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Staat Guck-in-die-Luft

Dubiose Steuertric­ks kosten europäisch­e Länder mindestens 55 Milliarden Euro

- Spo

Berlin. Vor rund zweieinhal­b Jahren veröffentl­ichte das Wirtschaft­smagazin »Bilanz« eine Liste mit Banken, gegen die die Wuppertale­r Steuerfahn­dung wegen sogenannte­r CumEx-Geschäfte ermittelte. Ging man diese Liste durch, so blieb nur eine Frage: Welche Bank war eigentlich nicht in diese dubiosen Deals rund um den Dividenden­stichtag verwickelt? Mehr als 100 Finanzinst­itute brachten die nordrhein-westfälisc­hen Ermittler damals in Bedrängnis. Dabei ist das Ausmaß des Skandals noch weitaus größer als damals gedacht.

Dies belegen Untersuchu­ngen des Recherchez­entrums Correctiv, an denen 19 Medien aus zwölf Ländern beteiligt waren. Darunter unter anderem das ARD-Magazin »Panorama«, die Wochenzeit­ung »Die Zeit« und »Zeit Online«. Der Schaden, den Cum-Ex- und ähnlich gestaltete, sogenannte Cum-Cum-Geschäfte verursacht­en, liegt demnach bei mindestens 55,2 Milliarden Euro. Betroffen von den Steuertric­ksereien, bei denen unrechtmäß­ig eine Erstattung der Kapitalert­ragssteuer erschliche­n wird, sind neben Deutschlan­d mindestens zehn weitere europäisch­e Länder.

»Das Staatsvers­agen Deutschlan­ds bei Cum-Ex hat deutsche Steuerzahl­er und eu- ropäische Partner wie Frankreich Milliarden gekostet«, sagt der finanzpoli­tische Sprecher der LINKE-Bundestags­fraktion Fabio De Masi. So habe das Bundesfina­nzminister­ium andere Staaten offenbar mit 13 Jahren Verspätung vor diesen Deals gewarnt, »während Bankster die Staatskass­en in Europa wie eine Weihnachts­gans ausnahmen«. Auch ließ sich das Bundesfina­nzminister­ium reichlich Zeit, hierzuland­e die Lücke zu schließen. Zwar wusste man spätestens schon 2002 Bescheid, doch machte man Cum-Ex-Deals erst 2012 unmöglich. Bei Cum-Cum-Deals ließ man sich sogar bis 2016 Zeit.

Dubiose Aktiendeal­s haben in Europa einen Steuerscha­den von mindestens 55,2 Milliarden Euro angerichte­t. Möglich wurde dies nur, weil Deutschlan­d seine Nachbarn erst spät warnte. Der größte Steuerraub der deutschen Geschichte ist größer als gedacht. Und er hat eine europaweit­e Dimension. Dies deckte ein Team von 19 Medien aus zwölf Ländern unter der Leitung des Recherchez­entrums Correctiv auf. Laut der am Donnerstag veröffentl­ichten Recherchee­rgebnisse beläuft sich der durch sogenannte Cum-Exund Cum-Cum-Deals entstanden­e Steuerscha­den auf mindestens 55,2 Milliarden Euro. Neben dem deutschen Fiskus sollen die Staatskass­en mindestens zehn weiterer Staaten ausgeraubt worden sein.

Bei den Deals handelt es sich um Aktiengesc­häfte rund um den Dividenden­stichtag mit dem alleinigen Ziel, eine Erstattung der Kapitalert­ragssteuer zu erschleich­en. Bei den Cum-Ex-Deals nutzen Steuertric­kser eine Lücke im Aktienrech­t aus, womit sie sich teils mehrfach die Kapitalert­ragssteuer erstatten lassen können, obwohl diese Abgabe nur einmal an den Staat floss. Bei den Cum-Cum-Geschäften verkauft ein ausländisc­her Investor, der nicht erstattung­sberechtig­t ist, sein Aktienpake­t an eine innländisc­he Bank. Diese kann sich die Kapitalert­ragssteuer auf die Dividenden erstatten lassen. Hinterher wird das Aktienpake­t wieder zurückgeka­uft. Beide Akteure teilen sich dann den aus den erschliche­nen Staatsgeld­ern gemachten Gewinn.

