Modrow in Fernost
Der LINKE-Politiker Hans Modrow über seine Gespräche zum Korea-Konflikt in Peking, Pjöngjang und Seoul
Der LINKE-Politiker wirbt im Korea-Konflikt um Vertrauen zwischen den Fronten.
Hans Modrow, Sie waren kürzlich im Fernen Osten, in China und in den beiden koreanischen Staaten. Auf wessen Initiative?
Zunächst aufgrund der alten Kontakte, die ich in dieser Region habe. In China war ich jetzt zum zwölften Mal, da entsteht Vertrauen. In Nordkorea kam die Einladung vom Außenpolitik-Verantwortlichen im Politbüro. Und im Süden lief es über die Universität in Seoul und andere Institute.
Offenbar gibt es dort Interesse an Ihren Erfahrungen mit staatlicher Teilung und Vereinigung. Sind die Umstände dessen, was vor 30 Jahren in Deutschland passiert ist, vergleichbar mit der Situation auf der koreanischen Halbinsel?
Sie sind natürlich nur schwer vergleichbar. Aber es gibt eine Gemeinsamkeit: Die Grenzziehung zwischen den koreanischen Staaten am 38. Breitengrad geht auch auf die Potsdamer Konferenz kurz nach Endes des Zweiten Weltkriegs zurück. Das Land wurde geteilt in eine sowjetische und eine amerikanische Einflusszone. So wie Deutschland geteilt wurde: in drei westliche Besatzungszonen auf der einen und die sowjetische Besatzungszone auf der anderen Seite. Das Ergebnis: In Deutschland entstanden zwei Staaten und es begann der Kalte Krieg; in Korea kam der heiße Krieg von 1950 bis 1953 mit fast vier Millionen Toten.
Wenn es jetzt eine Annäherung zwischen den koreanischen Staaten gibt, wenn die Staatschefs nach jahrelanger Funkstille über Möglichkeiten der Kooperation reden – was können Sie aus der deutschen Erfahrung raten und wovor wäre zu warnen?
Zunächst: Man darf das Thema nicht nur oberflächlich betrachten, wie es oft geschieht. Sondern man muss tiefer in die Hintergründe und in die Geschichte des Konflikts einsteigen. Ich habe 1985 Kim Il-sung kennengelernt, den Großvater vom Kim Jongun, als er die DDR besuchte. Er dachte schon damals über eine Vereinigung der beiden Koreas nach – und zwar so, dass die Eigenheiten, die Geschichte beider Seiten berücksichtigt werden. Das ist auch mein Ausgangspunkt. Das hätten wir uns ja auch bei der deutschen Vereinigung gewünscht.
Das heißt im Fall Korea konkret? Die Politik des südkoreanischen Präsidenten Moon geht von mehreren Grundsätzen aus: friedliche Nachbarschaft, wirtschaftliche Kooperation, Einbeziehung der Bürger, gegenseitiger Respekt. Die Nordseite setzt auf Souveränität bei der Annäherung, Akzeptanz der unterschiedlichen gesellschaftlichen Ideen und ebenfalls auf Frieden und Sicherheit. Der Weg zur Vereinigung soll ein friedlicher sein, er soll ohne Waffengewalt gegangen werden – das sagen beide Seiten.
Vor fast 30 Jahren, im Herbst 1989, sagte uns der Oberkommandierende des Warschauer Vertrages: Ihr müsst euren Teil dazu beitragen, dass es nicht zu einer Zuspitzung zwischen NATO und Warschauer Vertrag kommt. Und: Ihr tragt Verantwortung dafür, dass es auf dem Gebiet der DDR nicht zu gewaltsamen Zusammenstößen kommt. Denn sonst werden 350 000 sowjetische Soldaten, die in der DDR stationiert waren, in diese Gewalt hineingezogen. Das sind Aspekte, die auch heute in Korea eine Rolle spielen, wo der Norden Kernwaffen hat und im Süden USSoldaten stationiert sind.
Liegt darin die größte Gefahr bei diesem schwierigen Annäherungsprozess?
Ja, und deshalb hat Südkoreas Präsident sich so stark für Frieden und Sicherheit ausgesprochen und sich für die Begegnung von Kim Jong-un mit dem US-Präsidenten eingesetzt. Denn wenn zwei Kernwaffenmächte Teil dieses Prozesses sind, muss man miteinander in eine Debatte kommen. Vor allem, nachdem Kim und Trump sich noch kurz zuvor ganz fürchterlich beharkt haben.
Das Eis hat dann der Süden gebrochen?
Ganz maßgeblich das Eis gebrochen, denn Moon weiß: Wenn es zum Krieg käme, gegen wen würde denn der geführt? Auch gegen die 35 000 amerikanischen Soldaten, die im Süden stationiert sind. Und auch Japan mit dem US-Stützpunkt in Okinawa und die Atommächte China und Russland wären betroffen. Deshalb setzt Moon darauf, dass man bei der Annäherung einerseits eine Balance zwischen den beiden Koreas braucht, andererseits aber auch äußere Interessen zu berücksichtigen sind – ähnlich wie bei der deutschen Vereinigung, als es zu den 2+4-Gesprächen kam. Moon weiß, dass Frieden und Sicherheit in der Region nicht nur ein innerkoreanisches Thema sind. Er setzt derzeit verstärkt auf Kontakte zum Norden, weiß aber, dass der internationale Aspekt zur Strategie gehören muss.
Nun hatte sich einigermaßen überraschend Donald Trump persönlich in das Geschehen eingemischt und mit dem Gipfeltreffen mit Kim Jongun etwas ermöglicht, was man nicht für möglich gehalten hätte. Trump ist ja völlig unberechenbar – muss man ihm den Gipfel als Verdienst anrechnen?
