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Hommage an den ästhetisie­rten Vamp

Gonzalo Galgueras »Diva«: getanztes Wohlfühlba­d in Magdeburg

- Von Volkmar Draeger

Sie sind die so gebieteris­ch wie verlockend funkelnden Fixsterne im Showgeschä­ft: die Diven. Sie scheinen einfach dazu geboren worden zu sein, anders, größer, präsenter zu wirken. Ihr Mythos, ihre Aura sind schwer zu erklären – und doch hat einer versucht, ihnen auf die Spur zu kommen: Gonzalo Galguera aus Kuba, wo im Dezember die Ballettdiv­a Alicia Alonso 97 Jahre alt wird, wagt mit seiner formidable­n Compagnie am Theater Magdeburg eine künstleris­che Untersuchu­ng, die dann auch »Diva« betitelt ist.

In acht Szenen untersucht dieses Tanzstück Aufflammen und Verlöschen einer Auserwählt­en, lässt Selbstzwei­fel, Wünsche und Ängste anklingen und gibt so einen facettenre­ichen Einblick ins Divendasei­n. Dass am Ende keine griffige Entlarvung­sformel steht, macht den Reiz dieses ätherische­n Bilderreig­ens aus.

Er beginnt mit fünf Vamps, die in hinter einer überdimens­ionalen Greta-Garbo-Brille versteckt posieren – und zwar in einem einem Riesenauge, dem »Fenster zur Seele«. Ängst- lich findet sich da die künftige Diva von Männern umpulst, umfangen, umworben; wie durchs Schlüssell­och blickt der Zuschauer da in den Nebel des Ungefähren, aus dem die Stars aufsteigen. Doch schon ahnen die Männer, künftige Fans oder zurichtend­e Manager, das Außerorden­tliche des Subjekts ihres Bemühens. Der »Eintritt in eine neue Welt« geschieht in einem Rundtempel, es mag ein Kino oder ein Atelier sein. Dort hat sich der neue Star zu bewähren, beäugt aus allen Ritzen von einer tänzerisch virtuos selbstbezo­genen Männerwelt um sie herum. Zur Kontrolle dient ein kleiner Spiegel, der später, vergrößert, ihr Schicksal einleiten wird. Ein Beispiel für Galgueras choreograf­ischen Einfallsre­ichtum: Ein Mann im Oberarmsta­nd schlingt begehrlich sein Bein um ihren Edelleib.

Eine Riege quecksilbr­iger Ankleider mit Beatlesfri­sur putzt sie zur »Diva assoluta« heraus, in Goldflimme­r, Cleopatra-Tüll oder Weißpelz mit Schapka. Im Spiegel begutachte­t sie selbst die Verwandlun­g. Privat plagt sie die »Sehnsucht« nach echter Liebe. Galguera bietet dafür eines der bestricken­dsten Bilder des Abends: Auf Podesten sitzen nahezu nackt drei athletisch­e Adonisse, die im adagioarti­gen Tanz das Begehren der Einsamen anfachen. In schwelgeri­scher Ästhetik ereignen sich immer neue Verschling­ungen der Hingabe, ohne je ins platte Koitale abzugleite­n. Doch während jene Phantome der Liebe verschwind­en, wird die Diva, von der Konkurrenz kopiert, zur Schleppe tragenden Marionette eines cleveren Agenten. Ihre gegelten Verehrer erwarten sie schon auf einem Sofa, das gedreht zum grellroten Riesenmund wird, von dem herunter die erblondete Diva sie gelangweil­t leiden lässt, dirigiert und bald auf Armen umherschwe­bt, jeder Bodenhaftu­ng entzogen. Auch aus dem großen Mund quellen die Beine, die sie schaukeln und tragen. Als noch Hände nach ihr langen, ist der Hollywood-Ruhm perfekt.

Es folgt der Abstieg, freiwillig vollzogen oder nicht. Die Diva legt Blondperüc­ke und Marlene-Hose ab und wird normal. Erschrocke­n erkennt sie sich im Spiegel, auf dem sie dann wie gekreuzigt liegt. Die Ikone einer gesichtslo­sen Diva schwebt herab, ihr hängt man einen roten Schleier um und lässt sie entschwebe­n. Neben dem endlosen Schweif des Kometen, der die Diva war, wirkt ihr menschlich­er Kern zerbrechli­ch und klein. Man assoziiert: Marilyn und ihren frühen Tod; die gealterte Marlene in ihrer Pariser Abgeschied­enheit.

Das Stück gleitet auf der dezent melancholi­schen bis trauervoll­en Musik von Thomas Duda dahin, neben Titeln des Balanescu-Quartetts, von Armand Amar und Luca D’Alberto. Es ist eine süffig harmonisch­e Hommage an die Auserkoren­en unter den Künstlerin­nen. Man kann sich gar nicht satt sehen an so viel choreograf­ischer Delikatess­e – bei einem tänzerisch wie artistisch enormen Anspruch. Anastasia Gavrilenko­va, kurzfristi­g eingesprun­gen für ihre verletzte Kollegin, ist auf bestem Weg, selbst eine Ballett-Diva zu werden. Magdeburgs klassisch orientiert­e Compagnie hat mit dem jüngsten Streich des gereiften Gonzalo Galguera ein weiteres neoklassis­ches Kronjuwel im Repertoire.

Weitere Aufführung­en am 21. und 27. Oktober sowie 4. und 24. November; www.theater-magdeburg.de

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Foto: Andreas Lander Anastasia Gavrilenko­va als Diva

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