Bereits in der vergangene­n Legislatur­periode beschäftig­te sich ein Bundestags­untersuchu­ngsausschu­ss mit diesen dubiosen Geschäften. Dort mussten unter anderem die ehemaligen Bundesfina­nzminister Peer Steinbrück (SPD) und Wolfgang Schäuble (CDU) aussagen. Neben Prominente­n wie dem Unternehme­r Carsten Maschmeyer waren zahlreiche Banken, darunter auch Deutsche und Commerzban­k, in die krummen Deals verwickelt. Im Februar 2016 musste die kleine Maple Bank deswegen sogar schließen. Die Finanzaufs­icht Bafin kam damals zum Schluss, dass das Kreditinst­itut die wegen ihre Verstricku­ngen drohenden Steuerrück­zahlungen nicht hätte stemmen können.

Der Cum-Ex-Skandal ist auch eine Geschichte des Versagens des Bun- desfinanzm­inisterium­s. Spätestens 2002 war dem Ministeriu­m die Gesetzeslü­cke bekannt, die die gemeinhin als illegal angesehene­n Deals ermöglicht­e. Der Hinweis kam damals vom Bankenverb­and. Doch der zuständige Beamte war überforder­t und überarbeit­et, weshalb lange nichts geschah. 2007 handelte der Gesetzgebe­r, doch ließ er eine Hintertür für die Cum-Ex-Deals, die die Bankenlobb­y ihm quasi diktiert hatte. Experten gehen davon aus, dass die Betrügerei­en danach erst richtig losgingen.

Endgültig unmöglich gemacht wurden die Cum-Ex-Deals erst 2012. Bei den Cum-Cum-Deals handelte man erst 2016. Experten gehen von einem Schaden von bis zu zwölf Milliarden Euro aus, den allein die CumEx-Deals anrichtete­n. Zusammen mit den Cum-Cum-Deals entgingen dem deutschen Fiskus mindestens 31,8 Milliarden Euro.

»Der organisier­te Steuerraub von Bankern in ganz Europa konnte nur mit Hilfe von Politikern gelingen, die die kriminelle­n Machenscha­ften schweigend mit ansahen«, kommentier­t Martin Schirdewan, finanzpoli­tischer Sprecher der Linksfrakt­ion GUE/NGL im EU-Parlament, das nun bekannt gewordene Ausmaß des Skandals. Demnach sind zumindest auch die Finanzämte­r von Belgien, Dänemark, Österreich, Norwegen, der Schweiz, Spanien, Finnland, Frankreich, Italien und den Niederland­en Opfer solcher Geschäfte geworden. Besonders heftig traf es mit einem Schaden von mindestens 17 Milliarden Euro Frankreich. Auch in Italien und Dänemark richteten die Betrügerei­en mit 4,5 beziehungs­weise 1,7 Milliarden Euro einen Milliarden­schaden an.

»Weil es keine europäisch­e Finanzpoli­zei gibt und die Regierunge­n bei Steuerkrim­inalität nicht zusammenar­beiten, ist dieser Raubzug überhaupt erst möglich geworden«, sagt der Grünen-Finanzexpe­rte Gerhard Schick. Indes hält die Bundesregi­erung die dubiosen Geschäfte laut den Correctiv-Recherchen bis heute für ein rein deutsches Problem. Erst 2015 hat Deutschlan­d seine europäisch­en Nachbarn über eine OECD-Datenbank über die Cum-Ex-Geschäfte informiert. »Anstatt die Nachbarlän­der zu warnen, hat die Bundesregi­erung den Kriminelle­n in Nadelstrei­fen noch die Tür des Fluchtwage­ns aufgehalte­n«, meint LINKE-Finanzexpe­rte Schirdewan dazu.

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Foto: Unsplash/Kelvin Zyteng
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Foto: ddp images Waren beide irgendwie in den Cum-Ex-Skandal verwickelt: Ex-Bundesfina­nzminister Wolfgang Schäuble und Unternehme­r Carsten Maschmeyer.

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