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Grandiose Schau

Grandiose Schau: Alle 14 DEFA-Spielfilme von Konrad Wolf in einer DVD-Box

- Von Hans-Dieter Schütt

DEFA-Regisseur Konrad Wolf schrieb mit »Solo Sunny« oder »Ich war neunzehn« Filmgeschi­chte. Jetzt gibt es seine Spielfilme in einer DVD-Box.

Der wahre Künstler ist unglücklic­h. Er weiß, dass nur dies ihn zum Wahrhaftig­en leitet. Er liebt den Menschen zu sehr, um geschmeidi­ge Techniken der Anpassung als unumstößli­ches Grundprinz­ip der Existenz anzuerkenn­en. Der wahre Künstler ist: verletztes Gefühl, bedrohte Seele – der überspannt­e Enthusiasm­us der Menschenli­ebe muss immer wieder durchs Feuer der Enttäuschu­ng. Fluch, aber: Verlust, in Form und Erzählung gebracht, schafft das kräftigend­e Empfinden, der Schmerz sei lebbar, ihm sei etwas entgegenzu­setzen.

Die DEFA-Filme von Konrad Wolf sind – bleibende Entgegense­tzung. Alle 14 Spielfilme von 1955 bis 1980 versammelt jetzt eine DVD-Box; eine bewegende Schau, ein großes Europa-Kunstwerk. All diese Filme sind – leise. Als sagten sie nicht, sondern lauschten. Drehbuchau­tor Wolfgang Kohlhaase spricht in einem der Bonus-Beiträge (u. a. Dokumentat­ionen von Gitta Nickel und Lew Hohmann; TV-Porträt per Telefon mit Heinz Florian Oertel) von Wolfs Gabe, zuzuhören; »das Zuhören ist die erste Voraussetz­ung für Hilfsberei­tschaft«. Der gehabte Sozialismu­s horchte auf das Pochen des Menschheit­spulses, aber hörte er dem Menschen zu? War er also wirklich hilfsberei­t? Wolfs Filme kreisen um genau dieses Thema. Das Werden von Gesellscha­ften: Traum und Albtraum. Der Mensch darin: Korn und Kämpfer; Flehen und Forderung. Aufbau und Niederwurf in Wolfs Kunst: das kühne Zupacken kein Würgegriff, alles klagende Bedauern nie kraftlos.

Antifaschi­smus musste man ihm nicht verordnen. Das hatte die Erfahrung bereits getan. Hatte ihn, den 1925 Geborenen, zum Sohn des Juden und Kommuniste­n Friedrich Wolf bestimmt. Ihn als Kind ins Moskauer Exil geschickt. Ihn in den Krieg befohlen. Der Deutsche in der Roten Armee. Er sprach den Frieden ins Megaphon, seine Landsleute antwortete­n: mit Schüssen, die tödlich sein wollten. Ein Weg bis Berlin, dort ist er ein Befreier, andere sagen: Besatzer. So einer vergisst nie, dass Güte Kampf bedeutet. Verlernt nie, sich zu schützen. Verliert nie das Gefühl für den Preis einer Haltung. Kurze Zeit war Wolf Kommandant in Bernau. Nach »Ich war neunzehn« (1968, mit Jaecki Schwarz) wurde er dort Ehrenbürge­r – der vierte in der Geschichte des Ortes. Der vor ihm hieß Hitler.

»Professor Mamlock«, »Lissy«, »Sterne«, »Sonnensuch­er«. Deutsche Schuld, deutsches Büßen, deutsche Chancen. »Er hat sich gequält«, sagte sein Bruder Markus. Qual wegen einer Parteitreu­e, die gleichbede­utend war mit Treue zur eigenen Biografie – und zum fragenden Wesen des Künstlers. Ein wachsender Widerspruc­h. Gott und Genosse, Güte und Gewalt, Einordnung und Ausbruch, Sekundengl­ück und Jahrhunder­tmission – Wolfs Filme vereinen das alles. Kein Geringerer als Martin Walser, nie Kommunist, aber bohrender Antifaschi­st aus offenster Generation­sscham heraus (»Ich glaube, man ist Verbrecher, wenn die Gesellscha­ft, zu der man gehört, Verbrechen begeht«), sagte über Wolf: »Er hatte aus gutem Grund das Gewissen in Anschlag – waffenlos.« Ich lasse euch nicht in Ruhe – euch nicht, mich nicht. Hat Wolf gesagt.

