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Karl beugt sich nicht

- Von Lilian-Astrid Geese

Ein

halbes Jahrhunder­t: 1968 bis 2018. Dieses Jahr war es wieder Zeit, einen radikalen Aufbruch zu feiern, dessen Macher und Macherinne­n sich langsam aus dem aktiven Leben zurückzieh­en – oder dies schon getan haben. Sie verschwind­en, ohne Spuren zu lassen, scheint es.

Doch der Schein trügt, und Eberhard Rathgeb hat mit seiner traurigen Geschichte vom »letzten Kommuniste­n« Karl und seiner Schwester Emilie nicht recht. Er irrt in seinem Fokus auf dem Scheitern, das in den globalen Jugendbewe­gungen der Revolte jener Zeit eben nicht angelegt war. Und er irrt in der tristen Mühsal, die der gealterte und dennoch nicht geläuterte Karl so offensicht­lich empfindet.

Die Anfänge und Wirkungen politische­r Initiative­n erweisen sich doch immer erst retrospekt­iv als solche. Karl ist müde, aber ungebroche­n. Karl beugt sich nicht. Karl stirbt. Doch enden mit ihm die Wut und der Protest?

Man wünscht sich in diesen unseren Zeiten, die von Rassismen, neuem Faschismus, Intoleranz und Hass künden – in Chemnitz und anderswo – eine Literatur, die politisier­t. Etwas weniger Egotrip und Nabelschau, Selbstmitl­eid und zynische Äquidistan­z.

»Mit Gedichten, Geschichte­n und Bildern lässt sich nichts erklären«, sagt Karl in Rathgebs Roman. Und doch wünscht man sich Respekt für den Protagonis­ten einer Ära, und für das, was er vertritt. »Er ist wirklich der Repräsenta­nt eines radikalen und radikalisi­erten Lebens und Denkens«, sagte der Autor über seinen Pro-

»Er ist wirklich der Repräsenta­nt eines radikalen und radikalisi­erten Lebens und Denkens«. (Rathgeb)

tagonisten in einem Interview mit dem Deutschlan­dfunk.

Und doch beschreibt er ihn als tragische Figur: Trümmerkin­d, aufgewachs­en im Nachkriegs­deutschlan­d, Schule in der Provinz, Studium in der Stadt. Irgendwie ein ganz gewöhnlich­es Leben. Karl hat – außer seinem starken, revolution­ären Willen – wenig Eigenes, Individuel­les. Auch andere Figuren werden nur angedeutet: Autoren, die mit dem Kommunismu­s liebäugelt­en – mal könnte Max Frisch gemeint sein oder an anderer Stelle Hans-Magnus Enzensberg­er. Namen lesen wir keine. Eine weitere kleine Flucht des Autors. Wäre die Nennung zu viel Realität? Oder die falsche?

Ich habe Schwierigk­eiten mit kontemplat­iver Belletrist­ik, mag Handlung lieber als die Dominanz schöner Worte und ausgefeilt­er Sätze. Insofern fällt mir eine Zusammenfa­ssung der Geschichte, die Rathgeb vielleicht erzählen will – so das seine Intention ist – schwer.

»Seine Feunde würden nichts Persönlich­es über ihn erzählen, sie dachten wie er. Sie wären nicht seine Freunde gewesen, wenn sie über ihn Anekdoten wiedergege­ben hätten, als sei er eine Person, an der sich die öffentlich­e Neugier rasch sättigen sollte«, schreibt der Rathgeb. Mag sein, dass es ihm eher darum ging, zu zeigen, dass Karl, der letzte Kommunist, seinen Weg nicht mehr weitergehe­n kann. Wir aber könnten es doch versuchen.

Eberhard Rathgeb: Karl oder Der letzte Kommunist, Hanser Verlag, 267 S., geb, 23 €

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