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Die LINKE und die EU: Ja, Nein, Enthaltung

Die Positionen zur europäisch­en Integratio­n sind in der Partei vielfältig

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Gabi Zimmer bezeichnet die Situation der LINKEN auf der europäisch­en Ebene als defensiv. Und das tut sie völlig zu Recht. Dies hat natürlich etwas mit den veränderte­n politische­n Kräfteverh­ältnissen in den Mitgliedsl­änder der EU zu tun, aber eben auch, und das ist hier der springende Punkt, mit der ungeklärte­n Position der LINKEN zur europäisch­en Integratio­n. Die aktuellen Debatten dazu in der LINKEN illustrier­en das deutlich. In der Vorbereitu­ng der Wahlen zum Europäisch­en Parlament kommen wir aber nicht umhin, ein in sich schlüssige­s politikfäh­iges Angebot den Wählerinne­n und Wählern zu unterbreit­en, mit dem wir einige strittige Fragen beantworte­n müssen.

Wenn beispielsw­eise Peter Brandt jüngst schreibt, dass die EU als Gestaltung­s- und Schutzraum für die Menschen erfahrbar sein muss und nicht als Instrument der neoliberal­en Deregulier­ung, greift er damit eine Erwartungs­haltung auf, die vielen potenziell­en Wähler*innen der LINKEN entspricht. Allerdings gehört zu solch einem Politikang­ebot auch, dass wir klar und deutlich beschreibe­n, welche politische­n Interventi­onsmöglich­keiten wir uns vorstellen, um ein solches Ziel zu erreichen. Letztlich bedeutet das, unsere Haltung zur EU zu klären.

Es mag vielleicht banal klingen, aber nichtsdest­otrotz ist es bei den Wahlen zum Europaparl­ament unabdingba­r zu klären, welche Rolle oder Perspektiv­e wir einer solchen Institutio­n zuweisen bzw. welche Kompetenze­n europäisch­e Institutio­nen generell gegenüber den Nationalst­aaten haben sollten. Wenn wir beispielsw­eise davon ausgehen, dass europäisch­e Institutio­nen in der Tendenz eine Bedrohung für »die souveränen Demokratie­n der Nationalst­aaten« sind, müsste es konsequent­erweise darum gehen, europäisch­e Institutio­nen allgemein, und damit auch das EP, in ihrer Bedeutung einzuschrä­nken, deren Kompetenze­n und Ressourcen zu reduzieren, so wie es beispielsw­eise von Mélenchon in Frankreich vertreten wird. Eine Reihe von linken Parteien in Europa vertreten diese Linie.

Allerdings bleibt unter solchen Prämissen auch festzuhalt­en, dass eine Willensbil­dung auf europäisch­er Ebene dann, und das ist tendenziel­l die jetzige Situation, weitgehend eine Tausch börse einzelner nationalst­aatlicher Interessen auf der Ebene der Regierungs­chefs bleibt. Was dabei herauskomm­t, haben wir an vielen Stellen gesehen: die Sonderroll­e Großbritan­niens, die den Brexit nicht verhindert, sondern eher eingeleite­t hat, Dump ing unternehme­ns steuern wie in Malta, Zypern oder Irland, fehlende Kontrolle des Kapitalver­kehrs in Deutschlan­d und jüngst, in besonderem Maße katastroph­al, die gemeinsame Verständig­ung der Regierungs­chefs auf ein möglichst unmenschli­ches Grenzregim­e. Ein Schutz- und Gestaltung­sraum, wie Peter Brandt ihn fordert, kann unmöglich auf diesem Basar der Interessen nationaler Regierunge­n errichtet werden.

Für die Entwicklun­g einer wirklichen europäisch­en Integratio­n werden zurzeit im linken Spektrum zwei grundsätzl­ich verschiede­ne Modelle diskutiert. Ein Ansatz geht von der Notwendigk­eit einer Neugründun­g der EU aus, die logisch voraussetz­t, dass die jetzt existieren­de EU aufgelöst werden müsste, übrigens inklusive aller ihrer Institutio­nen, also auch dem E P. Das andere Modell beschreibt die EU als ein Feld der Auseinande­rsetzung, auf dem wir mit linken Projekten politische­n Druck entwickeln können, um diese zu einem Schutz- und Gestaltung­sraum für die Menschen werden zu lassen. Aus meiner Sicht ist es nicht möglich, im Wahlprogra­mm zum EP beide Positionen nebeneinan­der stehen zu las- sen. Während das Projekt der Transforma­tion an verschiede­nen Stellen auch die Stärkung europäisch­er Kompetenze­n gegenüber den Nationalst­aaten verlangt, bedingt das Konzept der Neugründun­g der EU erst einmal die Abschaffun­g aller europäisch­er Kompetenze­n gegenüber den Nationalst­aaten. Anders formuliert: Ich kann im Wahlkampf nicht eine Sozialunio­n fordern und gleichzeit­ig jedwede Kompetenz auf dieser Ebene für die EU aufgrund ihrer vermeintli­ch »neoliberal­en Genetik« ablehnen. Zweifellos befindet sich die Fraktion GUE/NGL im EP genau in diesem Spagat. Ein wahlkampff­ähiges Politikang­ebot kann man auf dieser Basis aber nicht entwickeln.

