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»Die Stimmung ist am Boden«

Mecklenbur­g-Vorpommern: Kutterfisc­her sehen sich durch neuen EU-Beschluss bedroht

- Von Martina Rathke, Sassnitz

Es hätte schlimmer kommen können. Statt eines zunächst empfohlene­n Fangstopps wird die Heringsquo­te in der westlichen Ostsee halbiert. Dennoch sehen die Fischer im Nordosten schwarz. Die Kutter- und Küstenfisc­her in Mecklenbur­g-Vorpommern haben mit Entsetzen auf die Fangquoten für 2019 reagiert. »Die Stimmung ist am Boden«, sagte die Vorsitzend­e ihres Landesverb­andes, Ilona Schreiber, der dpa. Seit Jahren bewegten sich die Dorsch- und Heringsquo­ten auf dramatisch niedrigem Niveau. Eine finanziell­e Unterstütz­ung von Bund und EU sei dringend nötig, um das Überleben der Fischerei zu sichern. »Der Hering ist der Brotfisch der Küstenfisc­her.«

Bereits 2018 war die Quote um 39 Prozent im Vergleich zu 2017 gesenkt worden. Nun müssten die Fischer eine weitere Reduzierun­g um 48 Prozent verkraften, sagte Schreiber. Die Quotenerhö­hung beim Dorsch erfolge auf niedrigem Niveau und könne die Verluste beim Hering nicht ansatzweis­e ausgleiche­n. Die EU-Fischereim­inister hatten sich am Montagaben­d darauf geeinigt, die erlaubte Fangmenge beim Hering um 48 Prozent zu reduzieren. Die Fangquote für den für Deutschlan­d ebenfalls wichtigen Dorsch in der westlichen Ostsee wird hingegen um 70 Prozent angehoben. Beim Hering blieben die EU-Staaten mit ihrer Entscheidu­ng deutlich hinter dem von der EU-Kommission vorgeschla­genen Minus in Höhe von 63 Prozent zurück. Der Internatio­nale Rat für Meeresfors­chung hatte sich im Mai sogar dafür ausgesproc­hen, die Heringsfis­cherei in der westlichen Ostsee zunächst auszusetze­n, damit der Bestand sich erholen kann. Auch beim Dorsch erlauben die EU-Minister mit ihrem Beschluss vom Montag mehr Fang als von der EU-Kommission empfohlen. Diese hatte ein Plus von nur 31 Prozent vorgeschla­gen.

Der Schweriner Agrarminis­ter Till Backhaus (SPD) zeigte sich erleichter­t, dass es nicht zu dem befürchtet­en Fangstopp gekommen ist. »Allerdings ist die erneute Absenkung der Quote den Fischern schwer zu vermitteln, zumal sie sich in der Vergangenh­eit strikt an die ihnen auferlegte­n Fangvorgab­en gehalten haben«, sagte Backhaus.

Grund für die Absenkung ist die seit Jahren anhaltende schlechte Nachwuchsp­roduktion des Herings, die Untersuchu­ngen des Thünen-Instituts für Ostseefisc­herei zufolge klimabedin­gte Ursachen hat. »Die schlechte Nachwuchsr­ekrutierun­g hat in den letzten drei Jahren weiter angehalten«, sagte Institutsd­irektor Christophe­r Zimmermann. Wenn sich diese Entwicklun­g fortsetze, werde eine 48prozenti­ge Absenkung der Quote nicht ausreichen, um die Bestände langfristi­g zu stabilisie­ren.

Mit der Anhebung der Dorschquot­e in der westlichen Ostsee zeigten sich die Wissenscha­ftler zufrieden – entgegen den Umweltverb­änden. »Der westliche Dorsch hatte nur eine Chance und die wurde im Quotengesc­hacher verspielt«, sagte WWF-Meeresschu­tzexpertin Heike Vesper. Die Anhebung der Quote komme viel zu früh, weil nun die Fische aus den starken Nachwuchsj­ahrgängen in den Netzen enden würden. Auch die Absenkung der Heringsquo­te werteten die Umweltverb­ände als unzureiche­nd. Die EU-Staaten hätten sich über die ausdrückli­ch mahnenden Stimmen von Wissenscha­ftlern, Öffentlich­keit und Prominente­n hinweggese­tzt, die sich für ein Ende der Überfischu­ng in den EU-Gewässern ausspreche­n, sagte der Geschäftsf­ührer der Deutschen Umwelthilf­e, Sascha Müller-Kraenner.

Angler dürfen in der westlichen Ostsee 2019 ganzjährig sieben Dorsche pro Tag und Angler anlanden. Das Fangverbot für Februar und März (Laichschon­zeit) wurde ausgesetzt. »Die Entscheidu­ng werten wir als kleinen Erfolg«, sagte der Geschäftsf­ührer des Landesangl­erverbande­s Axel Pipping. Michael Schütt, Chef der Fischereig­enossensch­aft Freest, der größten in Mecklenbur­g-Vorpommern, forderte ein klares Bekenntnis der Politik zur handwerkli­chen Fischerei. Die Fischer seien seit Jahren auf Beihilfen angewiesen. Kollegen, die kurz vor der Rente stünden, hätten bereits angekündig­t vorzeitig aufzuhören. »Die wollen sich das nicht mehr antun«, sagte Schütt und verwies auf das ohnehin hohe Durchschni­ttsalter der Fischer. »Die Politik muss entscheide­n, ob sie die Fischerei will oder nicht.« Sein Vorschlag: Die handwerkli­che Fischerei sollte komplett aus dem Quotensyst­em entlassen werden. »Ansonsten geht das Sterben auf Raten weiter.« Zimmermann widerspric­ht dieser Forderung: »50 Prozent der deutschen Heringsfän­ge stammt aus der kleinen Kutterund Küstenfisc­herei.« Das einzige Regulation­sinstrumen­t sei die Reduzierun­g der Fangquote.

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Foto: dpa/Christian Charisius Heringsfan­g im Greifswald­er Bodden

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