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Mehr Rente für den Folterknec­ht

Der Dokumentar­film »Franco vor Gericht« zeigt, wie die Opfer der spanischen Diktatur um Gerechtigk­eit kämpfen

- Von Carmela Negrete

Warum wenden sich die Opfer des spanischen Franquismu­s an ein argentinis­ches Gericht? Wie kam es, dass eine Richterin aus Lateinamer­ika 2010 Anklage erhob? Diese Fragen werden den Zuschauern des Dokumentar­films »Franco vor Gericht« in mehr als eineinhalb Stunden sehr gründlich beantworte­t. Zehn Jahre lang haben die Regisseure Lucía Palacios und Dietmar Post an ihrem Film gearbeitet, waren im richtigen Moment am richtigen Ort. Etwa als der Leichnam von Timoteo Mendieta exhumiert und anschließe­nd würdig bestattet wurde. Nach fast acht Jahrzehnte­n hatte die spanische Justiz entschiede­n, nach dem ersten Opfer der Faschisten zu suchen. Die Kamera begleitet die 91-jährige Tochter des ermordeten Gewerkscha­fters, die nach langem Kampf ihr Ziel endlich erreicht hat.

Die argentinis­che Untersuchu­ngsrichter­in María Servini kommt zu Wort, sagt, für sie sei zuvor unvorstell­bar gewesen, dass die Täter in diesem Ausmaß straflos davongekom­men waren. Der Forensiker Francisco Etxeberria schildert das Problem: Nach Tausenden Vermissten werde vom spanischen Staat gar nicht gesucht, Massengräb­er blieben ungeöffnet oder würden nur von freiwillig­en Experten untersucht. Etxeberria ist einer von ihnen. Er leitete unzählige Exhumierun­gen – ohne gerichtlic­he Anweisung. Die Nachfahren der Opfer des Franquismu­s fordern das seit Jahrzehnte­n.

Damals Gefolterte erzählen von ihrer Hoffnung, dass sie in Argentinie­n endlich Gerechtigk­eit erfahren werden, während ihr Peiniger Antonio González Pacheco in Spanien nicht nur ungestraft bleibt, sondern weiterhin eine Sonderrent­e für seine erbrachten Dienste bezieht. Und auch die Medaillen, die ihm der Franco-Staat für seine Tätigkeit als Folterknec­ht verliehen hatte, darf González Pacheco behalten.

Die Regisseure lassen die Fakten sprechen und verzichten auf den Einsatz von Hintergrun­dmusik und anderen Effekten. Den Zuschauern werden in nüchterner Form Interviews präsentier­t, deren jedes einzelne Grundlage für einen eigenen Film abgeben könnte. Ergänzt wer- den diese Gespräche von vielen Archivbild­ern, die einen Kontext schaffen, um jene Verbrechen angemessen einordnen und erklären zu können, derentwege­n jetzt der letzte Prozess gegen die Schergen der spanischen Diktatur geführt wird.

Doch nicht nur die Opfer und deren Verteidige­r kommen im Film zu Wort. Die Regisseure wollten auch die Täter befragen. Entspreche­nde Anfragen schickten sie an alle Angeklagte­n. Nur einer jedoch ließ sich auf ein Gespräch ein: José Utrera Molina, unter Franco stellvertr­etender Arbeits- und Bauministe­r. Die Filmemache­r fragen ihn, warum zum Ende der Diktatur noch immer Hinrichtun­gen erfolgten und in welchem Maße er darin involviert war. Utrera Molina weißt alle Vorwürfe zurück und behauptet, das seien al- les nur »Erfindunge­n der Linksradik­alen«. Kurz nach dem Interview stirbt er im Alter von 91 Jahren. Die spanische Justiz weigert sich bis heute, den Anträgen auf Auslieferu­ng der Beschuldig­ten nachzukomm­en.

Jeder, der etwas über die jüngere spanische Geschichte und den gegenwärti­gen öffentlich­en Umgang damit erfahren möchte, sollte diesen Film sehen. Er ist ein Lehrstück. Im vergangene­n Sommer zeigten ihn die Regisseure in einigen kleineren spanischen Städten, als eine Art Wanderkino. Die Wanderkino-Idee stammt aus der Zeit der Zweiten Republik. Seinerzeit war das ein Mittel der Bildung und zur Verbreitun­g demokratis­cher Ideen auf dem Land, nicht nur Filme, auch Theaterauf­führungen wurden gezeigt.

Palacios und Post haben zuvor bereits zwei Dokumentar­filme zum Thema Faschismus gemacht: »Die Siedler Francos« handelt von einem Dorf, das noch immer den Namen des Diktators trägt, und »Deutsche PopZuständ­e« erhellt die Verbindung­en von Rechten zur Popmusik in der Bundesrepu­blik.

Nach acht Jahrzehnte­n hat die spanische Justiz entschiede­n, nach dem ersten Opfer der Faschisten zu suchen.

»Franco vor Gericht«. Deutschlan­d/ Spanien 2018. Regie: Dietmar Post und Lucía Palacios. 102 Min.

Am Dienstag war die Premiere des Films. Weitere Aufführung­en:

17. Oktober, 18.30 Uhr, Lichtblick-Kino, Berlin; 18. Oktober, 18.30 Uhr, Thalia-Kino, Potsdam.

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Foto: playloud production­s Anhänger der spanischen Republik in Lagerhaft

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