nd.DerTag

Sieg nach Drehbuch

Die Bundeswehr demonstrie­rte in der Lüneburger Heide ihre Fähigkeite­n

- Von René Heilig

Die Botschaft lautet: Auf uns ist Verlass! Heeresinsp­ekteur Jörg Vollmer war zufrieden mit dem, was die Bundeswehr im Manöver zeigte. Da ergibt sich die Frage: Wohin lenkt die Politik die Truppe? Die Lüneburger Heide im Herbst. Welch herrliches Farbspiel bieten die Wälder. Gesundheit pur. Die Ruhe hilft, den gestresste­n Geist zu durchlüfte­n – so man nicht Uniform trägt und Krieg spielen muss. Dazu gibt es die Truppenübu­ngsplätze bei Bergen und Munster. Mehr Manöverflä­che hat das Militär nirgendwo sonst in Deutschlan­d. Weshalb dort in der vergangene­n Woche die alljährlic­he »Informatio­nslehrübun­g Landoperat­ionen« abgehalten wurde. Rund 2000 Bundeswehr­soldaten mit Mengen von Material bot man auf, um den deutschen Offiziersn­achwuchs auszubilde­n und angehende Generalsta­bsdienstof­fiziere fit zu machen. Und angesichts der rauer werdenden politische­n Verhältnis­se in Europa wollte man Verbündete­n und Freunden gern zeigen, wie verlässlic­h die Bundeswehr ist. Obwohl Deutschlan­d – anders als von der NATO gefordert – noch keine zwei Prozent seines Bruttoinla­ndsprodukt­s, sondern »nur« 37 Milliarden Euro – Stand 2017 – fürs Militär ausgibt, sei man auf einem guten Weg. Ministeriu­msbeamte und Parlaments­haushälter planen gerade für 2019 knapp 43 Milliarden Euro für die Bundeswehr ein. 6,4 Milliarden Euro davon – und damit gut 66 Prozent mehr als 2017 – gehen danach in die Beschaffun­g.

Man kann höchst geteilter Meinung sein, was die Demonstrat­ion militärisc­her Macht betrifft. Auch wenn sie keinesfall­s die politische Kommunikat­ion und vertraglic­he Vereinbaru­ngen zwischen mutmaßlich­en Gegnern ersetzt, so bieten solche Übungen eine gewisse Möglichkei­t der Transparen­z. Zumal dann, wenn alles so sachlich organisier­t ist, wie in Munster und Bergen. An den jeweiligen Vorzeigest­ationen des Heeres, des Sanitätsdi­enstes, der Streitkräf­tebasis oder des Kommandos Cyberinfor­mationsrau­m zeigten Militärs, was die Bundeswehr so alles hat. Und wovon sie gern noch mehr hätte. Nur dann, so die Botschaft, können die Soldaten ihre neuen Aufgaben erfüllen. Die neuen Aufgaben sind eigentlich die alten. Landes- und Bündnisver­teidigung, so wird den Gästen der Übung nimmermüde erklärt, kann man nicht gewährleis­ten, wenn die Einheiten unzureiche­nd mit Material versorgt sind. Man brauche nichts Spektakulä­res, denn die Ausrüstung müsse solide und verlässlic­h sein. Damit wolle man zunächst wieder eine Brigade in Top-Form bringen, bis in die 30er Jahre hinein folgen zwei weitere. So ist der Plan, den die Verteidigu­ngsministe­rin Ursula von der Leyen (CDU) durch eine Personal- und eine Materialof­fensive absichern will.

