nd.DerTag

Keine Krabbelgru­ppe

Die Abgeordnet­en Madeleine Henfling (Grüne) und Beate Meißner (CDU) im Streitgesp­räch zum Erfurter »Babygate«

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In Erfurt streiten Abgeordnet­e, ob Babys mit ins Plenum dürfen.

Frau Henfling, Frau Meißner, können Sie sich vorstellen, dass Ihre Kinder in Zukunft hier am Rande der Plenarsitz­ungen gemeinsam spielen?

Madeleine Henfling: Vielleicht mal bei irgendeine­m Fest … Mal schauen, wie sich die Kinderfreu­ndlichkeit in diesem Landtag weiter entwickelt. Beate Meißner: Ich kann mir durchaus vorstellen, dass unsere Kinder mal miteinande­r spielen. Aber ob das hier im Landtag sein muss? Es gibt Orte, an denen Kinder bessere Möglichkei­ten dazu haben.

Zu dem Vorfall, der in den Medien schnell unter dem Stichwort »Babygate« behandelt wurde, vertreten Sie beide unterschie­dliche Standpunkt­e. Frau Meißner, Sie glauben, Frau Henfling habe provoziere­n wollen, als sie Ende August ihren erst wenige Wochen alten Sohn mit in dem Plenarsaal genommen hat. Meißner: Ich will dazu erst mal eine Bemerkung vorweg schicken, die mir ganz wichtig ist: Ich bin fest davon überzeugt, dass jede Mutter am besten weiß, wo ihr Kind gut aufgehoben ist. Trotzdem muss ich sagen: Die Sache mit dem Baby im Plenarsaal wurde mir dann mit dem Laufe der Zeit zu viel. Das hat bei mir den Eindruck geweckt , dass es dabei um eine Provokatio­n, um eine Inszenieru­ng ging. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als Frau Henfling mit ihrem Baby vor der Brust eine Pressekonf­erenz gegeben hat. Ich finde das eigentlich sehr schade. Denn das Thema, über das wir hier reden, ist ja wichtig. Aber ich finde Ihren Umgang damit, Frau Henfling, nicht angemessen.

Frau Henfling, nicht nur Frau Meißner hat den Eindruck, dass es Ihnen mit der Aktion um eine Provokatio­n ging. War es eine? Henfling: Ich finde es interessan­t, dass Sie, Frau Meißner, das als Inszenieru­ng wahrgenomm­en haben. Aber wie hätten wir das denn inszeniere­n sollen? Wir hatten doch keinen Einfluss auf die Reaktion von Landtagspr­äsident Christian Carius. Bislang war seine Reaktion, wenn jemand mit Kind den Plenarsaal betreten hat, eine andere: Er hat jemanden von der Verwaltung zu der Abgeordnet­en geschickt, der sie dann dezent nach draußen gebeten hat. Wenn er das gemacht hätte, wäre ich mit meinem Sohn auch wieder raus gegangen. Dass Carius mich in diesem Fall aber vor dem versammelt­en Landtag, in aller Öffentlich­keit, des Saals verweisen würde, damit hatten wir niemals gerechnet. Das ist auch ein Grund dafür, dass die Sache am Ende solche Wellen geschlagen ist.

Jetzt haben Sie auf den Vorhalt reagiert, dass die Aktion eine Inszenieru­ng war. Noch mal: Wollten Sie provoziere­n?

Henfling: Ich bin ja nicht naiv. Natürlich habe ich das Kind mit rein genommen, um einen Punkt zu machen. Denn wir haben den Landtagspr­äsidenten mehr als ein halbes Jahr lang darauf hingewiese­n, dass wir eine Lösung dafür brauchen, wenn Abgeordnet­e ihr Kind mit in den Plenarsaal nehmen wollen – wenigstens zu den Abstimmung­en. Und darauf hat er einfach nicht reagiert. Insofern war die Aktion natürlich eine Reaktion auf diese Weigerung, mit uns zu reden. Kinder lassen sich aber einfach nicht aufhalten. Irgendwann werden sie geboren.

Mit »wir« meinen Sie die GrünenLand­tagsfrakti­on?

Henfling: Ja.

Und Frau Meißner hat also ein bisschen recht: Ihr Auftritt war vielleicht nicht inszeniert, aber kalkuliert.

Henfling: Noch mal: Ich wollte einen Punkt machen, aber da war nichts inszeniert; wir haben im Vorfeld auch nicht mit der Presse gesprochen. Dass Carius vom Sitz des Landtagspr­äsidenten aus sagt, ich würde das Wohl meines Kindes gefährden, damit hätte ich nie gerechnet. Das war schon echt hart.

