Vom Wettbewerb zur Konkurrenz
Ehemalige ostdeutsche Unternehmensdirektoren berichten von ihren Erfahrungen aus der Zeit vor und nach der Wende
Kann Wettbewerb zu höheren Leistungen motivieren? Welche Eigentumsform ist am besten geeignet? Das waren die Themen der Auftaktveranstaltung einer neuen Reihe des Projekts »Rohnstock Biografien«. Der Wettbewerb als Streben nach höheren Leistungen sei eigentlich so alt wie die Menschheit, meint Christa Bertag, ehemalige Generaldirektorin des VEB Kosmetik-Kombinat Berlin. Er sei aber im gesellschaftlichen Umfeld zu sehen und werde durch die Eigentumsverhältnisse bestimmt. Gehe es im Kapitalismus um Profitmaximierung, hätte unter sozialistischen Verhältnissen das Gemeinwohl im Vordergrund gestanden. Lohnformen und Prämien waren darauf ausgelegt, Leistung zu stimulieren. Allerdings, so die Kombinatsdirektorin, hätte der sozialistische Wettbewerb vor allem in den 1980er Jahren immer mehr dazu gedient, Mängel der Planwirtschaft zu kaschieren.
»In der DDR sind die Menschen mit dem Wettbewerbsgedanken groß geworden. Bereits im Kindergarten ist man erzogen worden, sein Bestes zu geben«, sagt Wieland Zeppan, ab 1983 Betriebsleiter des Konsum-Seifenwerks Riesa und nach der Wende Geschäftsführer des privatisierten Unternehmens. Verbesserungsvorschläge und Neuererwesen brachten viel. Nicht immer hätten dabei materielle Aspekte im Vordergrund gestanden, zumal man sich angesichts des begrenzten Warenangebots nicht allzu viel kaufen konnte. Ideelle Aspekte wie Auszeichnungen und Belobigungen spielten eine große Rolle, so Zeppan. Nach der Wende waren es angesichts von Privatisierung und hoher Arbeitslosigkeit andere Stimuli zur Leistungssteigerung wie die Konkurrenz um den Arbeitsplatz – keiner wollte schlechter sein als der Nebenmann. Trotzdem hätte man sich im Riesaer Unternehmen etwas aus dem sozialistischen Betriebsklima bewahrt – persönliche Gratulationen am Arbeitsplatz und Weihnachtsfeiern der gesamten Belegschaft.
Auf eine »lupenreine sozialistische Karriere« kann auch Franz Korsch zurückblicken. Nach dem Studium nutzte der Jungingenieur die sich in der neuen TV-Geräte-Industrie bietenden Chancen, übernahm ab 1963 Leitungsfunktionen, wurde mit 26 Jah- ren Betriebsleiter im VEB Fernsehgerätewerk Staßfurt, später dort stellvertretender Generaldirektor. Seine Erkenntnis: Der Mensch braucht Motivation, eigene Erfolgserlebnisse. Allerdings sei Wettbewerb keine ureigene sozialistische Erfindung. In einem japanischen Unternehmen sah er
Wieland Zeppan, ehemaliger Betriebsleiter des Konsum-Seifenwerks Riesa
ein Plakat mit der Aufschrift »Durch Qualität sichern wir unseren Arbeitsplatz«, in einem westdeutschen Betrieb eine »Straße der Besten« mit den Fotos der Ausgezeichneten. Die Ehrung bestand aus einem Treffen mit dem Chef und einem Kugelschreiber. Auch in der DDR wurde nicht immer gefragt: »Was kriege ich dafür?« Das freiwillige Engagement sei in seinem Werk hoch gewesen, so die Bereit- schaft zu Sonderschichten, um den Plan zu erfüllen.
Einen anderen Erfahrungshorizont hat Rainer Thiele, Ex-Geschäftsführer des Backwarenherstellers KATHI in Halle. Das Unternehmen ist ein Beispiel dafür, wie in der DDR durch eine kurzsichtige Wirtschaftspolitik gegenüber privaten Kleinunternehmen Leistung zunichte gemacht wurde. Seine Eltern konnten noch 1951 ihr eigenes Unternehmen gründen, dessen Spezialität Backmischungen waren – eine Innovation, die große westliche Firmen erst Anfang der 1970er Jahre einführten. Allerdings waren Bankkredite für die Produktionserweiterung an eine »staatliche Beteiligung« gebunden, bis schließlich 1972 die Verstaatlichung folgte. Nach der Wende gelang es Thiele, den Betrieb von der Treuhand zurückzubekommen. Das Vertrauen auf eine Renaissance der Produkte und das Innovationstalent des Unternehmens zahlten sich schließlich aus. Aber auch im Kapitalismus sei das Wirtschaften nicht einfach, so Thiele und kritisiert vor allem »die Gier des Handels«.
Jörg Loebner, Inhaber eines Spielwarengeschäftes in Torgau, konnte der Enteignung entgehen. Sein Betrieb zählte 1972 neun Angestellte, während ab zehn die Enteignung drohte. Es handelt sich um das älteste Spielwarengeschäft Deutschlands, gegründet 1683, stets vom Vater auf den ältesten Sohn vererbt. Die Wende und die 1990er Jahre überstand das kleine Unternehmen erfolgreich. Als der Markt durch die vielen Geschäfte »auf der grünen Wiese« enger und die Konkurrenz schärfer wurde, kam den Torgauern eine Innovation zugute: Bereits Ende der 1980er hatte man mit der Datenverarbeitung begonnen, eine gute Voraussetzung, um später mit einem weltweiten Internetanbieter ins Geschäft zu kommen. Heute brummt der Versandhandel, die 15 Mitarbeiter in der Halle vor den Toren Torgaus unterstützen mit ihren Gewinnen den alten Laden in der Innenstadt.
In der lebhaften Diskussion ging es vor allem um eine Frage: Woran ist das sozialistische Experiment gescheitert? Experten und Publikum nannten viele Aspekte: das idealistische Menschenbild, der schlechte Umgang mit den Menschen, eine falsche Wirtschaftspolitik – aber nicht an fehlendem Wettbewerb.
»In der DDR sind die Menschen mit dem Wettbewerbsgedanken groß geworden.«