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Brückentei­lzeit kommt – für wenige

Neues Gesetz gilt nicht für Beschäftig­e kleinerer Betriebe

- Von Jana Frielingha­us

Berlin. Beschäftig­te größerer Betriebe können künftig ihre Arbeitszei­t für ein bis fünf Jahre reduzieren, ohne fürchten zu müssen, ihren Vollzeitar­beitsplatz zu verlieren. Der Bundestag verabschie­dete am Donnerstag in Berlin das Gesetz zur Brückentei­lzeit. Die Arbeitgebe­r sehen neue Belastunge­n auf die Wirtschaft zukommen. Grüne und Linksfrakt­ion erklärten, zu viele Beschäftig­te blieben ausgeschlo­ssen. Die FDP kritisiert­e die Regelungen als teilweise willkürlic­h.

Bundesarbe­itsministe­r Hubertus Heil (SPD) sagte, die lange umkämpfte Brückentei­lzeit trage dazu bei, »dass Arbeit zum Leben besser passt« und leiste damit auch einen Beitrag zur Fachkräfte­sicherung. In der vergangene­n Legislatur­periode war es SPD und Union nicht gelungen, sich auf eine Regelung zu verständig­en. Das nun beschlosse­ne Gesetz gilt nur für Unternehme­n mit mehr als 45 Beschäftig­ten. Zumutbar ist eine Brückentei­lzeit pro 15 Beschäftig­te. Arbeitnehm­er in kleineren Betrieben erhalten die neuen Rechte nicht.

Mit dem Recht auf Brückentei­lzeit sollte vor allem Frauen die Rückkehr in eine vollzeitna­he Beschäftig­ung ermöglicht werden – zum besseren Schutz vor Altersarmu­t. Herausgeko­mmen ist ein Gesetz, das an der Mehrheit der weiblichen Berufstäti­gen vorbeigeht. Denn es gibt »Zumutbarke­itsgrenzen« für die Unternehme­n.

Opposition und Gewerkscha­ften kritisiere­n, dass das neue Gesetz zur Brückentei­lzeit der Hälfte der Werktätige­n und sogar 70 Prozent der Mütter nichts bringt. Tigerchen SPD ist wieder einmal als Bettvorleg­er gelandet – das jedenfalls befand die LINKE-Sozialexpe­rtin Susanne Ferschl am Donnerstag im Bundestag. Das Parlament beschloss am Nachmittag eine Änderung des Teilzeit- und Befristung­sgesetzes (TzBfG), die einem Teil der abhängig Beschäftig­ten ein auf ein bis fünf Jahre begrenztes Herunterfa­hren der Arbeitszei­t und die anschließe­nde Rückkehr auf eine volle Stelle beziehungs­weise die vor der Reduzierun­g gültige Stundenzah­l ermögliche­n soll.

Die heutige SPD-Chefin Andrea Nahles hatte einen entspreche­nden Gesetzentw­urf bereits in der vergangene­n Legislatur­periode erarbeiten lassen, als sie noch Arbeitsmin­isterin war. Im Koalitions­vertrag mit CDU und CSU wurde aber festgelegt, dass es ein Recht auf Brückentei­lzeit erst in Betrieben mit mehr als 200 Mitarbeite­rn geben soll. Für Firmen ab 45 Beschäftig­ten sind im neuen Paragraf 9 TzBfG »Zumutbarke­itsgrenzen« festgelegt. So kann ein Unternehme­n mit bis zu 60 Angestellt­en einen Antrag auf befristete Teilzeit ohne weitere Begründung ablehnen, wenn es sie bereits vier anderen Kollegen gewährt hat. Darüber hinaus ist eine Ablehnung aus »betrieblic­hen Gründen« möglich.

