Alles spricht für Mord
Saudi-Arabien sagt »vertiefte Untersuchung« im Fall Khashoggi zu
Istanbul. Der Fall des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi bringt das Königshaus immer mehr in Erklärungsnot. Der Kritiker des royalen Regimes und von dessen Bombenkrieg gegen das arme Nachbarland Jemen hatte am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul aufgesucht, und es fehlt jeder Hinweis, dass er es lebend verlassen hat. Der internationale Druck auf König Salman wächst – und damit auch auf seine Gönner. Vor allem die USA.
Deren Außenminister Mike Pompeo reiste deshalb nach Riad, wo ihm sein Amtskollege Adel al-Dschubeir angeblich die »volle Kooperation« bei der Aufklärung zusagte. US- Präsident Donald Trump hatte sich bei seinem Saudi-Arabien-Besuch im Mai 2017 als enger Freund Salmans bezeichnet. Khashoggi wiederum ging im September jenes Jahres ins US-Exil und war seitdem Kolumnist der »Washington Post«.
Einige US-Medien wollten am Dienstag wissen, dass die Führung in Riad am Szenario eines halben Eingeständnisses arbeite; etwa der Art, dass »übereifrige Beamte« des Konsulats Khashoggi »beim Verhör« getötet haben könnten, selbstverständlich ohne Ermächtigung des Königshauses. Den türkischen Behörden, die am Montag das Konsulat durchsucht hatten, wie auch Pompeo sagte Saudi- Arabien nach US-Angaben eine »vertiefte und transparente Untersuchung« zu.
Der deutsche Außenminister Heiko Maas, der sich erst vor wenigen Tagen für eine Verbesserung der Beziehungen zu Riad und einen Besuch des Königreichs ausgesprochen hatte, hielt sich am Dienstag in Paris bedeckt und zog sich auf die Floskel zurück: »Wenn wir wissen, was geschehen ist, werden wir daraus unsere Schlüsse ziehen.« Sein SPD-Kollege Frank Schwabe, menschenrechtspolitischer Sprecher im Bundestag, hat dagegen »nach der offensichtlichen bestialischen Ermordung« Khashoggis »eine scharfe Reaktion der Bundesregierung« gefordert.
Im Fall Jamal Khashoggi haben türkische Ermittler das saudische Konsulat in Istanbul durchsucht. USMedien berichteten, die saudische Regierung plane, den »versehentlichen Tod« einzuräumen. Insgesamt neun Stunden lang durchsuchten Ermittler der türkischen Polizei am Montag das Generalkonsulat Saudi-Arabiens in Istanbul, während draußen einige Demonstranten und viele Journalisten warteten, auf Aufklärung hofften. Was geschah mit Jamal Khashoggi?
Diese Frage war dennoch auch am Dienstag noch genauso offen, wie sie es am 2. Oktober war, jenem Tag, an dem der ehemalige Berater des einstigen saudischen Geheimdienstchefs
Das Königreich wolle dabei besonders hervorheben, dass der gegen Khashoggi gerichtete Einsatz ohne Genehmigung von oben abgelaufen sei.
Turki bin Faisal und spätere Kolumnist und Regimekritiker das Konsulat betrat, um Papiere für seine Hochzeit abzuholen. Die türkische Polizei wirft den saudischen Behörden vor, Khashoggi im Konsulat ermordet zu haben; Saudi-Arabien bestritt dies bisher, Khashoggi habe das Konsulat wieder verlassen. Doch Belege für die eine oder die andere Version gibt es nicht, auch wenn die türkischen Behörden und ausnahmslos alle Medien immer wieder davon sprechen, die Beweise seien eindeutig: Man habe eine Aufzeichnung der Ermordung; außerdem habe, berichteten türkische Zeitungen, die Apple-Uhr Khashoggis Schreie aufgezeichnet. Aber auch wenn türkische Ermittler und Regierungsmitarbeiter derzeit viel und ausführlich mit den Medien sprechen: Die angesprochenen Beweise will man nicht veröffentlichen; was Fakt ist, was Fiktion, lässt sich deshalb derzeit nicht mit der notwendigen Gewissheit sagen.
Bei der Durchsuchung des Konsulats seien »mögliche Spuren giftiger Substanzen« gefunden worden, sagte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan am Dienstag; sie seien überstrichen worden. Und der USSender CNN berichtete unter Berufung auf zwei anonyme Quellen, die saudi-arabische Regierung bereite derzeit eine Stellungnahme vor: Khashoggi sei bei einem Verhör getötet worden; der Einsatz sei ungenehmigt gewesen. Das Königreich wolle dabei besonders hervorheben, so CNN weiter, dass der gegen Khashoggi gerichtete Einsatz ohne Erlaubnis von oben abgelaufen sei – und dass die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen würden. Auf der anderen Seite warfen saudi-arabische Medien unterdessen den Regierungen Katars und der Türkei vor, die Affäre inszeniert zu haben, um Saudi-Arabien damit international zu isolieren.
Doch tatsächlich sind die Auswirkungen für Saudi-Arabien bislang gering: Mehrere europäische Außenminister, darunter auch Bundesaußenminister Heiko Maas, forderten rasche Aufklärung. Die UN-Menschenrechtskommissarin Michelle Bachelet verlangte die Aufhebung der Immunität saudischer Diplomaten. Und USPräsident Donald Trump drohte mit »harten Maßnahmen«, wovon er al- lerdings ziemlich schnell wieder abließ: Nach einem Telefonat mit dem saudischen König Salman sagte er Journalisten im Weißen Haus, »vielleicht« steckten »schurkenhafte Killer« hinter dem Verschwinden Khashoggis: Wer weiß? Der saudische König habe ein »sehr, sehr starkes« Dementi geliefert. Kurz darauf wurde Außenminister Mike Pompeo zu Gesprächen nach Riad entsandt.
Schon zuvor hatte Trump zudem die auch von einigen republikanischen Politikern geäußerte Forderung nach einer Einschränkung amerikanischer Waffenlieferungen zurückgewiesen: Dies sei keine Strafmaßnahme, weil die Waffen in den USA hergestellt werden, » damit würden wir uns selbst bestrafen«, so Trump. Saudi-Arabien ist der weltweit größte Abnehmer für amerikanische Rüstungsgüter. Während sei- ner ersten Auslandsreise als Präsident hatte Trump in Saudi-Arabien Zusagen für Waffendeals im Wert von mehr als 100 Milliarden Dollar erhalten. Gleichzeitig steht das Königreich im Kongress schon seit Monaten wegen seiner Kriegsführung in Jemen in der Kritik. Das Verschwinden Khashoggis, der als Kolumnist unter anderem für die »Washington Post« arbeitet, hat diese Kritik weiter verstärkt.
Gleichzeitig sind die wirtschaftlichen und strategischen Verbindungen der Trump-Regierung zu SaudiArabien umfangreich: Die Iran-Strategie Trumps baut auch auf der Rolle Saudi-Arabiens als Verbündeter auf; würde Trump nun Rüstungsexporte stoppen, hätte dies zudem wahrscheinlich auch den Verlust von Aufträgen für US-Rüstungsschmieden zur Folge.