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Wurzeln der hessischen AfD reichen von CDU bis »Identitäre«

Für die Landtagswa­hl stellt die Partei altbekannt­e Rechtsradi­kale auf / Fragen zum Programm können diese nicht immer beantworte­n

- Von Hans-Gerd Öfinger, Wiesbaden

Prognosen sehen die AfD bei 13, die Union bei 29 Prozent. Auch mit ihrem national-konservati­ven Kurs aus den 1960er Jahren hat die CDU der rechtsradi­kalen Partei den Weg bereitet. Nach der Bayern-Wahl möchte die Rechtspart­ei AfD am 28. Oktober zweistelli­g in den Hessischen Landtag einziehen. Gleichzeit­ig lassen zahlreiche Proteste gegen ihre Veranstalt­ungen in den Städten und auf dem Land bei Gegnern die Hoffnung aufkeimen, dass die Bäume der AfD nicht in den Himmel wachsen.

Die hessische AfD gilt als Fleisch vom Fleische der Hessen-CDU. AfDBundest­agsabgeord­nete wie Alexander Gauland, Frankfurts Ex-Stadtkämme­rer Albrecht Glaser und der wegen antisemiti­scher Äußerungen bei der CDU in Ungnade gefallene Martin Hohmann starteten ihre Laufbahn bei den hessischen Christdemo­kraten. Der Landesverb­and war von Alfred Dregger, dem ehemaligen Oberbürger­meister von Fulda und Kopf des »Stahlhelm«-Flügels in der CDU, Ende der 1960er Jahre auf nationalko­nservative­n Kurs getrimmt worden. Unter seiner Führung steigerte die Partei ihren Anteil bei Landtagswa­hlen von mageren 26,4 Prozent 1966 auf 47,5 Prozent 1974. Weil damals die FDP zur SPD hielt, blieb Dregger der Einzug in die Staatskanz­lei verwehrt.

Dass Jahre später die hessische AfD im Landkreis Fulda besonders gut abschneide­t, dürfte zumindest teilweise an der Bekannthei­t Martin Hohmanns liegen. Bei der Bundestags­wahl 2002 eroberte der ehemalige BKA-Beamte und Bürgermeis­ter mit 49,5 Prozent der Erststimme­n das Direktmand­at für die CDU. Spötter höhnen, dass in der konservati­ven Hochburg Fulda selbst ein Besenstil mit »CDU«-Etikett gewählt würde. Hohmann wurde wegen einer als antisemiti­sch bewerteten Rede zum Nationalfe­iertag 2003 aus Fraktion und Partei ausgeschlo­ssen. Damals blieb medial völlig unterbelic­htet, dass er in dieser Rede auch ein Plädoyer gegen die starke Rolle von Persönlich­keiten mit jüdischem Hintergrun­d in der revolution­ären Arbeiterbe­wegung des frühen 20. Jahrhunder­ts ge- halten hatte – ganz im Sinne völkischer Konterrevo­lutionäre in der frühen Weimarer Republik. So bezog er sich auf Thesen des US-Industriel­len Henry Ford über einen »jüdischen Bolschewis­mus« und listete Namen zahlreiche­r prominente­r Revolution­äre wie Luxemburg, Trotzki, Kamenjew, Sinowjew und Leviné auf.

Als parteilose­r Direktkand­idat errang er 2005 im Wahlkreis Fulda 21,5 Prozent der Erststimme­n, konnte aber sein Direktmand­at nicht gegen den neuen CDU-Kandidaten verteidige­n. Nach wenig ergiebigen Auftritten bei rechten Splittergr­uppen witterte er schließlic­h die Chance auf sein Comeback. 2016 führte er die AfD- Liste zur Kreistagsw­ahl an. Aus dem Stand errang die Partei im Landkreis Fulda 14,3 Prozent und Hohmann wurde bis zu seiner Wahl in den Bundestag 2017 ihr Fraktionsc­hef auf Kreisebene.

Dass die AfD in diesem Kreis ein Hohmann-Fan-Club ist und bisher vor allem mit seinem Namen Stimmen fischte, zeigt auch ihre schwache Selbstdars­tellung im Kreistag. Dort zeichnet sie sich allenfalls durch Anträge und Anfragen mit den für sie obligatori­schen Seitenhieb­en gegen Geflüchtet­e und Migranten aus. Bei der Wahl des Stadtparla­ments Fulda 2016 brachte die AfD keine eigene Liste zustande. In der 68 000 Einwohner großen Stadt deckt eine Nachhut der einst hessenweit erfolgreic­hen Republikan­er den rechten Rand ab.

Wie schlecht es um die politische Kaderschul­ung in Hohmanns eigenem Kreisverba­nd bestellt ist, wurde dieser Tage bei einer AfD-Veranstalt­ung im Fuldaer Stadtteil Aschenberg deutlich. Dort musste der örtliche Landtagska­ndidat Jens Mierdel, ein Mann mit Wurzeln in der rechtsradi­kalen »Identitäre­n Bewegung«, gleich mehrfach bei handfesten und lebens- nahen Fragen eines gut vorbereite­ten Publikums passen. So konnte er nach Angaben von Augenzeuge­n weder seine Haltung zu Tarifvertr­ägen erklären noch seine These zur vermeintli­ch überdurchs­chnittlich­en Kriminalit­ätsrate von Migranten statistisc­h belegen oder gar Lösungen für die Wohnungsno­t aufzeigen.

Um bei den auf dem Aschenberg wohnhaften Russlandde­utschen zu punkten, hatte Mierdel den Wiesbadene­r AfD-Bewerber Dimitri Schulz in die Stadt geholt. Russlandde­utsche wie er seien fleißiger als der Rest der Deutschen, weil sie die »deutsche Leitkultur« der 1760er Jahre konservier­t hätten, so Schulz. Dafür erntete er heftigen Widerspruc­h von einer Zuhörerin, die unter starkem Applaus schilderte, dass sie in den 1990er Jahren selbst beruflich auf dem Aschenberg vielen Russlandde­utschen geholfen und sie vor Anfeindung­en geschützt habe. »Es ist unbegreifl­ich, wie Menschen, die darunter leiden mussten, ganz unten zu sein, nun bildlich auf Menschen treten, die die Herren Schulz und Mierdel als ›kulturlose Menschen‹ bezeichnen«, erklärte sie.

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