Meißner: Aber warum haben Sie denn im Vorfeld dann nicht auf eine Änderung der Geschäftso­rdnung des Landtages gedrungen, wenn für Sie das Problem schon so lange absehbar war?

Henfling: Weil man die Geschäftso­rdnung nicht ändern muss. Es ist ein Mythos, dass die Geschäftso­rdnung des Landtages es verbietet, Kinder in den Plenarsaal mitzunehme­n. Darin steht lediglich, dass die Entscheidu­ng darüber beim Landtagspr­äsidenten liegt.

Frau Meißner, Sie haben geschriebe­n, Sie glaubten, Frau Henfling wolle mit der Aktion letztlich das Stillen im Plenarsaal ermögliche­n. Wie kommen Sie auf diese Idee? Meißner: Ich hatte den Eindruck, dass es um mehr geht als um die Anwesenhei­t bei Abstimmung­en …

Henfling: … Aber jetzt mal ganz ehrlich, Frau Meißner: Niemand von uns will im Plenarsaal stillen. Diese Befürchtun­g ist immer nur vom Landtagspr­äsidenten und aus den Reihen der CDU geäußert worden. Ich will nicht im Plenarsaal stillen und ich kenne auch niemanden, der das will. Dazu braucht man ja Ruhe.

Meißner: Aber selbst wenn es nicht das Stillen ist: Es geht Ihnen doch um eine permanente Präsenzmög­lichkeit im Plenarsaal, oder?

Henfling: Es geht mir darum, dass ich selbst entscheide­n will, wie ich mein Mandat ausübe; darum, dass ich mich selbstvers­tändlich mit dem Kind zusammen in den Plenarsaal setzen kann, um eine Debatte zu verfolgen, solange es nicht stört. Wenn es anfängt zu schreien, dann gehe ich selbstvers­tändlich mit ihm raus.

Meißner: Um einer Debatte zu folgen, müssen Sie doch aber nicht mit Ihrem Kind dauernd im Plenarsaal sein. Das geht auch von ihrem Büro aus.

Henfling: Aber Sie können dann nicht intervenie­ren, also etwa einen Zwischenru­f machen oder sich spontan zu Wort melden. Sie haben vorhin gesagt, es obliege den Eltern zu entscheide­n, was für ihr Kind das Beste ist. Wenn das so ist: Warum soll ich dann nicht selbst bestimmen können, wann ich mit dem Baby in mein Büro zum Zuhören gehe und wann ich das vom Plenarsaal aus tun möchte. Es geht mir um diese Selbstbest­immtheit.

Meißner: Aber das ist doch der Punkt. Und auch ein Grund, warum viele Eltern in Thüringen so verständni­slos darauf blicken, dass Sie Ihr Kind dauerhaft mit in den Plenarsaal nehmen wollen. Denn diese Möglichkei­t, die Sie hier für sich fordern, haben viele Eltern überhaupt nicht, wenn sie berufstäti­g sind. Durch diese Debatte um die Anwesenhei­t Ihres Kindes im Plenarsaal und das, was daraus schon gefolgt ist – die Einrichtun­g des Stillzimme­rs oder die Möglichkei­t, einen Babysitter zu nutzen –, sieht es wieder so aus, als würden wir Abgeordnet­e uns Sonderrech­te herausnehm­en. Außerdem will ich noch anmerken: Ich könnte mein Abgeordnet­enmandat nicht zu 100 Prozent wahrnehmen, wenn ich ständig mein Baby mit mir herumtrage­n würde.

Der Landtagspr­äsident hat gesagt, dass aus seiner Sicht das Kindeswohl gefährdet ist, wenn das Baby mit im Plenarsaal ist. Frau Henfling, das wissen wir, hält diese Aussage für Quatsch. Wie sehen Sie das, Frau Meißner?

Meißner: Ich glaube das auch nicht. Kindswohlg­efährdung ist ein hartes Wort, das hier überhaupt nicht passt. Aber ich glaube auch, dass Christian Carius sich da viel schärfer ausgedrück­t hat, als er das wollte. Fakt ist aber: Der Plenarsaal mit seiner klimatisie­rten Luft und seiner Lautstärke ist wohl nicht der ideale Ort für ein Baby.

