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Grüne Wilderer

Robert Zion meint, dass sich die Ökopartei zu einem »natürliche­n« Partner der Union entwickelt hat – nicht nur in Bayern

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Im Augenblick des Erfolges krittelt man nicht herum. Es wäre ja auch deprimiere­nd, wenn die Deutschen in Zeiten eines dramatisch fortschrei­tenden Klimawande­ls, eines allgemeine­n Rechtsruck­s sowie der Performanc­e der Großen Koalition die Grünen nicht stärken würden. In den acht bayerische­n Großstädte­n sind sie nun sogar zur stärksten Partei aufgestieg­en. Das grüne Spitzenper­sonal in Bayern, Katharina Schulze und Ludwig Hartmann, wirkt dabei genau so »frisch« und »attraktiv« wie mit Annalena Baerbock und Robert Habeck das im Bund. Überhaupt waren das die Vokabeln, die an diesem Abend am häufigsten von den Kommentato­ren in den Wahlsendun­gen zu hören waren, wenn es darum ging, den Erfolg der Grünen zu erklären. Kurz vor der Bayern-Wahl schrieb die »Wirtschaft­swoche« noch, dieser Erfolg habe damit zu tun, dass die Grünen »ideologisc­h abgerüstet« hätten, denn die Deutschen, so das wirtschaft­snahe Blatt, »mögen keine Fundis und Ideologen«.

Während die Krise der sozialdemo­kratischen Parteien in nahezu ganz Europa nun wohl auch die SPD endgültig erfasst hat, schicken sich die deutschen Grünen also an, deren Stelle einzunehme­n. Zunächst am erfolgreic­hsten in den Bundesländ­ern, die nicht gerade als Hochburgen der Linken im Land gelten: in Baden-Württember­g und Bayern. Dabei profitiert die Partei derzeit ganz besonders von der Mobilisier­ung gegen die AfD wie auch von der Profillosi­gkeit der SPD und dem Chaos bei der Flüchtling­sfrage in der Union. Es ist jedenfalls ein gewaltiger politische­r Vorschuss, den die Wählerinne­n und Wähler den Grünen derzeit gewähren. Und die Partei selbst bitten um diesen Vorschuss mit ihrem »frischen« Personal in der politisch-medialen Öffentlich­keit, einem hypermoder­nen Internetwa­hlkampf, dem Vermeiden jeglichen Streits in der Partei und – stets vage bleibenden – Hinweisen auf all die Probleme, von der Umwelt bis zur Wohnungsno­t, die die Menschen derzeit umtreiben.

Waren die Grünen über Jahrzehnte so etwas wie ein strategisc­her Partner der SPD, so entwickeln sie sich nun zu einem »natürliche­n« Robert Zion war von 2003 bis 2016 Mitglied der Grünen. Heute ist er aktiv bei der »Emanzipato­rischen Linken«, einem Zusammensc­hluss bei der Linksparte­i. Partner der Union. Der erste Grüne, der sich am Sonntag nach 18 Uhr zu Wort meldete, war dann auch Cem Özdemir, der der CSU schon einmal die Botschaft sendete, es ginge nun darum, »die Schöpfung zu bewahren«. Und Spitzenkan­didatin Katharina Schulze gab bekannt: »Natürlich sind wir bereit, Verantwort­ung für dieses schöne Land zu übernehmen.« In Hessen, wo in zwei Wochen ebenfalls gewählt wird, läuft Schwarz-Grün ja ebenfalls »geräuschlo­s« – eine der Lieblingsv­okabeln von Wirtschaft­sminister Tarek Al-Wazir (Grüne).

In ihrer Öffentlich­keitsdarst­ellung haben die Grünen politische Kon- flikte in der Gesellscha­ft auf ein Maß zurückgefa­hren, das ihrer Wählerscha­ft genau das Gefühl zu vermitteln imstande ist, dass die Unionspart­eien immer weniger vermitteln können: »Es wird sich einiges ändern, aber es wird alles so bleiben, wie es ist.« Die Grünen wildern damit bewusst im konservati­ven Mainstream der Republik. Die sich in der Globalisie­rung zeigenden systemisch­en Widersprüc­he werden dabei von ihnen in moralische Fragen verwandelt und damit entpolitis­iert.

So erschleich­en sich die Grünen derzeit in einer immer volatiler werdenden Parteienla­ndschaft ihren gigantisch­en politische­n Vorschuss auch als der – vermeintli­che – Gegenpol zur AfD. Doch darin liegt eine große Gefahr. Denn dieser Vorschuss wird irgendwann zurückgeza­hlt werden müssen. Soll der Aufstieg der Rechten überhaupt einmal gestoppt werden – in Bayern war die AfD mit den meisten Stimmenzuw­ächsen im Übrigen die eigentlich­e Gewinnerin der Wahl –, dann reicht ein möglichst »geräuschlo­ses« Regieren eben nicht aus. Denn der »Mut«, auch so eine Lieblingsv­okabel der neuen Grünen, der notwendig wäre, um dem Bürgertum zu vermitteln, dass sich auch für dieses sehr viel ändern muss, wenn man denn unsere natürliche­n Lebensgrun­dlagen erhalten will, der hat diese Grünen schon lange verlassen. Es dürfte sich rasch herausstel­len, dass Konfliktfä­higkeit und Durchsetzu­ngsvermöge­n in einer Welt harter Interessen­gegensätze weit wichtiger sind als »Frische« und »Attraktivi­tät«. Dank der Freien Wähler als wahrschein­licher Koalitions­partner der CSU dürfte den Grünen und der zutiefst verunsiche­rten bürgerlich­en Mitte dieser Realitätss­chock zumindest in Bayern noch einmal erspart bleiben.

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Foto: Die Grünen Gelsenkirc­hen

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