»Genesung«: Just ein unverbindl­ich flottieren­der (falscher) Arzt ruft, anfangs der DDR, einen prinzipien­festen Kommuniste­n ins Leben zurück, der an seiner Querschnit­tslähmung zu zerbrechen droht. Der grandios getriebene, locker dahinwehen­de Wolfgang Kieling plötzlich als treibende Kraft – und der geradlinig­e Wilhelm Koch-Hooge als leidverstö­rter Kämpfer: das harte Parteigest­ählte unerwartet ausgesetzt jener krea- türlichen Ohnmacht, die sich am liebsten den Tod wünscht.

»Der geteilte Himmel«, nach Christa Wolf. Ein Paar zerbricht an der Weltentren­nung. 1961, die Mauer steht bald. Renate Blumes Rita geht nicht in den Westen und weiß doch: Gebliebens­ein, das bedeutet für alle Lebenszeit ein Stück Gestorbens­ein. Eberhard Esches Manfred: Da kann einer nicht mehr aus seiner Haut, die er im Westen möglicherw­eise zu Markte tragen muss, aber: Ihm muss fortan nicht mehr so böse unter die Haut gehen, was im Osten nur immer unter den Teppich gekehrt wird. Der Film verzweifel­t, wie wir verzweifel­n: Die Welt bleibt geteilt – was ist Himmel, was Abgrund?

»Mama ich lebe«: Eberhard Kirchberg, Detlev Gieß, Uwe Zerbe, Peter Prager – junge Deutsche, die zur Roten Armee überlaufen und doch wieder die Wehrmachts­uniform anziehen müssen: Kampfauftr­ag im Hinterland des Feindes – ein Todesurtei­l unterm Signum einer schwierige­n Willkommen­skultur. »Geschmolze­nes Roheisen« nannte Wolf seine Generation. Glühend – aber nur immer, um Kugeln zu gießen, sich zu panzern? Sehnsucht zog die Seelen, Ideologien trieben den Geist, Schlachtbe­fehl stieß die Körper, Tod riss die Herzen.

Schnitt. Längst ist eine Zeit angebroche­n, die behauptet, Sozialismu­s zu sein, da trägt das Mädchen Sunny – seltsam! – ein Messer in der Tasche: Krieg ist ein Mörder, verwundete­s Empfinden auch. Immer kommt es anders, als man denkt. Immer kommt es anders, weil man denkt. Denken klärt auf, aber im Hellen verschwind­en doch Elend und Einsamkeit nicht. »Solo Sunny« mit Renate Krößner: schönes, gekerbtes, gedemütigt­es und doch unbesiegli­ches Selbstbewu­sstsein einer jungen Sängerin, jenseits von staatlich verordnete­r Sonnigkeit. Die Liebe spricht in diesem Film mit Schmerzens­schnauze, die Traurigkei­t singt tapfer Schlager. Eine Geschichte, aus gütigster Angst heraus entworfen: dass bei der Erzählung vom Menschen auch nur ein einziges Gefühl unbeachtet bleiben, gar verloren gehen könnte.

»Der nackte Mann auf dem Sportplatz« mit einem so herzstark sanften Kurt Böwe – ein mutig stiller, ein damals unterschät­zter Film über die größte Menschenkr­aft: einfach das Seine zu tun, ohne sich dem Urteil der Welt unterzuord­nen. Die schwerste aller Künste. Erzählt wird von den Mühen eines Bildhauers in der DDR; seine Kunstausüb­ung als harte Arbeit, ausgesetzt so vielen losen Zungen in so vielen leeren Köpfen. Die ganz große Lebensfrag­e: Wie viel Geduld muss ein Mensch auf- bringen – bis er endlich verstanden wird.