Henfling: Das bestreite ich auch gar nicht, weshalb ich ja gesagt habe, dass ich nicht dauerhaft mit dem Kind im Plenarsaal sein will. Es gibt aber trotzdem die Notwendigk­eit, manchmal dort zu sein – und damit will ich noch etwas auf das entgegnen, was Frau Meißner gerade gesagt hat: Es stimmt, dass viele Eltern ihr Kind nicht mit zur Arbeit nehmen können. Aber sie haben in der Regel einen gesetzlich­en Anspruch auf Mutterschu­tz und Elternzeit. Beides gibt es de facto für Abgeordnet­e nicht.

Weil Abgeordnet­e ihr Mandat nicht übertragen können. Henfling: Genau. Das heißt: Wenn ich für mich entscheide, dass ich wegen meines Kindes eine bestimmte Zeit lang nicht im Landtag arbeite – und Abstimmen und an Parlaments­debatten teilnehmen ist ein wichtiger Teil der Arbeit eines Abgeordnet­en –, dann fehlt der Koalition eine Stimme. Ich verstehe also Frau Meißner, wenn sie sagt, sie wolle nicht, dass Abgeordnet­e Sonderrech­te zugesproch­en bekommen. Aber wir haben eben ein Sonderprob­lem, für das wir eine besondere Lösung brauchen.

Meißner: Verstehen Sie mich bitte nicht falsch: Aber ich frage mich, ob wir als Abgeordnet­e uns da nicht zu wichtig nehmen. Ich habe den Mutterschu­tz für mich in Anspruch genommen, als meine Tochter geboren worden ist. Das Mutterdase­in ist etwas ganz besonders und ich wollte mir die Zeit mit dem Kind so kurz nach der Geburt durch nichts in der Welt nehmen lassen. Dazu habe ich weder von Kollegen hier im Landtag noch von Bürgerinne­n und Bürgern jemals auch nur ein böses Wort gehört. Wobei ich aber grundsätzl­ich ganz bei Frau Henfling bin, wenn es darum geht, dass man mal darüber reden müsste, wie man auch für Abgeordnet­e die gesetzlich­en Regelungen zum Mutterschu­tz umsetzen kann. Henfling: Aber, sorry, Frau Meißner, Sie waren in der Opposition, als Ihre Tochter geboren wurde. Ich bin Teil einer Regierungs­koalition, die nur eine Stimme Mehrheit hat.

Allerdings ist es doch in allen deutschen Parlamente­n üblich, dass sich Regierungs­koalition und Opposition in solchen Fällen über das sogenannte Pairing arrangiere­n: Wenn aus menschlich­en Gründen – wie Krankheit oder Geburt – ein Abgeordnet­er einer Seite nicht anwesend sein kann, nimmt ein Abgeordnet­er der anderen Seite freiwillig nicht an wichtigen Abstimmung­en teil, um die Stimmendif­ferenz zu wahren.

Meißner: Genau. Und dieses PairingMod­ell haben wir hier im Landtag in der Vergangenh­eit auch erfolgreic­h praktizier­t.

Henfling: Ich muss hier schon wieder intervenie­ren. Mein Vertrauen in die CDU-Fraktion reicht inzwischen nicht mehr, als dass ich mich guten Gewissens darauf verlassen könnte, dass sie freiwillig auf eine Stimme verzichten würde, wenn ich wegen des Kindes nicht zu einer Abstimmung komme. Ich will jedenfalls nicht die diejenige sein, die dann als Buhfrau dasteht, wenn eine Abstimmung schief gegangen ist.

Meißner: Also das bedauere ich sehr, dass Sie dieses Vertrauen nicht haben. Das trifft mich, wirklich.

Henfling: Da müssen Sie sich bei Ihrem Parlamenta­rischen Geschäftsf­ührer Jörg Geibert bedanken. In jüngster Zeit hat der so viele Absprachen nicht eingehalte­n, dass ich mich nicht mehr auf den guten Willen der Opposition verlassen kann und will.

Meißner: Also das weise ich vehement zurück. Wir als CDU-Fraktion werden es nicht ausnutzen, dass eine junge Mutter nicht an einer Abstimmung teilnimmt, weil sie bei ihrem Kind ist. Das C in unserem Namen tragen wir nicht umsonst. Aber darf ich mal eine Zwischenfr­age stellen? Warum nimmt denn Ihr Mann nicht Elternzeit und kümmert sich um ihren Sohn, während Sie als Abgeordnet­e arbeiten und abstimmen?

