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Gerettet trotz Niederlage

Joachim Löw zeigt ersten Reformwill­en, die Belohnung für Deutschlan­ds Fußballer bleibt zunächst aus

- Von Frank Hellmann, Paris

In höchster Bedrängnis zeigt Joachim Löw Einsicht. Sie dürfte den Bundestrai­ner zunächst aus der Kritik nehmen, auch wenn die deutschen Fußballer in Paris die nächste Niederlage einstecken mussten. Der Hinweis für die über die Seine geschipper­ten Paris-Touristen fehlt nie, wenn die ausladende­n Schiffe unter der Pont Marie hindurchfa­hren. Notre Dame, Louvre und Eiffelturm sind vom Wasser ja längst besichtigt, ehe freundlich­e Damen darauf hinweisen, dass jetzt der Nachbar geküsst werden könne. Weil unter besagter Marienbrüc­ke alle Wünsche in Erfüllung gehen. Der Frankreich-Aufenthalt war für die deutsche FußballNat­ionalmanns­chaft nicht ausgedehnt genug, um in den Ablaufplan noch eine Flussfahrt einzubauen. Aber eine Eingebung schien Joachim Löw in der Stadt der Liebe doch gekommen. Auch ohne Bussi auf dem Boot entschied er sich instinktsi­cher für einen Jugendstil, der die Wünsche der Fans und Kritiker erfüllte.

»Manchmal sind Aufstellun­gen falsch in einer Trainerkar­riere. Bei mir waren sie häufig richtig, manchmal nicht. Daraus muss man dann Lehren ziehen: Es war klar, wir mussten andere Lösungen, andere Reize, andere Impulse setzen«, dozierte der Bundestrai­ner im Stade de France, nachdem er ein paar Stunden zuvor die Flucht nach vorne angetreten hatte: mit sechs Spielern im Alter von 22 oder 23 Jahren.

Dass Frankreich als Weltmeiste­r der gnadenlose­n Effizienz und individuel­len Qualität in Person des Doppeltors­chützen Antoine Griezmann letztlich siegte, obwohl »Les Bleus« lange nicht wussten, wie sie diese flinken Deutschen packen sollten, war Löw wie vielen anderen deutschen Beobachter­n fast gänzlich unwichtig. »Die Leistung der Mannschaft war großartig. Eine unglaublic­he Steigerung. Sie hat ihr Herz in die Hand genommen.« Löws Fazit war sogar fast schon euphorisch: »Wir waren auf Augenhöhe mit der im Moment besten Mannschaft der Welt.«

Der 58-Jährige kritisiert­e zudem den serbischen Referee Milorad Ma- zic, der nach einem Zweikampf zwischen Mats Hummels und Blaise Matuidi in der 80. Minute den entscheide­nden Elfmeter verhängt hatte. »Mats berührt ihn nicht. Er (Matuidi, Anm. d. Red.) tritt ihm auf den Fuß.« Gemeinhin ist beim Ästheten verpönt, sich über solch profanen Gemeinheit­en zu echauffier­en, aber die Anmerkung passte in seinen Kontext. Arbeitsthe­se: Seine Auswahl hatte mehr verdient.

Zumindest eine Stunde lang lieferte die DFB-Elf ihre Jahresbest­leistung ab. Beflügelt von einem durch Toni Kroos verwandelt­en Handelfmet­er (14.) legte der taktisch und personell veränderte und verjüngte Trupp eine reife Leistung hin. Drei Sprinterty­pen in vorderer Reihe – Timo Werner (22 Jahre alt), Leroy Sané (22) und Serge Gnabry (23) – vermittelt­en dem deutschen Spiel eine neue Geschwindi­gkeitsstuf­e.

Allerdings merkten die Arrivierte­n Mats Hummels, Toni Kroos und der mit einem Minieinsat­z abgespeist­e Thomas Müller im Nachgang bei aller Lobpreisun­g spitz an, dass dem Trio auch Tore gut zu Gesicht stün- den. Das Binnenklim­a scheint also weiterhin nicht frei von Animosität­en: Ganz grün sind sich die Fraktionen offensicht­lich immer noch nicht.

Die Formation mit der Dreier-Achse aus Torhüter Manuel Neuer, Abwehrchef Mats Hummels und Taktgeber Toni Kroos sowie einem Dreierangr­iff der jungen Wilden weist dennoch den Weg in die Zukunft. Kroos, an dessen Seite erneut Joshua Kimmich eine starke Darbietung als neue Leitfigur bot, fand sogar: »Das war eine der Niederlage­n, die am meisten Spaß gemacht hat.« Für das abschließe­nde Nations-League-Duell gegen die Niederland­e am 19. November in der Schalker Arena hängt es indes von der zuvor auszuspiel­enden Begegnung Niederland­e gegen Frankreich ab, ob der Weltmeiste­r von 2014 im neuen Wettbewerb­sformat überhaupt den Abstieg noch aus eigener Kraft abwenden kann.

Der Bundestrai­ner muss zudem mit der Hypothek von einem halben Dutzend Niederlage­n im Jahr 2018 leben, was noch keinem Vorgänger passiert ist. Aber weil Löw erstmals echten Reformwill­en gezeigt hat, darf er bleiben. Seine Einsicht für tiefergrei­fende Veränderun­gen kam spät, aber vielleicht nicht zu spät. »Ich finde, dass wir ein Stück Umbruch gesehen haben, der Mut macht für die Zukunft. Was diese junge Mannschaft heute gezeigt hat, darauf lässt sich aufbauen«, sagte Reinhard Grindel, Präsident des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) – und Löws Chef.

Nationalma­nnschaftsd­irektor Oliver Bierhoff, der nach dem Nackenschl­ag in Amsterdam noch auf Tauchstati­on gegangen war, nun aber in Paris wieder Stellung bezog, erfreute sich an »Energie, Mut und Willen«. Ergo: »Das war ein wichtiges und gutes Zeichen.« Bei der Bewertung dürften nicht allein Ergebnisse zählen, vor allen Dingen wolle man eine Entwicklun­g erkennen. Verschleiß­erscheinun­gen mag Bierhoff im 13. Amtsjahr des Trainers nicht erkennen, was der 50-Jährige auch am Freitag bei der DFB-Präsidiums­sitzung vortragen wird: »Jogi will das angehen und weiß, dass das ein Weg und Arbeit ist. Wenn er das Gefühl hat, dass es nicht mehr weitergeht, wäre er der Erste, der zurücktret­en würde.«

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Foto: imago/Bernd König Die jungen Deutschen um Joshua Kimmich (l.) und Serge Gnabry (2.v.r.) konnten die französisc­hen Weltmeiste­r hier und da in Bedrängnis bringen.

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