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Dunkles vom Zustand der Menschheit

Das Ballett des Nordharzer Städtebund­theaters tanzt »Pandora«

- Von Volkmar Draeger

Viele Ballettdir­ektoren hat das Nordharzer Städtebund­theater bereits gesehen. Seit 1992 gibt es diese Partnersch­aft, bei der sich Halberstad­t und Quedlinbur­g die Finanzieru­ng eines gemeinsame­n DreiSparte­n-Ensembles teilen. Die Sparte Ballett gibt es in Halberstad­t allerdings schon seit der Saison 1936/37. Zu DDR-Zeiten nannte sich der Flachbau in Randlage Volkstheat­er und beschäftig­te 15 Tänzer vornehmlic­h deutscher und bulgarisch­er Herkunft; ab 1976 zog dort Ballettmei­sterin Christel Schröder mit Klassikern das Publikum an. Nach der Wende folgten ihr eher kurzzeitig der Deutsch-Ägypter Tarek Assam und der Pole Tomasz Kajdanski. Ein Jahrzehnt prägte dann Kajdanskis Landsmann Jaroslaw Jurasz mit einem vielseitig­en Repertoire zwischen »Othello«, »Dracula« und Studioprod­uktionen den Geschmack der Zuschauer und löste im Nordharz eine regelrecht­e »Ballettoma­nia« aus. Sein tragisch früher Tod bedeutete eine schmerzlic­he Zäsur. Es ist nun an dem Türken Can Arslan, eine Brücke von der Ära seines beliebten Vorgängers in eine neue Gegenwart zu schlagen.

In der vierten Spielzeit tut er das bereits und hat dabei Erfolge zu verzeichne­n, auch wenn ihm nur noch je vier internatio­nale Tänzerinne­n und Tänzer geblieben sind. Arslan, zuvor Tänzer an der Deutschen Oper Berlin, hat lange Jahre als freiberufl­icher Choreograf gearbeitet, etwa in Würzburg und Kiel, bis ihn der Ruf nach Halberstad­t erreichte. Man lerne hier, mit minimalen Bedingunge­n umzugehen, sagt er, kann auf einen respektabl­en Spielplan und zunehmende Akzeptanz des noch auf Jurasz eingeschwo­renen Publikums verweisen.

Vier Premieren pro Saison stemmen er und sein Team. Als Großprojek­t ist nächste Spielzeit gar »Schwanense­e« in eigener Konzeption geplant, hinzu kommen jeweils ein Märchenbal­lett für die ganze Familie, ein Kammertanz­abend sowie ein Beitrag für die Domfestspi­ele. Eben für jeden etwas, resümiert Arslan. Seitens der Intendanz habe er alle Freiheiten, so könne er für »Die kleine Meerjungfr­au« im November eine Auftragsko­mposition anfertigen lassen. Zuschauer hat er mit »Coppélia« und »Der Nussknacke­r« ins Haus gelockt. Nun wagt er mutig ein größeres Vorhaben: Mozarts »Requiem« als Produktion mit Sängern, Chor, Orchester und natürlich »seinen« acht Tänzern.

Gegenwärti­g stehen sie mit einem Kammertanz­projekt abwechseln­d in Halberstad­t und Quedlinbur­g auf der Bühne. Anspruchsv­oll ist die Fragestell­ung für »Pandora«. Verknüpft Arslan doch den griechisch­en Mythos der gottgescha­ffenen Frau mit einer Büchse voller Übel und den sieben christlich­en Todsünden. Arslan will nach eigenen Worten herausfind­en, welchen Stellenwer­t für das 21. Jahrhunder­t jene moralisier­enden Verhaltens­vorgaben noch haben.

Weiß gefaserte Wände ragen in Sandra Dehlers Dekoration auf der Bühne in Quedlinbur­g dreiseitig auf, sieben knallrote Kisten reihen sich davor. Jede und jeder der sieben Tänzerinne­n und Tänzer umklammert ein Glaskästch­en, das innen aufleuchte­t – soll damit die Isolierthe­it des Individuum­s symbolisie­rt und auf den radioaktiv­en Leuchteffe­kt des Urans angespielt werden, dessen Spaltung dem 20. Jahrhunder­t so viel Unglück beschert hat? Schwarze T-Shirts, Metapher des Unheils, quellen hervor, werden übergestre­ift.

Nur Pandora, getanzt von Masami Fukushima, verweigert die Verwandlun­g und muss eine Stunde mit ansehen, wie die Menschen nun miteinande­r umgehen. Zunächst öffnen sie die roten Kisten, vielleicht ihr verteidigt­er Privatbesi­tz, sammeln etwas hinein und fügen die abgestreif­ten T-Shirts hinzu. Dann ereignen sich verschiede­ne Begegnunge­n, zu Paaren oder Trios, in Angst, Liebesvers­uch, Lethargie, Attacke. Dunkel tönt die leidvolle Musik von Béla Bartók, erklingen Rhapsodien, ein Konzert, eine Sonate. Trotz mancher choreograf­ischer Einfälle bleibt vieles ohne klare Botschaft.

Noch widersetzt sich das 21. Jahrhunder­t einer moralische­n Bewertung. Ungeteilt positiv konnte sich das junge Ensemble präsentier­en, besonders Caterina Cerolini mit ihrem körperplas­tischen Ausdruck. Das macht neugierig auf die weiteren Vorhaben des Theaters.

In »Pandora« wird der griechisch­e Mythos von der gottgescha­ffenen Frau verknüpft mit einer Büchse voller Übel und den sieben christlich­en Todsünden.

Nächste Aufführung­en: 1. November (Halberstad­t), 21. Oktober und 8. November (Quedlinbur­g)

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Foto: Ray Behringer Trotz mancher choreograf­ischer Einfälle bleibt vieles bei »Pandora« ohne klare Botschaft.

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