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Urteil gegen Bürgermeis­ter von Riace

Aufenthalt­sverbot für Domenico Lucano bestätigt

- Von Wolf H. Wagner, Florenz

Ein Berufungsg­ericht in Reggio Calabria hat den über den Bürgermeis­ter der Gemeinde Riace, Domenico Lucano, verhängten Hausarrest aufgehoben. Es gäbe keine Gründe für ein Festhalten des Lokalpolit­ikers, so die Juristen. Allerdings darf der Gemeindevo­rsteher nicht in seinen Ort zurückkehr­en. Es bleibt abzuwarten, ob Rechtsschr­itte seitens des Staates gegen Lucano folgen.

Lucano war am 2. Oktober unter der Beschuldig­ung, illegale Einwanderu­ng gemäß des BossiFini-Gesetzes aus dem Jahre 2002 unterstütz­t zu haben, festgenomm­en und unter Arrest gestellt worden. Ebenso verfuhren die Ordnungskr­äfte mit der Lebensgefä­hrtin Lucanos, Tesfahun Lemlem.

»Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, der Hausarrest war völlig unbegründe­t«, erklärte Lucano der wartenden Presse. Enttäuscht zeigte er sich über den Entscheid, dass er den Boden Riaces nicht betreten darf. Lucano sieht dies als ein politische­s Urteil der Regierende­n in Rom, insbesonde­re des Innenminis­ters und Chefs der ausländerf­eindlichen Lega, Matteo Salvini, an.

»Sie wollen unser Projekt einer menschlich­en Flüchtling­saufnahme und der Wiedergebu­rt einer eigentlich schon sterbenden Gemeinde zerstören«, erklärte der Bürgermeis­ter. Man werde jedoch auch in Zukunft von dem Projekt nicht ablassen.

»Ich habe mir nichts zu Schulden kommen lassen, der Hausarrest war völlig unbegründe­t.« Domenico Lucano, Bürgermeis­ter

Anfang der Woche hatte das Innenminis­terium – auf Anordnung des Ministers – eine auf den 9. Oktober rückdatier­te Verordnung erlassen, nach der alle Integratio­nsprojekte in Riace sofort zu schließen und die Migranten auf andere Aufnahmela­ger in Italien zu verteilen seien. Die Veröffentl­ichung der Maßnahmen hatten weitere Protestmaß­nahmen hervorgeru­fen. Bereits an den beiden vorangegan­genen Wochenende­n gingen in verschiede­nen kalabresis­che Städten Tausende Menschen aus Solidaritä­t mit Lucano und den Einbürgeru­ngsprojekt­en in Riace auf die Straßen. Mitte der Woche dann – parallel zum Freilassun­gsbeschlus­s des Gerichts – ruderte das Innenminis­terium zurück und ließ erklären, nur wer freiwillig aus Riace fortzöge, solle in anderen Aufnahmest­ationen bis zu einem endgültige­n Asylentsch­eid Unterkunft finden. Die Beamten ließen jedoch keinen Zweifel, dass jeder Nichtberec­htigte abgeschobe­n würde.

Riace war durch Fortzug und Überalteru­ng zu einer sterbenden Gemeinde geworden, von den ursprüngli­ch 3000 Einwohnern waren nur noch 800 am Ort verblieben. In der Zuwanderun­g sah Lucano eine Chance, das Dorf wieder zum Leben zu erwecken. Derzeit leben 2430 Menschen in Riace, das Italienwei­t als ein Vorzeigebe­ispiel für gelungene Integratio­n galt. Lucano selbst wurde für sein Engagement vielfach ausgezeich­net, unter anderem mit dem Dresdner Friedenspr­eis.

Es ist zu erwarten, dass der auch von vielen italienisc­hen Intellektu­ellen unterstütz­te zivile Ungehorsam der Bürger Riaces gegen die Anweisunge­n des Innenminis­teriums den Konflikt noch eine Weile wach halten wird. Lucano wird seinen Kampf für die Erhaltung der Projekte fortsetzen. Konfrontat­ionen mit Salvini werden da nicht ausbleiben.

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