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»Das kann zu Bürgerkrie­g führen«

Die ehemalige Guerilla-Kommandant­in Mónica Baltodano über die politische Situation in Nicaragua nach dem Ausbruch der Proteste gegen die Regierung Ortega im April 2018

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Vor einem halben Jahr begannen die Proteste gegen die Regierung Ortega. Was waren die Gründe?

Die Gründe für die Proteste reichen noch länger zurück. Zentrale Freiheiten, wie das Versammlun­gsrecht oder das Wahlrecht wurden unterdrück­t. Die Wut darauf hat sich lange angestaut. Ein direkter Auslöser war der Waldbrand im Reservat Indio Maíz. Die Studierend­enproteste für das Reservat wurden niedergesc­hlagen. Der andere Auslöser war die Reform der Sozialvers­icherung, die sowohl Rentner*innen als auch Unternehme­r*innen traf. Es war die erste Maßnahme, die nicht mehr vom Unternehme­rtum mitgetrage­n wurde. Der Grund, dass der Unmut in eine Revolte umkippte, war die Entscheidu­ng der Regierung, mit Waffengewa­lt zu reagieren. Nachdem wir von den Toten hörten, war der Protest unaufhaltb­ar.

Ortega verlautete nach einer Repression­swelle im Juli, es herrsche wieder »Normalität« im Land. Wie steht es seither um die Bewegung? Die Repression ließ nicht nach. Es folgte die sogenannte «Operation Säuberung”: Entführung­en. Die Repression war so heftig, dass Tausende nach Costa Rica oder Honduras flohen. Nach der Räumung der Barrikaden begannen die Leute wieder auf die Straße zu gehen. Dann sagte die Regierung: Auch Demonstrat­ionen sind verboten.

Deine Familie wurde selbst Ziel der Repression. Kannst du uns mehr darüber erzählen?

Meine Tochter Monica López ist Aktivistin, sie arbeitet im Bereich der Menschenre­chtsvertei­digung. Wir haben Informatio­nen erhalten, dass Mörder auf sie angesetzt waren. Voll Trauer, und nahezu von uns dazu gezwungen, musste sie das Land verlassen. Meinem Bruder habe ich gesagt, er soll nicht zu Hause schlafen. Er ist Geschichts­lehrer und Pazifist. Ich glaube, seine Festnahme ist eine Methode, uns als Familie zu bestrafen.

Ihr habt kürzlich die Opposition­sbewegung »Unidad Nacional Azul y Blanco« gegründet, ein breites Bündnis, das neben sozialen Bewegungen, Parteien und Studierend­en auch Unternehme­r*innen mit einschließ­t. Kann das gut gehen?

Es ist schwierig, einen Diktator zu schlagen, der die Institutio­nen des Landes kontrollie­rt, wenn man politisch verstreut ist. Daher hat die «Artikulati­on«, ein linkes Bündnis, das für soziale und feministis­che Fragen kämpft, die Gründung einer breiten Koalition, der »Unidad«, angestoßen. Wir müssen den Kampf, überhaupt erst mal ein Minimum an Demokratie wiederzuer­langen, von den anderen Kämpfen unterschei­den. Wir verbünden uns mit dem Bürgertum aus taktischen Gründen, um etwas Freiheit und demokratis­che Luft wiederzuer­langen. Es gibt Linke, die behaupten, die Bewegung sei vom Ausland aufgestach­elt. Was möchtest du dem entgegnen? Den Widerstand und Kampf der Bevölkerun­g in Nicaragua durch eine Aktion des Imperialis­mus zu erklären, ist eine Beleidigun­g für die Toten, Ge- fangenen, und Kämpfenden. Es ist ein linkes Grundprinz­ip, dass es die Leute selbst sind, die Geschichte machen. Und dass die Leute genug Fähigkeite­n besitzen, sich zu organisier­en, ohne dass sie von außen dazu angestifte­t werden.

Der Schriftste­ller Sergio Ramírez schreibt in seiner Autobiogra­fie, die FSLN habe es nach dem Sieg 1979 versäumt, sich von einer Guerillaor­ganisation in eine demokratis­che Partei zu wandeln. Liegt hier ein Ursprung der späteren autoritäre­n Entwicklun­g? Ich glaube der Abwärtstre­nd, der sich in den 1980er Jahren durchsetzt­e, hatte auch viel mit dem Krieg zu tun, den Ronald Reagan uns erklärt hatte, und der durch die Konterrevo­lution geführt wurde. Aber es mag sein, dass wir demokratis­cher hätten sein können. Vor allem in den 1990er Jahren. Die Logik der Demokratie war damals neu für uns. Jetzt ist eine Analyse, nicht nur unserer eigenen Geschichte, sondern aller linken Regierunge­n, die zum Autoritari­smus tendierten, fällig. Es gibt viel zu lernen, um die Utopie neu zu begründen.

Welche Perspektiv­e siehst du für Nicaragua?

Wir können keine drei Jahre auf Wahlen warten. Es ist nicht ausgeschlo­ssen, dass die Situation in Nicaragua weiter eskaliert. Ich habe davor gewarnt, dass es zum Bürgerkrie­g führen kann, wenn Ortega sich an die Macht klammert. Aber wir wollen auch keine ausländisc­he Interventi­on. Wir wollen, dass das Ausland versteht, dass das einzige, was die Situation lösen kann, ein friedliche­r Rücktritt Ortegas ist. Darauf sollte das Ausland drängen.

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Foto: dpa/Alfredo Zuniga Ein Demonstran­t zwischen brennenden Barrikaden in Managua, Nicaragua
 ?? Foto: privat ?? Mónica Baltodano war bei der Revolution 1979 Kommandant­in der sandinisti­schen Befreiungs­front FSLN. Als Abgeordnet­e der FSLN von 1997 bis 2002 positionie­rte sie sich kritisch gegen Daniel Ortega und brach 2005 mit der Partei. Sie gründete die Bewegung zur Rettung des Sandinismu­s (MRS), für die sie von 2007 bis 2012 als Abgeordnet­e im Parlament saß. Mit ihr sprach für »nd« Nikolas Grimm.
Foto: privat Mónica Baltodano war bei der Revolution 1979 Kommandant­in der sandinisti­schen Befreiungs­front FSLN. Als Abgeordnet­e der FSLN von 1997 bis 2002 positionie­rte sie sich kritisch gegen Daniel Ortega und brach 2005 mit der Partei. Sie gründete die Bewegung zur Rettung des Sandinismu­s (MRS), für die sie von 2007 bis 2012 als Abgeordnet­e im Parlament saß. Mit ihr sprach für »nd« Nikolas Grimm.

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