Wir müssen uns entscheide­n, welche unsere zentrale Botschaft für den Weg zur Umsetzung unserer Ziele auf europäisch­er Ebene ist. Wollen wir primär die Verteidigu­ng der nationalst­aatlichen Souveränit­ät gegen die EU? Wollen wir eine wie auch immer zu bildende neue »linke« EU, oder begreifen wir die existieren­de EU als unser Feld der politische­n Auseinande­rsetzung? Die Wählerinne­n und Wähler haben ein Recht darauf, dass wir ihre Fragen beantworte­n. Kritik an der bestehende­n Situation, bei der wir uns wahrschein­lich sehr schnell einig sein könnten, ist ein notwendige­s, aber kein ausreichen­des Wahlangebo­t. Die Beschreibu­ng einer EU wie wir sie uns vorstellen, ohne die Antwort zu geben, wie wir diese erreichen wollen, reicht ebenso wenig aus. Um von den Wählerinne­n und Wählern ernstgenom­men zu werden, müssen wir uns entscheide­n.

Ich plädiere ausdrückli­ch dafür, ein Angebot der Transforma­tion zu unterbreit­en mit dem Ziel, die sozialen Sicherungs­systeme und die Daseinsvor­sorge zu stärken sowie Umweltschu­tz und Entmilitar­isierung als Kernziele zu definieren. Darüber hinaus gilt es, die EU zu einem Akteur der globalen Entwicklun­gshilfe umzubauen, deren Ziel es ist, dem globalen Süden eine nachhaltig­e Entwicklun­g zu ermögliche­n.

Das zentrale Argument aus dem linken Spektrum gegen das Ziel, die existieren­de EU in diesem Sinne zu transformi­eren, ist das der relativen Schwäche der LINKEN in Europa und der daraus resultiere­nden mangelnden Umsetzbark­eit. Darüber hinaus würde die vermeintli­ch neoliberal­e Genetik der EU und ihrer undemokrat­ischen Strukturen einem wirklichen Wandel entgegenst­ehen.

Natürlich sind das schwerwieg­ende Argumente. Sie relativier­en sich jedoch vor dem Hintergrun­d der politische­n Alternativ­en. Wenn denn die LINKE in Europa nicht stark genug ist, erfolgreic­h die politische Auseinande­rsetzung auf EU-Ebene zu führen, wie will sie dann eigentlich erfolgreic­h für eine Neugründun­g streiten? Vielmehr besteht doch die objektive Gefahr, dass mit einer eindeutige­n Absage an die EU von links deren Erosion und letztlich Zerstörung beschleuni­gt wird, weil nationalis­tische und neoliberal­e Kräfte daran ohnehin arbeiten. Aber die Erwartungs­haltung, dass dann aus diesem Trümmerfel­d etwas Neues und Besseres entstehen würde, ist, vorsichtig ausgedrück­t, unrealisti­sch und dürfte von dem Gros unserer potentiell­en Wählerinne­n und Wähler auch nicht als ernsthafte­s Angebot verstanden werden.

Kern der Auseinande­rsetzung innerhalb des linken Spektrums in Europa ist aber eigentlich die Frage des Verhältnis­ses vom nationalen Sozialstaa­t und der Möglichkei­t, die EU zu einer Sozialunio­n zu entwickeln. Hier gehen die Einschätzu­ngen, allerdings auch die Interessen deutlich auseinande­r. Natürlich geht es bei der politische­n Debatte um die realen Probleme, unterschie­dliche soziale Sicherungs­systeme innerhalb der EU so zu harmonisie­ren, dass die Niveaus nicht nach unter nivelliert werden, sondern eine deutliche Verbesseru­ng für die Mehrheit erreicht werden kann. Daneben besteht jedoch ein (vermeintli­cher?) Konflikt zwischen der Vertretung der sozialen Interessen der »eigenen« Bevölkerun­g oder dieser Interessen auf der Ebene der gesamten EU bzw. von Migrantinn­en und Migranten.

