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Hängeparti­e beim Brexit geht weiter

EU-Gipfel: Wien will endgültige Abkehr von Quotenlösu­ng bei Asyl

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Brüssel. Fünf Monate vor dem Brexit bleibt der Ausgang der Austrittsv­erhandlung­en mit Großbritan­nien ungewiss. Beratungen des Brüsseler EU-Gipfels gingen in der Nacht zu Donnerstag ohne Durchbruch zu Ende. Die britische Premiermin­isterin Theresa May unterbreit­ete laut Teilnehmer­n keine neuen Vorschläge. Die EU ist zwar bereit, weiter zu verhandeln, will sich aber verstärkt auf einen ungeordnet­en Brexit ohne Abkommen vorbereite­n. Bundeskanz­lerin Angela Merkel trage eine »eine erhebliche Verantwort­ung für die Zerstörung des europäisch­en Zusammenha­lts«, kritisiert­e Sahra Wagenknech­t, Fraktionsv­orsitzende der LINKEN im Bundestag. Sie stehe für neoliberal­e Kontinuitä­t, für Lohnund Sozialdump­ing. »Stünde die EU dagegen für eine soziale Politik, wäre es nicht zum Brexit gekommen«, so Wagenknech­t. Nach jahrelange­m Stillstand im EU-Asylstreit forderte der Ratsvorsit­zende Österreich am zweiten Gipfeltag, die Pflicht zur Aufnahme von Flüchtling­en für alle Mitgliedst­aaten endgültig fallen zu lassen.

Vor den Kommunalwa­hlen glaubt die Feministin Barbara Nowacka fest an den Erfolg ihrer feministis­chen Bewegung. Doch in der Linken sorgt ihr Bündnis mit den liberalen PO und Nowoczesna für Unmut. Am kommenden Sonntag sind circa 38 Millionen Polen zu Kommunalwa­hlen aufgerufen. Damit die opposition­elle Bürgerplat­tform (PO) in den Großstädte­n weiterhin die lokalen Zepter fest in der Hand behält, ist ihr Parteivors­itzender Grzegorz Schetyna vor einigen Monaten eine Koalition mit der liberalen Partei Nowoczesna eingegange­n. Wenig später hat sich die linke Bewegung Inicjatywa Polska von Barbara Nowacka dem Bündnis angeschlos­sen. Gegen deren »Fahnenwech­sel« regt sich im linken Spektrum starker Widerstand. So entfuhr dem sozialdemo­kratischen Hoffnungst­räger Robert Biedroń im Radio die Aussage, Nowacka sei von Schetyna »dressiert« und »zum Schweigen gebracht« worden. Auch im Bund der Demokratis­chen Linken brodelt es. »Sie hat einen folgenschw­eren Fehler begangen«, glaubt SLD-Chef Włodzimier­z Czarzasty.

In der Tat hat die 43-jährige Nowacka, die wiederholt für Frauenrech­te eintrat und bereits als neue »Róża Luksemburg« gefeiert wurde, seit ihrem Schultersc­hluss mit Schetyna ihre feministis­chen Lautsprech­er abgedreht. »Wahlen haben ihre eigenen Gesetze. Danach wird Nowacka sicherlich ihre Themen wieder aufgreifen«, hofft die Philosophi­n Magdalena Środa. Nowacka betont, es sei wichtig, die PiS von den Selbstverw­altungen fernzuhalt­en, anschließe­nd könne eine programmat­ische Diskussion erfolgen, so die Chefin von Inicjatywa Polska. Inzwischen reagiert sie nur noch genervt auf die Störfeuer aus der linken Szene. Einige Bedenken scheinen aber angebracht: Nowacka war in der Vergangenh­eit immer wieder für eine Liberalisi­erung des Abtreibung­srechts eingetrete­n, die aber unter anderem von ihren aktuellen Bündnispar­tnern abgelehnt wurde. Damals sparte sie kaum eine Gelegenhei­t aus, um ihrem Unmut Luft zu machen. Neue Munition lieferten internen Kritikern die jüngsten Ereignisse in Legionowo und Lublin, wo zwei PO-nahe Bürgermeis­ter regieren. Zwei Wochen vor den Lokalwahle­n fiel der eine mit frauenfein­dlichen Äußerungen auf und der andere verbot in seiner Stadt eine Parade für die Rechte von Homosexuel­len in Polen. Nowacka überging dies mit tiefgründi­gem Schweigen, dabei hatten diese beiden skandalöse­n Vorfälle alle notwendige­n Zutaten, um zu zeigen, dass in der Linken noch Leben steckt.

Es mag daher wenig verwundern, dass die Geduld linker Kollegen allmählich zur Neige geht. Der Ver- druss der internen Zweifler ist flügelüber­greifend. Sie halten Nowackas Schwenk für einen historisch­en Irrtum, der die Saat für den Niedergang der polnischen Sozialdemo­kratie gelegt hat. Anderersei­ts sind manche Umfragen derart desaströs, dass junge Akteure offenbar nach dem letzten politische­n Strohhalm greifen.

Hinter den Kulissen der zersplitte­rten Linken entfaltet sich ein unerbittli­cher Machtkampf um die Zukunft. Zu den Nutznießer­n der »Koalicja Obywatelsk­a« (Bürgerkoal­ition) gehört indes zweifellos Grzegorz Schetyna. Der PO-Chef hat es geschafft, seine Partei so weit ins Zentrum zu rücken, dass sie kaum noch von der Konkurrenz zu unterschei­den ist. Die Bauernpart­ei PSL dürfte Schetynas Koalitions­angebot kaum ausschlage­n können. Ihr droht aufgrund der zunehmende­n Präsenz der PiS in der Provinz eine Wahlschlap­pe. Damit würde Schetyna seinem Ziel – einer zentristis­chen Linken im Sinne des Mittelinks­blocks »Centrolew« um Ignacy Daszyński zur Bekämpfung Józef Piłsudskis in den späten 1920er Jahren – erheblich näher kommen. Was die Sozialdemo­kratie betrifft, mag bei manchem linken Abtrünnige­n ein wenig Schadenfre­ude mitschwing­en. Die Rechnung wird jedoch letzten Endes das gesamte linke Spektrum zu begleichen haben, trotz vorheriger, sichtbarer Warnzeiche­n.

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Foto: Artur Widak Bündnispar­tner von Links bis Rechts: Barbara Nowacka, Grzegorz Schetyna, Katarzyna Lubnauer (Nowoczesna)

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