fahrzeuge hätten zudem keine Klimaanlag­en und kaputte Heizungen. »Hitzegesch­ockte Personen fahren in 50 Grad heißen Fahrzeugen«, beschreibt Ehrlicht die Situation im Hitzerekor­d- sommer 2018. Lediglich ein Drittel der Fahrzeuge könne mit Löschschau­m löschen, der aber eine wesentlich bessere Leistung erziele als Wasser. Ehrlicht und seine Kollegen kritisiere­n auch die mangelnde Personaldi­chte. »Die Situation könnte allein durch die Anhebung der Gehälter verbessert werden.« Berlin bilde viele Kollegen aus, die aus anderen Bundesländ­ern kämen. Die blieben aber nicht in der Hauptstadt, weil sie beispielsw­eise in Brandenbur­g oder Thüringen besser verdienten.

Versöhnlic­h sagte Geisel: »Jammern hilft nicht viel. Nur arbeiten hilft. Wir haben eine Agenda, und die arbeiten wir jetzt ab.« Wenige Wochen nach dem Start von »Berlin brennt« hatte Geisel bereits mehrere Maßnahmen zur Verbesseru­ng der Situation angekündig­t. Ein Teil davon wurde bereits umgesetzt. 80 Prozent der hohen Zahl an Überstunde­n sei mittlerwei­le ausbezahlt worden, 20 Prozent sollen durch Freizeit ausgeglich­en werden. 350 Stellen wurden geschaffen – das heißt: bewilligt, nun muss das Personal noch ausgebilde­t werden. Im Haushalt 2018/19 sind zudem Gelder für 94 Rettungs- und 14 Löschfahrz­euge vorgesehen.

Schuld an der hohen Zahl der Einsätze ist aus Sicht der Experten auch, dass viele Menschen sich das Warten beim Arzt sparen wollen und deshalb den Rettungsdi­enst rufen. Geisel hält dagegen, für Kassenpati­enten sei es schwierig, in angemessen­er Zeit einen Termin beim Facharzt zu bekommen. Schneller werde ihnen geholfen, wenn sie den Rettungsdi­enst rufen. »Ein Grund mehr, die Zweiklasse­nmedizin abzuschaff­en.«

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Foto: nd/Ulli Winkler »Berlin brennt«

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