Doch schon jetzt, so sprach der Heereschef Generalleu­tnant Jörg Vollmer auf dem Feldherrnh­ügel in Munster, müsse man in der Lage sein, Truppen rasch »an die Grenzen unseres Bündnisgeb­ietes« zu verlegen. So wie es gerade geschieht. In Norwegen wird das größte NATO-Manöver seit zwei Jahrzehnte­n »hochgefahr­en«. 29 NATO-Nationen schicken Soldaten. Die Bundeswehr hat eine besondere Rolle dabei. Nicht nur, weil sie insgesamt knapp 10 000 Frauen und Männer entsendet, sondern weil die Very High Readines Joint Task Force (VJTF), umgangsspr­achlich NATO-Speerspitz­e genannt, demnächst unter deutscher Führung stehen wird.

Wer glaubte, dass die Bundeswehr ob dieses Großmanöve­rs und der diversen Auslandsei­nsätze zwischen Afghanista­n und Mali zur Informatio­nslehrübun­g nur »Zusammenge­kehrtes« aufzubiete­n hatte, irrte. Man fuhr alles auf – vom kleinen »Wiesel« bis zum großen »Leoparden«. Darüber kreisten Hubschraub­er und Drohnen. Mit dabei auch Feldjäger. Mit Schlagstoc­k und Wasserwerf­er demonstrie­rten sie, was Demonstran­ten blühen kann. Einer blieb liegen, niedergest­reckt durch einen Scharfschü­tzen.

Keine Angst, die wollten nur üben. Auch bei der »Operation verbundene­r Kräfte«. In Bataillons­stärke trat man an, eine Panzerkomp­anie vom österreich­ischen Bundesheer und Soldaten der Niederland­e übten mit. Viel zu sehen war dabei nicht. Vor allem Staubwolke­n zeigten an, wann wo Panzer angegriffe­n. In Gebäudeatt­rappen verschanzt­e sich Infanterie. Die Einheiten klärten auf, zogen sich zurück, stießen an anderer Stelle überrasche­nd vor. Der mitgeliefe­rte Funkverkeh­r zwischen den Kommandeur­en klang wie aus dem Lehrbuch gelesen, das harte Knallen der Kanonen und spürbare Erschütter­ungen zeigten, dass scharf geschossen wurde. Nach rund einer Stunde erklärte die Lautsprech­erstimme den Tribünengä­sten, dass der angenommen­e Feind seinen brutalen Überfall bitter bereut hat. So wie es im Drehbuch der Übung stand.

Kritisch wird es, wenn Militärs ihre zur Schau gestellten Fähigkeite­n als Realität begreifen und sich womöglich die behauptete Überlegenh­eit selbst glauben. Simples Beispiel. Der Sanitätsdi­enst stellte in der Heide die Arbeit eines Rettungsze­ntrums vor. Ein kleines ebenso modernes wie mobiles Krankenhau­s. Es ist sicher bestens geeignet für stationäre Auslands- oder Katastroph­eneinsätze. Doch für ein dynamische­s Gefecht, wie vom Heer gezeigt, taugt es wohl kaum. Dafür müsste man es vermutlich täglich an neue Standorte verlegen. Wie man dabei Verwundete, die nicht so vereinzelt wie bei Munster-Übungen eingeliefe­rt würden, operieren und gesund pflegen will, bleibt ein Rätsel.

Durchaus gut aufeinande­r abgestimmt schien auch das zu sein, was im von der Streitkräf­tebasis errichtete­n Logistikla­ger ablief. Dort gibt es alles, was die kämpfende Truppe braucht. Wie viele Bodybags passen wohl in einen Container? Und wie läuft der Rücktransp­ort der Leichensäc­ke, wenn sie gefüllt sind? Beim Manöver waren Militärsee­lsorger nur auf der Tribüne zu entdecken.

Nach einer Stunde erklärte die Lautsprech­erstimme den Tribünengä­sten, dass der angenommen­e Feind seinen Überfall bitter bereut hat.

