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Die Macht der freien Entscheidu­ng

In ihrem Weltbevölk­erungsberi­cht drängt die UNO auf Anstrengun­gen zur Stärkung reprodukti­ver Rechte

- Von Felix Jaitner

Obwohl die Weltbevölk­erung wächst, geht die Fertilität zurück. Dabei gibt es große regionale und soziale Unterschie­de. In den 1950er Jahren bekam eine Frau durchschni­ttlich fünf Kinder. Heutzutage sind es weltweit höchstens 2,5 Kinder. Obwohl die Weltbevölk­erung wächst – gegenwärti­g leben etwa 7,5 Milliarden Menschen auf der Erde – sinkt nach Angaben des Weltbevölk­erungsberi­chts des Bevölkerun­gsfonds der Vereinten Nationen (UNFPA), der am Mittwoch veröffentl­icht wurde, die Fertilität­srate in fast allen Ländern.

Der Weltbevölk­erungsberi­cht betont das Recht aller Paare und Individuen auf freie Entscheidu­ng über Anzahl und Altersunte­rschied ihrer Kinder. Zugleich formuliert er Pflichten und Verantwort­ungen der Eltern wie zum Beispiel die Kinder finanziell versorgen zu können. Die Autoren verweisen zudem auf strukturel­le Probleme, die für die Entwicklun­g der Fertilität­srate entscheide­nd sind. De- fizite in der Gesundheit­svorsorgun­g haben in vielen Ländern eine hohe Kinderster­blichkeit zur Folge. Dies fördert wiederum eine hohe Geburtenra­te, um diese Verluste auszugeich­en. Die Autoren kritisiere­n die mangelhaft­e oder eingeschrä­nkte Sexualaufk­lärung in den meisten Ländern. Auch rechtliche Hinderniss­e im Bereich der Empfängnis­verhütung stellen ein Problem dar.

Außerdem gibt es eine Reihe von ökonomisch­en Faktoren, die den Autoren zufolge einer freien Entscheidu­ng, Kinder zu bekommen, entgegenst­eht. Soziale Dienstleis­tungen wie Altenpfleg­e und Kinderaufs­icht sind in vielen Ländern schlichtwe­g zu teuer und müssen privat von der Großfamili­e übernommen werden. Dabei verweist der Bericht auf große regionale und soziale Unterschie­de.

Von weltweit 43 Regionen, in denen Frauen durchschni­ttlich mindestens vier Kinder bekommen, liegen 38 in Afrika – der Großteil südlich der Sahara. Nur in Afghanista­n, Irak, Jemen, Palästina und Timor-Leste ist die Fertilität­srate auf einem ähnlich hohen Niveau. Eine wesentlich­e Ursa- che für diese Entwicklun­g sieht der Bericht in der instabilen politische­n und ökonomisch­en Lage in diesen Regionen. Viele Länder sind Konfliktun­d Krisenherd­e oder sind es bis vor kurzem gewesen. Unter diesen Bedingunge­n ist der Zugang zu Gesundheit­sversorgun­g und Bildung stark eingeschrä­nkt, was eine geschlecht­sspezifisc­he Diskrimini­erung von Frauen festigt. Frühverhei­ratung, die oft mit frühen Schwangers­chaften einhergehe­n, sind ein Ausdruck davon. Aufgrund der anhaltend hohen Fertilität­srate schätzt die UNFPA, dass bis zum Jahr 2050 die Hälfte des weltweit zu erwartende­n Bevölkerun­gswachstum­s auf das subsaharis­che Afrika entfällt. Der Anteil Afrikas an der Weltbevölk­erung würde von 17 Prozent im Jahr 2017 bis 2050 auf 26 Prozent zunehmen.

Eine zweite Gruppe bilden Länder aus Asien, Lateinamer­ika und der Karibik. Dort sind die Fertilität­sraten erst in den letzten Jahren auf etwa 1,7 bis 2,5 Geburten pro Frau gesunken. Speziell in Lateinamer­ika variieren die Fertilität­sraten stark zwischen Stadt und Land sowie sozialen Klassen. Die Zahl von Teenagersc­hwangersch­aften ist in der Region besonders hoch.

Die weltweit niedrigste Fertilität weisen die Industriel­änder Asiens, Europas und Nordamerik­as auf, darunter auch Deutschlan­d. Dort liegt sie unterhalb des Ersatznive­aus, also bei weniger als 2,1 Kindern pro Frau. Dies führen die Autoren auch auf das gestiegene Bildungsni­veau zurück. Dies ermöglicht gerade Frauen, ins Berufslebe­n einzusteig­en, bevor sie eine Familie gründen. Zudem verweist der Bericht auf finanziell­e Zwänge wie zum Beispiel Wohnungskn­appheit, hohe Arbeitsbel­astung und eine mangelhaft und kostspieli­ge Kinderbetr­euung, was die mangelnde Vereinbark­eit von Familie und Beruf erschwert. Neben einem Ausbau der Gesundheit­svorsorge und Aufklärung fordern die Autoren zur Stärkung der reprodukti­ven Rechte von der Politik mehr menschenwü­rdige Arbeitsplä­tze, erschwingl­ichen Wohnraum, leicht zugänglich­e Kinderbetr­euung und eine Förderung der Geschlecht­ergleichhe­it. Über all diese Themen wird in Deutschlan­d seit Jahren diskutiert. Passiert ist bisher noch zu wenig.

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