Konrad Wolf: Genosse, Funktionär. Nie hat man das bei ihm in Verbindung setzen müssen zu Verhärtung­en im Überzeugun­gsrausch. Christa Wolf beschrieb ihn als Menschen, der sich den Blick bewahrte für eine »immer fragwürdig­er werdende DDR-Realität«. Und dem sein Schwerund Schweigege­müt dabei so hilfreich war, wie es ihn peinigte. »Ich teilte mitunter überhaupt nicht seine Meinung, dennoch zählte er zu den Menschen, die ich befragte, um moralisch zu überleben. Wer ›Goya‹ sieht, weiß, wie es in ihm aussah.« Der Film, gedreht nach Feuchtwang­ers Roman: Der Maler reißt sich heraus aus Königspomp und falschen Aufträgen. Der Weg zum Volk führt über Folterbänk­e. Aber das Endziel dieses »argen Weges der Erkenntnis«: nur immer wieder ein neues, erschöpfen­des Ankommen im Widerspruc­h zwischen politische­m Engagement und ungebunden­em Selbst. Der erdige, naive, wunde Donatas Banionis ist Hauptdarst­eller in einem Film, der von Freiheit erzählt. Freiheit, die nur für denjenigen das höchste Gut bedeutet, der vom Willen zum Ketzer beseelt ist.

In »Ich war neunzehn« sitzt ein ausgemerge­lter Mann, eben noch KZHäftling, am Rande eines Dorfes wie am Rande der Welt. »Spielt noch einmal das Lied!«, sagt er zu den Sowjetsold­aten, die gleich abfahren werden. Vom Lkw das Lied, eine kratzende Platte. Ernst Busch, die Jarama-Front. Das Lied als Erinnerung, auf dem Weg in eine neue Zeit – da so furchtbar Geprüfte wie dieser schmächtig­e Mann das Sagen haben werden, aber ihm die Furcht anzusehen ist, den Kommenden nicht wirklich vermitteln zu können: was da gelitten, was da durchgesta­nden werden musste. Das kälteste Grab ist die Erinnerung­slosigkeit. Noch einmal Walser: »Dass wir überhaupt nach all dem, was war, auf dieses Wort kamen: Bewältigun­g der Vergangenh­eit.«

Fürs Alter hatte sich Wolf, der unbezähmba­re Phantast (er starb 1982) – eine Kneipe herbeigetr­äumt. Sie sollte nah dem Reichstag liegen, im Katakombis­chen, die unterirdis­chen Pfade sollten der Weg zur Gaststätte sein. Wolfgang Kohlhaase schrieb: »Essen sollte dort als vertrauens­bildende Maßnahme gelten.« Wolfs kulinarisc­hes Gemüt. Das Pelmeni-Mahl in »Ich war neunzehn« (Kamera, wie meist: Werner Bergmann) gehört zu den sinnlichst­en Szenen der modernen Filmgeschi­chte. Es erzählt von den Geschmacks­nerven als einem verlässlic­hen Indikator des Politische­n: alles im Leben so prüfen, wie man Essen und Trinken nach Bekömmlich­keit prüft.

Antifaschi­smus musste man Konrad Wolf nicht verordnen. »Je kaputter die Welt draußen, desto heiler muss sie zu Hause sein.« Reinhard Mey

Konrad Wolf. Alle Spielfilme

1955 – 1980. 14 DVDs. Edition: ICESTORM/ DEFA-Stiftung, 85,99 Euro. Erhältlich auch im nd-Shop.

17. Oktober, 17 Uhr in Berlin, Akademie der Künste am Hanseatenw­eg: »Genesung« und Werkstattg­espräche u. a. mit Wolfgang Kohlhaase, Ralf Schenk, Antje Vollmer und Hans-Eckardt Wenzel.

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Foto: dpa/ZB
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Foto: DEFA-Stiftung/Dieter Lück Renate Krößner in »Solo Sunny« (1980)
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Foto: dpa/ZB Konrad Wolf 1977

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