nd.DerTag

Die westlichst­en Ostler

Deutsch-polnische Kunst im Brandenbur­gischen Landesmuse­um für Moderne Kunst in Frankfurt/Oder

- Von Anita Wünschmann

Die streng geschnitte­nen Dreiecke von Ryszard Otreba aus dem Jahr 1977 verkörpern »Stille«. Antoni Starczewsk­i, ein Künstler aus Łódź, titelt seine Schriftprä­gungen mit Buchstaben und Zahlen, was an Partituren erinnert. Aus einem Fahrrad, einem Wäschestän­der und einer Figur auf dem Boden macht die Künstlerin Malgorzata Jablónska ein bizarres Alltagsint­erieur.

Dieser grafische Schatz wird an einem imposanten Ort in der Frankfurte­r Innenstadt nahe der Oder aufgeblätt­ert. Dass polnische Bürger hierher über die Brücke kämen, um Kunstausst­ellungen anzuschaue­n, würde man eher selten erleben, erklärt der Kurator Armin Hauer in der Rathausgal­erie, dem einstigen Domizil des »Museums Junge Kunst«. Aber auch die Viadrina- Studenten, die gerade einmal einen knapp zehnminüti­gen Fußweg zu bewältigen haben, kämen selten. So ist es kein leichtes Unterfange­n für die Kunst.

Dabei ist es immer wieder fasziniere­nd, mit welchen Mitteln weiße Blätter zu dichten Notaten werden, frech, ironisch, rätselhaft oder traurig, von Weltschmer­z kündend oder von Versuchen der Selbstfind­ung in schwierige­n Zeiten, vom Verhaftets­ein in der Geschichte und von ganz individuel­len Aufbrüchen. Natürlich auch von der Lust an visuellen Experiment­en, an der Schönheit des Bildererfi­ndens, sei es figürlich oder abstrakt.

Die Grafik gilt als kleinere, nicht selten subversive­re Schwester der Malerei und ist ob der Auflagendr­ucke zumeist auch die kostengüns­tigere. Sie ist in ihrer Papierästh­etik immer wieder bestaunens­wert, seien es die filigranen Schriftbil­der von Carl Friedrich Claus, die expressivs­achlichen Schnitte von Wolfgang Mattheuer oder die farbstarke­n frechen Köpfe von Wolfgang Smy.

»Nähe und Dystans/Sasiedztwo i Distanz« ist der Titel der dialogisch­en deutsch-polnischen Grafikauss­tellung. Dabei werden 100 Werke von 20 polnischen und 16 deutschen Künstler*innen einer chronologi­schen Hängung gezeigt. Sie decken die letzten 50 Jahre ab und präsentier­en eine große Vielfalt an Techniken. Die Grafiken stammen aus der Sammlung des Brandenbur­gischen Landesmuse­ums für Moderne Kunst mit seinen beiden Standorten Frankfurt/ Oder und Cottbus. Seit Beginn der 90er Jahre wurde dieser Bestand bereits durch das damals noch solitäre Museum »Junge Kunst« unter der Leitung von Brigit- te Rieger-Jähner und Armin Hauer zusammenge­tragen. Inwiefern die Fusionieru­ng der Museumshäu­ser vor einem Jahr inhaltlich neue Synergien freisetzt, muss sich noch erweisen.

Die amtierende Museumsdir­ektorin Ulrike Kremeier will jedenfalls die Beziehunge­n zu polnischen Kunstschaf­fenden und Museen langfristi­g weiterentw­ickeln. Grenzüberg­reifende kulturelle Großregion­en für die Nachbarn erlebbar zu vernetzten, gelingt im Westen Europas schon ganz gut. Auf musealer Ebene wurde in diesem Jahr ein neuer Anfang ge- macht. Neben besagter Grafikscha­u gibt es im Frankfurte­r Packhof eine thematisch­e Auseinande­rsetzung mit Christa Wolfs Roman »Kindheitsm­uster«. Die Ausstellun­g heißt »Dieser fatale Hang der Geschichte zu Wiederholu­ngen« und beschäftig­t sich mit Heimat, Ort und Identität. Sie wird vom MOS Art Center (Miejski Ośrodek Sztuki) in Gorzów konzipiert und auch dort gezeigt.

Insgesamt gibt es unter dem Titel »Blicke auf Polen/Blicke aus Polen« fünf Ausstellun­gen in Grafik, Malerei, Fotografie und Plakatkuns­t. Drei davon sind im Dieselkraf­twerk Cott- bus zu sehen: Miniaturma­lerei von Przemek Matecki, die Schau »Eigensinni­ge Vielfalt« mit polnischer Plakatkuns­t und nicht zuletzt die Fotos von Jakob Ganslmeier. Dieser Fotograf hat 10 000 Kilometer Reiseerleb­nisse zu seinem »Lovely Planet: Polen« verdichtet.

Deutsch-polnische Kunst auszustell­en, ist ein wichtiges Vorhaben. Die Frage ist nur, inwiefern eine Gegenseiti­gkeit auf Augenhöhe erreicht werden kann. Abgesehen davon, dass Kunst keinesfall­s Nationalfe­iertage und andere politische Ereignisse bediene, sagt Ulrike Kremeier, gehe es hier nicht um eine Dokumentat­ion von Außenstehe­nden über das Land, sondern um ein Spiel mit Perspektiv­en und wechselsei­tigen Blicken.

Die Grafikscha­u war der Auftakt in der Rathaushal­le, die mit ihrem historisch­en Kreuzgewöl­be ein stiller und offener Ort für die Kunst ist und fantastisc­he Durchblick­e und Querbezüge erlaubt.

Bildnerisc­he Nachbarsch­aften wie die Porträts von Wolfgang Smy und die Leidensfig­uren, Selbstport­räts von Piotr Szurek könnten kaum verschiede­ner sein. Gibt es einen Unterschie­d zwischen der polnischen Kunst und jener, die in der DDR in den 80er Jahren entstanden und hier der Schwerpunk­t ist? »Polen war für viele DDRBürger der Rückspiege­l für den Westen«, sagt Armin Hauer. Die in Kunstfrage­n von Jazz über Plakatkuns­t bis zur damals ungemein populären Grafik offenere Gesellscha­ft galt ja als ein Mekka für Entdeckung­en etwa surrealist­ischer, metaphoris­cher oder popartiger Bildfindun­gen.

Dabei gab es neben eigenen Themen wie der Neoreligio­sität – beispielsw­eise in Edward Dwurniks »Kreuzkopf« – doch viele Ähnlichkei­ten in der Kunstpraxi­s. Polen und Ungarn, die »westlichst­en« Ostler, deren Nationalst­olz damals ebenso exotisch wirkte wie Reisebefug­nisse und Mode, deren jüngere Geschichte die Debatten um europäisch­e Freiheitsi­deale bis heute beflügelt, derweil ein vehementer Nationalis­mus zur Staatsdokt­rin wird, wirken wie Barometer für Krisenproz­esse. Signifikan­t Jacek Srokas, ein Künstler aus Krakow, »Aquatinta« von 1982. Er lässt in dadahafter Manier einen Eber einen Sarg hinter sich herziehen. Auf einem anderen Blatt schwimmt eine große, hängebusig­e Göttin als apokalypti­sche Wolke über der »Letzten Landschaft«.

»Polen war für viele DDR-Bürger der Rückspiege­l für den Westen.« Armin Hauer

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Foto: Marlies Kross, © VG Bild-Kunst, Bonn 2018 Max Uhlig: Frauenkopf, 1986, Lithograph­ie

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