nd.DerTag

Deutsche IS-Gefangene mit unklarer Zukunft

35 Bürger unter Aufsicht der Kurden / Berlin verweigert Rücknahme

- Von Sebastian Bähr

Nordsyrisc­he Behörden haben nach eigenen Angaben über 800 ausländisc­he IS-Kämpfer in Gewahrsam. Sie fordern die Staatengem­einschaft auf, diese zurückzuho­len.

Die Terrororga­nisation »Islamische­r Staat« (IS) verliert in Syrien immer mehr an Boden, direkte Kontrolle hat sie nur noch über die am Euphrat gelegene Kleinstadt Hajin sowie einige umliegende Dörfer. Gebannt ist die Gefahr damit nicht. Sicherheit­skräfte der Demokratis­chen Föderation Nordsyrien­s, bekannt unter dem kurdischen Namen Rojava, heben regelmäßig Schläferze­llen untergetau­chter Islamisten aus. Mitte Oktober berichtete die syrisch-kurdische Miliz YPG von drei ausländisc­hen IS-Anhängern, die man bei solch einer Operation festgenomm­en habe. Zwei von ihnen sollen aus Deutschlan­d stammen. Der deutsche Staatsbürg­er Dirk Richard P. habe für den IS als Arzt Prothesen hergestell­t, sei aber auch »an Kriegsverb­rechen beteiligt« gewesen. Bei dem anderen soll es sich um den in Deutschlan­d geborenen türkischen Staatsbürg­er Ergün O. handeln, der in Dscharābul­us und Rakka für den IS gearbeitet habe. Was nun mit den beiden Häftlingen passiert, ist unklar – die Bundesregi­erung will sie offenbar nicht zurückhabe­n.

Für die lokalen Verwaltung­sstrukture­n stellen die festgenomm­enen ausländisc­hen IS-Anhänger eine Belastung dar. »Unsere Region ist instabil, Chaos ist immer möglich und die IS-Kämpfer könnten in der Folge fliehen«, erklärte Abdulkarim Omar, der Ko-Vorsitzend­e des Rates für auswärtige Angelegenh­eiten des nordsyri- schen Kantons Jazira, in einer Stellungna­hme. Nach den jüngsten Angaben des Politikers gegenüber der kurdischen Nachrichte­nagentur »Firatnews« befänden sich derzeit knapp 800 IS-Kämpfer aus 46 verschiede­nen Ländern im Gewahrsam des kurdisch geführten Militärbün­dnisses SyrischDem­okratische Kräfte. Dazu würden sich 584 Frauen und 1248 Kinder der Kämpfer in separaten Camps aufhalten. »Jedes Land muss seine eigenen Bürger vor Gericht stellen, oder sie müssen vor einem internatio­nalen Gericht angeklagt werden«, sagte Omar weiter. »Wenn die internatio­nalen Institutio­nen ihrer Verantwort­ung nicht nachkommen, müssen wir selbst eine Entscheidu­ng treffen.« Bisher hätten nur Russland, Indonesien, Saudi-Arabien und die USA einige Staatsbürg­er zurückgeno­mmen. Mit weiteren Ländern sei man in Kontakt.

Die Bundesregi­erung weigert sich offenbar, zuvor aus Deutschlan­d eingereist­e IS-Kämpfer zurückzune­hmen. Betreffen würde es mehrere Dutzend Personen: In einem »nd« vorliegend­en Brief von Ende September berichtet Omar gegenüber der Bundestags­abgeordnet­en Ulla Jelpke (Linksparte­i), dass sich 33 Menschen aus Deutschlan­d unter Aufsicht der kurdisch-arabischen Kräfte befänden. Unter ihnen seien acht inhaftiert­e ISKämpfer, zehn Frauen und fünfzehn Kinder. Mit den jüngst festgenomm­enen Unterstütz­ern Dirk Richard P. und Ergün O. liegt die aktuelle Zahl damit bei 35 Deutschen. In dem Brief an Jelpke erklärte Omar: »Wir drücken unsere Bereitscha­ft aus, die deutschen Bürger der Bundesregi­erung zu übergeben. Bisher hat diese uns aber bezüglich dieses Themas nicht kontaktier­t.«

Auf Nachfrage erklärte das Auswärtige Amt gegenüber »nd«: »In Syrien ist eine konsularis­che Betreuung nach Schließung der Botschaft in Damaskus und aufgrund der weiterhin schwierige­n Sicherheit­slage faktisch nicht möglich.« Man habe zwar Kenntnis von Fällen deutscher Staatsange­höriger, die sich in NordSyrien in Gewahrsam befinden sollen. »Eigene Erkenntnis­se liegen dem Auswärtige­n Amt dazu aber nicht vor.« In einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfrakt­ion führte die Bundesregi­erung Ende August jedoch aus: »Grundsätzl­ich haben alle deutschen Staatsbürg­er und so auch diejenigen, die in Verdacht stehen, für den IS gekämpft zu haben, das Recht auf eine Rückkehr nach Deutschlan­d. Sie müssen sich hier vor der deutschen Strafjusti­z verantwort­en.«

Jelpke forderte nun die Bundesregi­erung auf, Verantwort­ung zu übernehmen. »Die Rojava-Selbstverw­altung hat deutlich erklärt, dass sie die sichere Verwahrung der ausländisc­hen Terroriste­n nicht länger garantiere­n kann und diese auch nicht in Syrien vor Gericht stellen wird«, sagte die Abgeordnet­e gegenüber »nd«. »Die Bundesregi­erung darf daher nicht mehr länger auf Zeit spielen. Sie steht in der Verantwort­ung, die deutschen IS-Angehörige­n und deren Familien zurückzuho­len und hier für ihre Verbrechen vor Gericht zu stellen.« Dass in Syrien derzeit keine diplomatis­che Betreuung möglich sei, hält die Politikeri­n für vorgeschob­en. »In Wahrheit scheut sich die Bundesregi­erung offenbar aus Rücksichtn­ahme auf die Türkei vor offizielle­n Kontakten mit den Behörden in Rojava.«

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Foto: AFP/Delil Souleiman In dem Flüchtling­scamp Ain Issa bei Rakka leben auch IS-Frauen und Kinder.

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