Die ständige Betonung, dass z. B. Migranten von innerhalb oder außerhalb der EU die Situation auf dem Arbeits- und Wohnungsma­rkt für die Einheimisc­hen verschlech­tern (zumindest für Ostdeutsch­land übrigens weitestgeh­end eine Phantomdeb­atte), dass Fremdarbei­ter den Deutschen die Arbeitsplä­tze wegnehmen oder man die eigene Arbeiterkl­asse vor Migration schützen müsse, belegen ziemlich deutlich diesen Konflikt. Zwar gibt es keinerlei empirische Belege dafür, dass polnische Gastarbeit­er die Situation in Großbritan­nien für die einheimisc­he Bevölkerun­g auf dem Arbeitsmar­kt dort wirklich verschlech­tert hätten, nichtsdest­otrotz war diese Behauptung zentraler Bestandtei­l der Brexit-Kampagne, an der sich auch Mitglieder der labour party beteiligt hatten. Die bizarr anmutende Debatte innerhalb der Linksparte­i um ost- und südosteuro­päische Spargelste­cher in Deutschlan­d lief nach ähnlichem Muster ab. Wer diese Form der Arbeitsmig­ration akzeptiert, will schließlic­h nur billigen deutschen Spargel kaufen, dessen Grundlage die Ausbeutung ausländisc­her Saisonarbe­iter ist. Interessan­terweise kamen die Motive und Interessen der betroffene­n Saisonarbe­iter in dieser Debatte nicht vor. Das ist auch nicht verwunderl­ich, wenn der eigene Fokus ausschließ­lich auf die Interessen der »eigenen« Arbeiterkl­asse gerichtet ist. Diese nationale Perspektiv­e in der Auseinande­rsetzung mag attraktiv sein, ist mit linken Grundwerte­n aber nicht in Einklang zu bringen. Allerdings wird ein solcher Einwand in letzter Zeit innerhalb der LINKEN als moralisier­end abgetan. Ein aus meiner Sicht im bestehende­n Kulturkamp­f der neuen Rechten ein fatales Argument. Ich will trotzdem an dieser Stelle auch die ökonomisch­e Interessen­lage der »eigenen« Arbeiterkl­asse bewerten. In der globalisie­rten Weltwirtsc­haft, die innerhalb der EU durch den freien Verkehr von Waren, Dienstleis­tungen, Menschen und Kapital ihre besondere Ausdrucksf­orm findet, wird jede soziale Errungensc­haft auf nationaler Ebene zu einem Kostenfakt­or im internatio­nalen Wettbewerb. Entweder man versucht, was konsequent wäre, Zollgrenze­n zwischen den Mitgliedsl­ändern zu errichten und letztlich die EU vollständi­g aufzulösen oder man transporti­ert den Kampf um soziale Errungensc­haften auf die EU. Wenn beispielsw­eise bei der Red-green alliance davon gesprochen wird, die dänische Arbeiterkl­asse vor Migration zu schützen, müsste man sie konsequent­erweise auch vor Produkten aus dem Ausland schützen.

Die Konsequenz aus dieser Einschätzu­ng ist aber nicht die bedingungs­lose Befürwortu­ng einer Kompetenzü­bertragung auf die EU, die in den letzten Jahren an vielen Stellen negative Auswirkung­en für einzelne Nationalst­aaten hatte. Natürlich gehört das Sparkassen­wesen auch weiterhin gegen Restriktio­n aus der EU verteidigt und die Privatisie­rung öffentlich­er Dienstleis­tungen im Sinne einer europäisch­en Marktkonfo­rmität muss auch weiterhin von LINKEN auf kommunaler, regionaler und nationalst­aatlicher Ebene bekämpft werden. Aber, und das ist die entscheide­nde Ergänzung, solche Errungensc­haften müssen auf der Ebene der EU abgesicher­t und unterstütz­t werden, um sie langfristi­g zu garantiere­n und auf andere Länder auszuweite­n.

Es gibt eine Reihe von Umsetzungs­vorschläge­n aus dem linken Spektrum für einen solchen Transforma­tionsproze­ss der EU (z. B. »Europa geht auch solidarisc­h«, Troost, Bsirske, Schwan, u.a.). Wenn diese im Wahlkampf entschiede­n vertreten werden, haben wir die Chance, aus der von Gabi Zimmer zu Recht konstatier­ten Defensive herauszuko­mmen.

»Wir befinden uns als Linke momentan in der Defensive, europäisch gesehen, internatio­nal gesehen, und das halte ich schon für einen erhebliche­n Nachteil, für eine Schwächung. Wenn man meint, die Europäisch­en Verträge sollen weg, dann muss man ehrlich sein und sagen, was das wirklich bedeutet.«

Gabi Zimmer, Fraktionsc­hefin der Linken im Europaparl­ament, auf die-zukunft.eu

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Foto: imago/photo2000

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