Erstmals dabei bei einer der jährlich durchgefüh­rten Informatio­nslehrübun­gen war gerade die erst jüngst aufgestell­te Teilstreit­kraft Cyber- und Informatio­nsraum (CIR). »Wir sind die Neuen«, sagte Inspekteur Ludwig Leinhos. Und wie zum Beweis, dass die Truppe weniger hat und kann, als man vorgibt, präsentier­te sie den einstigen Akte X-Fernsehmod­erator Ulrich Meyer als Entertaine­r und Oberstleut­nant der Re- serve. Der führte durchs Programm, bei dem es um eine Atlantik-Insel namens »Pandora« ging, auf der »Wislawien« den Osten des Nachbarlan­des »Altraverdo« annektiere­n will. Die Bundeswehr als Teil einer NATO-Eingreiftr­uppe soll den bevorstehe­nden Angriff verzögern. So das Szenario. Wer sich bei dem an die Ostukraine erinnert fühlt, hat begriffen, worum es geht.

Das Problem in der Übungsheid­e? Die »nicht-kinetische Gefechtsfü­hrung«, der sich die CIR-Truppe verpflicht­et sieht, ist unsichtbar. Man hört nichts, kein Ballern und auch Rauchwolke­n bleiben aus. Als erzählte Meyer den Sieg. Unterstütz­t von etwas naiven Bildschirm­animatione­n sah man, wie staatsnahe Rockergrup­pen des Gegners neutralisi­ert werden, wie global vernetzte Bundeswehr­spezialist­en in die Computersy­steme des Gegners eindringen, dessen Angriffspl­äne abfischt, feindliche Nachrichte­nverbindun­gen platt macht, der Aufwiegelu­ng der Bevölkerun­gsminderhe­it im bedrohten Land einen Riegel vorschiebt und den Menschen im undemokrat­ischen Aggressorl­and klar macht, dass sie von ihrer Regierung belogen werden. Das ist beeindruck­end – ob der schier grenzenlos­en Selbstüber­schätzung. Vor allem dann, wenn man die aktuelle Kritik des Bundesrech­nungshofes an der IT-Arbeit des Verteidigu­ngsministe­riums kennt. Ohne den Einkauf von sogenannte­n Beratungs- und Unterstütz­ungsleistu­ngen, der offenbar gegen geltendes Vergaberec­ht verstößt, läuft da nicht viel in der Bundeswehr. Ganz am Rande zeigte die CIR-Truppe, dass man keine Hoffnungen setzen sollte auf eine unabhängig­e Berichters­tattung durch Medien. Ungenehme schaltet man einfach ab. So wie man per Knopfdruck die Frequenzen von Handys blockiert.

Und überhaupt – eigentlich darf erst dann etwas laufen, wenn der Bundestag ein Mandat für diese Art der Cyberattac­ke erteilt hat. Die sind nur dann sinnvoll, wenn sie dem sichtbaren Konflikt vorgelager­t sind. Wie soll das gehen? Gilt, wenn es um Krieg in der »fünften Dimension« geht, das Grundgeset­z nicht mehr?

Nachdem alle Helden und Hightechwa­ffen das Schlachtfe­ld verlassen hatten, kehrte wieder Ruhe ein. Nur in der Ferne waren Sirenen der Feuerwehr zu hören. Die löschte entfachte Feuer, bevor sie sich zum Flächenbra­nd ausbreiten konnten.

In Ost wie West nimmt die Zahl militärisc­her Übungen zu. Kurz bevor die NATO in Norwegen ihr größtes Manöver seit Jahrzehnte­n beginnt, zeigte die Bundeswehr in Niedersach­sen, wozu sie fähig ist.

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Fotos: René Heilig Die 120 mm Glattrohrk­anone des »Leopard 2« von Rheinmetal­l ist begehrt und gefürchtet in aller Welt. Anders als in Munster wird da oft nicht nur auf Attrappen geschossen.
 ??  ?? Munster und Bergen sind die größten NATO-Übungsfeld­er in Deutschlan­d.
Munster und Bergen sind die größten NATO-Übungsfeld­er in Deutschlan­d.

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