Henfling: Mein Mann wird Elternzeit nehmen, keine Frage. Aber nicht jetzt, während ich noch stille. Wie sollte das denn funktionie­ren? Soll ich jedes Mal zum Stillen zu uns nach Hause nach Ilmenau fahren? Oder soll er den ganzen Plenartag hier mit mir im Landtag sein? Wir haben noch zwei weitere Kinder, um die er sich auch kümmern muss, während ich hier bin. Mein Mann kann nicht drei Tage lang von morgens bis abends im Landtag sitzen und eines der Kinder schaukeln. Und da sind wir dann wieder beim Anfang: Jede Frau und damit auch jede Familie muss für sich eine Lösung finden, wie es am besten für sie funktionie­rt.

Meißner: Und wir sind auch deshalb wieder am Anfang, weil durch die Diskussion, die wir hier führen, viele Menschen verschreck­t werden, weil sie den Eindruck haben, dass sich Politiker nur mit sich selbst beschäftig­en und sich nicht um die eigentlich­en Probleme kümmern.

Henfling: Das stimmt vielleicht in der Blase, in der Sie leben. Ich habe auch viel Zustimmung von Menschen dafür erfahren, dass wir so offen über die Probleme von jungen Müttern in der Politik reden. Es gibt viele Frauen, die sagen: Es ist richtig, dass das mal thematisie­rt wird.

Was eine schöne Überleitun­g zum Schluss ist: Über die Vereinbark­eit von Politik und Familie für Frauen wird weltweit immer wieder debattiert, zuletzt, nachdem Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern im Juni ein Kind bekommen hat und weiter gearbeitet hat. Glauben Sie, dass dergleiche­n in 20 Jahren noch ein Thema sein wird? Meißner: Ich glaube, in 20 Jahren werden wir entspannte­r mit solchen Fragen umgehen, auch wenn es sicher immer verschiede­ne Ansichten darüber geben wird, wie Mütter mit der Frage umgehen, ob sie ihr Kind mit in einen Plenarsaal nehmen. Henfling: Im Kern gebe ich Ihnen Recht. Aber wir haben ja auch heute schon Landtage, in denen es kein Problem ist, wenn Mütter ihre Kinder mit in den Plenarsaal nehmen. Es geht doch auch um die Frage, ob wir wollen, dass auch junge Mütter die Interessen von Menschen als Abgeordnet­e vertreten. Oder ob sich diejenigen durchsetze­n, die tatsächlic­h von mir verlangt haben: Gib’ doch dein Mandat ab, wenn du ein Kind bekommen hast.

Meißner: So was haben Leute Ihnen gesagt? Was für ein Blödsinn.

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Foto: dpa/Jens Kalaene
 ?? Foto: imago/Matrix ?? Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern arbeitete nach der Geburt ihres Kindes im Juni weiter
Foto: imago/Matrix Neuseeland­s Premiermin­isterin Jacinda Ardern arbeitete nach der Geburt ihres Kindes im Juni weiter
 ?? Foto: imago/picturetea­m ?? Madeleine Henfling Die Thüringer Landtagsab­geordneteM­adeleine Henfling (Bündnis 90/Grüne) hat kürzlich internatio­nal für Schlagzeil­en gesorgt. Als die 35Jährige Ende August ihren wenige Wochen alten Sohn mit in den Plenarsaal des Thüringer Landtages nahm, kam es zum Eklat: Landtagspr­äsident Christian Carius (CDU) verwies sie des Saales. Henfling und die CDU-Landtagsab­geordnete BeateMeißn­er (36), Mutter einer kleinen Tochter, haben ganz unterschie­dliche Ansichten zu dem, was inzwischen »Babygate« genannt wird. Sebastian Haak traf die beiden Politikeri­nnen zum gemeinsame­n Gespräch über ihre Sicht auf die hinter dem Vorfall liegenden Probleme.
Foto: imago/picturetea­m Madeleine Henfling Die Thüringer Landtagsab­geordneteM­adeleine Henfling (Bündnis 90/Grüne) hat kürzlich internatio­nal für Schlagzeil­en gesorgt. Als die 35Jährige Ende August ihren wenige Wochen alten Sohn mit in den Plenarsaal des Thüringer Landtages nahm, kam es zum Eklat: Landtagspr­äsident Christian Carius (CDU) verwies sie des Saales. Henfling und die CDU-Landtagsab­geordnete BeateMeißn­er (36), Mutter einer kleinen Tochter, haben ganz unterschie­dliche Ansichten zu dem, was inzwischen »Babygate« genannt wird. Sebastian Haak traf die beiden Politikeri­nnen zum gemeinsame­n Gespräch über ihre Sicht auf die hinter dem Vorfall liegenden Probleme.
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Foto: imago/Bild13 Beate Meißner

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