Wo ist der Laden um die Ecke hin?
Das große Geld verdrängt in den Innenstädten die kleinen Ladenbesitzer
Der stationäre Einzelhandelsumsatz stieg in den vergangenen zwölf Monaten bundesweit um 2,5 Prozent. Viele inhabergeführte Geschäfte müssen trotzdem weichen. Das Blumenhaus Radau musste nach 89 Jahren schließen. Einst kauften hier Helmut Schmidt und Freddy Quinn ihre Sträuße ein, zuletzt Musicalsängerin Carolin Fortenbacher und viele alteingesessene Bewohner des Hamburger Stadtteils Eppendorf. Doch als der Mietvertrag des kleinen Ladens auslief, wollte der Hauseigentümer richtig Kasse machen: Die Miete sollte auf horrende 5500 Euro steigen. Viel zu viel für Inhaberin Holle Jaziri, die schon als Schülerin im Blumenhaus ihr Taschengeld aufgebessert hatte. Jaziri schloss kürzlich das 1929 gegründete Geschäft für immer und verabschiedete schweren Herzens ihre vier Angestellten.
Das Blumenhaus Radau ist das neueste Opfer in einer langen Reihe. Zuerst gab das Warenhaus Karstadt auf. Jahrzehntelang war es der »Ankermieter« im Stadtteil, der für hohe Besucherzahlen sorgte, von denen auch das umliegende Viertel profi- tierte. In den vergangenen Jahren mussten dann viele inhabergeführte Geschäfte in Hamburg-Eppendorf den Miethaien weichen: Läden mit Sportartikeln und Haushaltswaren machten dicht; beliebte Apotheken und Restaurants schlossen ihre Pforten.
Zum Ladensterben trägt die Geizist-geil-Mentalität vieler Verbraucher mit bei. Discounter wie »Blume 2000« kosten klassische Blumenläden Umsatz. Andere Einzelhandelszweige wie Elektronik, Spielzeug oder Buch leiden besonders unter der Billigkonkurrenz der Onlinehändler. Wer dennoch vor Ort überlebt, den erledigen dann exorbitant steigende Mieten.
In die leer stehenden Immobilien ziehen unpersönliche Filialen von Konzernen, die mittlerweile jede Innenstadt dominieren. Zudem drängen mittlerweile auch Onlinehändler wie Amazon in den stationären Handel. Andere Leerstände füllen ModeBoutiquen und Schnickschnackläden, so erzählen Anwohner, die »gelangweilte Ehefrauen führen, denen es nicht aufs Geld ankommt«. Andere Neugeschäfte sind offenbar Abschreibungsmodellen geschuldet oder dienen der Schwarzgeldwäsche.
Eppendorf ist heute überall im Land. Um Toplagen wird in großen und kleinen Städten gerangelt. Und Attraktivität hat zunehmend ihren Preis: Die Kaufpreise für Geschäfte in begehrten Lagen sind seit der Finanzkrise bis auf das 41-fache gestiegen, meldet der Fachinformationsdienst »Handelsimmobilien Report«. Für »kleine« Gewerbetreibende bedeutet der rasende Preisanstieg oft das Aus.
Aufgeblasen wird die Preisblase vom wachsenden Reichtum in Teilen der Gesellschaft und der Wirtschaft sowie den historisch niedrigen Zinsen für Bankkredite, die zum Kauf von Immobilien genutzt werden. Durch das billige Geld können Investoren ihre Eigenkapitalrenditen leicht »hebeln«.
Die starke Nachfrage nach lukrativen Investments treibt die Preise für Häuser und damit auch die Mieten in bislang ungeahnte Höhen. Über 57 Milliarden Euro wurden 2017 bundesweit in den Kauf von Gewerbeimmobilien investiert. Nur knapp 16 Milliarden in Wohnhäuser, hat das Beratungsunternehmen EY ermittelt. Etwa die Hälfte der Milliarden, mit denen Gewerbeimmobilien erworben wurden, floss in Toplagen. Inzwischen habe der Mangel an »Produkten« zugenommen, was zu »Investments in Nebenlagen und Nischenprodukten« fließe, heißt es bei EY.
Das Interesse der Investoren an Immobilien wächst weiter. Befeuert von der Niedrigzinspolitik der Notenbanken bleiben neben Aktien praktisch nur Immobilien als lukrative Anlage. Dies zeigte Anfang Oktober die 21. Internationale Immobilienmesse »Expo Real« in München. 2095 internationale Unternehmen, Städte und Regionen als Aussteller waren ein Rekord. Und auch bei der Teilnehmerzahl, darunter viele Stadtoberhäupter und Regierungsvertreter, verzeichnete die Messe ein dickes Plus. »Wir haben noch drei gute Jahre«, so der Tenor einer Expertenbefragung.
Die Blase bei Handels- und Wohnimmobilien erdrückt nicht allein Blumenläden, sondern auch Handwerker. Steigende Gewerbemieten vertreiben die Betriebe aus den angestammten Innenstadtlagen und Wohngebieten. Die Folge sind längere Anfahrtswege für die Berufstätigen und höheres Verkehrsaufkommen in den Kommunen. In Hamburg hat die Handwerkskammer reagiert und errichtet zusammen mit der Stadt in zentraler Lage die »Meistermeile«. Anfang 2019 sollen in die vier Geschossebenen 70 Betriebe einziehen, »zu fairen Mietpreisen«.