Das zu beurteilen ist es zu früh. Die Erfahrung sagt eins: Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die USA viele Kriege geführt und keinen gewonnen. Sie haben Zerstörungen und untergegangene Staaten hinterlassen, aber nichts für Frieden und Stabilität getan. Aber genau das steht jetzt auf der Tagesordnung. Immerhin hat Trump zugesichert, vorerst auf Manöver mit Südkorea zu verzichten. Das ist strategisch wichtig auch für China.
Trump ist unberechenbar, und das ist vor allem das Thema Chinas. Dessen Haltung ist eindeutig: Wir haben mit Südkorea gute Beziehungen in der Wirtschaft und brauchen eine strategische, längerfristige Partnerschaft. In dieser Angelegenheit hatte ich schon 2016 Gespräche in China und Südkorea. Die Chinesen schauen genau darauf, dass ihre Interessen beachtet werden.
Kann es denn überhaupt eine koreanische Annäherung ohne Mitsprache Chinas geben? Der Süden beobachtet, dass im Moment 97 Prozent aller Außenhandelsbeziehungen Nordkoreas in Richtung China laufen. Dagegen ist der Süden einseitig auf die USA orientiert. Dahinein spielen die Zollauseinandersetzungen. Hinzu kommt das Gefälle in der Wirtschaft zwischen Nord und Süd.
Vom Süden gibt es kein Interesse an einer weiteren Verschärfung der Sanktionen gegen den Norden. Im Gegenteil, der Süden engagiert sich für ein Zurückfahren der Sanktionen. Denn wenn sich ein reicherer Süden mit einem Armenhaus im Norden vereinigen würde, wären das schwere Lasten. Kann man die aber vorher abbauen oder wenigstens reduzieren, dann dient das der Wiedervereinigung. Da zeigt sich eben die Suche nach Balancen.
Ist Kim Jong-un in Ihren Augen ein verlässlicher Staatsmann oder einer, der mit Atomwaffen pokert? Für mich ist die Frage: Wie geht man so miteinander um, dass man dem Ziel der Annäherung näher kommt? Da könnte ich natürlich sagen, der Präsident im Süden begreift nicht, mit wem er es im Norden zu tun hat. Aber wenn es mit der Vereinigung etwas werden soll, muss zunächst Vertrauen wachsen. Das kann ich als Außenstehender nur unterstützen. Deshalb sehe ich meine Aufgabe bei meinen Gesprächen darin, vertrauensbildend zu wirken und nicht den Oberschlauen zu spielen, der ich für die komplizierte Situation dort auch gar nicht sein kann.
Und was die Atomwaffen des Nordens betrifft: Wenn Kim die hergeben soll, dann müssen auch US-Soldaten der USA raus aus dem Süden. Und darüber muss es einen Vertrag geben.
Sind das auch die Gedanken des Südens?
Im Moment steht das nicht zur Verhandlung. Aber jeder weiß, Verhandlungen haben einen Anfang, und zu diesem Anfang gehört, dass nach und nach alle Faktoren, die zum Thema Frieden und Sicherheit gehören, einzubeziehen sind. Können Sie, wenn Sie mit hochrangigen Vertretern der Partei der Arbeit in Nordkorea sprechen, auch über Themen wie Rüstung, Menschenrechte, Demokratie und Meinungsfreiheit reden? Und wie sieht es im Süden aus, wo es auch sehr repressive Phasen gab?
Mein Anliegen ist es in diesen Gesprächen, das zu unterstützen, was sich im Moment zwischen den beiden Koreas entwickelt. Wenn Präsident Moon, der den Norden besser kennt als ich, es für sinnvoll hält, diese Themen nicht in den Vordergrund zu stellen, dann habe ich auch nicht die Absicht, dies zu tun. Und das rate ich derzeit auch der deutschen Außenpolitik. Die Frage jetzt lautet doch: Wollen wir das unterstützen, was sich dort entwickelt, oder wollen wir Steine sammeln und in den Weg legen? Nach meiner Überzeugung sind die Koreaner gut beraten, den vierten Schritt nicht vor dem ersten zu tun.
Südkorea war lange Zeit das, was man einen Marionettenstaat der USA nennen kann. Der jetzige Präsident Moon versucht sich da zu emanzipieren. Wie weit gelingt ihm das nach Ihrer Beobachtung?
Er vertritt diese Position nicht nur in seinem Land, sondern auch international. Er steht da in einer schwierigen Situation und auch unter Zeitdruck, weil in Südkorea in drei Jahren wieder gewählt wird. Wenn in diesen drei Jahren seine Politik nicht von einer Mehrheit des Volkes getragen wird, dann entsteht wieder eine Gegenbewegung, dann spitzt sich der Konflikt womöglich wieder zu. Davon hätte niemand etwas in der Region. Die Großmächte, die in der Region Interessen haben –- Japan, die USA, Russland und China –, wären gut beraten, die Annäherung zu unterstützen.
Und auch die UNO hat eine Verantwortung. Die beiden koreanischen Staaten wurden 1993 gleichzeitig in die UNO aufgenommen, so wie die beiden deutschen Staaten 1973. Die Völkergemeinschaft muss ein Interesse daran haben, dass zwei Mitgliedstaaten der UNO einen Weg zueinander finden.
»Von Südkorea gibt es kein Interesse an einer weiteren Verschärfung der Sanktionen gegen den Norden. Im Gegenteil, der Süden engagiert sich für ein Zurückfahren der Sanktionen. Denn wenn sich ein reicherer Süden mit einem Armenhaus im Norden vereinigen würde, wären das schwere Lasten. Kann man die aber vorher abbauen oder wenigstens reduzieren, dann dient das der Wiedervereinigung.«