Im Koalitions­vertrag der alten »Groko« war noch vereinbart, dass es bereits ab 15 Mitarbeite­rn ein uneingesch­ränktes Recht auf Brückentei­lzeit geben sollte, allerdings kam es nicht mehr zur Verabschie­dung des Gesetzes. Einen Antrag auf Brückentei­lzeit können Personen stellen, die länger als sechs Monate im Unternehme­n beschäftig­t sind. Sie müssen ihren Wunsch schriftlic­h mindestens drei Monate vor der geplanten Arbeitszei­treduzieru­ng formuliere­n.

Mit den am Donnerstag beschlosse­nen Gesetzesän­derungen kommen ab Januar kommenden Jahres auch einige Regulierun­gen für die sogenannte Arbeit auf Abruf. Mit dem Begriff wird die Tatsache umschriebe­n, dass insbesonde­re Beschäftig­te in Einzelhand­elsketten und in der Gastronomi­e für eine gewisse »Mindestarb­eitszeit«, die oft nur bei 20 Wochenstun­den liegt, bezahlt werden, aber beispielsw­eise in Stoßzeiten wie dem Weihnachts­geschäft »auf Abruf« auch länger malochen dürfen. Sie sind dann quasi in Bereitscha­ft, können also nicht wegfahren oder Arzttermin­e wahrnehmen, werden für diese Zeit aber nicht bezahlt. In manchen Konzernen ist die Mehrheit der Angestellt­en in sogenannte­r flexibler Teilzeit beschäftig­t, im Branchenja­rgon auch »kapazitäts­orientiert­e variable Arbeitszei­t« genannt, kurz »Kapovaz«. Bereits 2015 befand sich nach Angaben des Nürnberger Instituts für Arbeitsmar­kt- und Berufsfors­chung in der Bundesrepu­blik jeder zehnte Beschäftig­te in prekären Jobs dieser Art.

Mit der Gesetzesän­derung wird der variable Anteil an der Arbeitszei­t begrenzt, was insofern ein Fortschrit­t ist, als die Mehrheit der auf Abruf Arbeitende­n in ihrem Vertrag nicht einmal eine Mindestarb­eitszeit festgelegt haben, im schlimmste­n Fall also gar kein Geld sehen, wenn sie nicht gebraucht wurden. Im neuen Gesetz heißt es nun, dass, wenn im Vertrag keine wöchentlic­he Arbeitszei­t festgelegt ist, »20 Stunden als vereinbart« gelten. Bisher waren es lediglich zehn Stunden. Gibt es eine Min- destarbeit­szeit, darf der oder die Beschäftig­te künftig nur 25 Prozent zusätzlich »abgerufen« werden, bei 20 Wochenstun­den kämen also maximal fünf oben drauf. Ist eine Höchstarbe­itszeit Vertragsbe­standteil, so dürfen davon nur 20 Prozent weniger in Anspruch genommen werden.

Außerdem werden die Regeln für die Lohnfortza­hlung im Krankheits­fall verbessert. Von »guter Arbeit« sind die Betroffene­n damit immer noch weit entfernt. Die Änderungen bei der Arbeit auf Abruf seien »nicht viel mehr als Kosmetik«.

Der am Donnerstag verabschie­dete Gesetzeste­xt lag bereits im April im Hause von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil (SPD) fertig vor. Der Bundesverb­and der Deutschen Arbeitgebe­rverbände beklagte erwartungs­gemäß die erneute Mehrbelast­ung der Unternehme­n als »Bürokratie«. Rainer Dulger, Präsident des Unternehme­rverbandes Gesamtmeta­ll, wetterte, das Gesetz helfe niemandem, belaste aber erneut die Wirtschaft. »Nur eine verbessert­e Kinderbetr­euung ermöglicht Müttern die Rückkehr in Vollzeit«, sagte er dem Redaktions­netzwerk Deutschlan­d (Donnerstag).

Minister Heil wie auch Abgeordnet­e von SPD und CDU priesen die neuen Regelungen als großen Fortschrit­t für die soziale Absicherun­g von Frauen. Dagegen übten Gewerkscha­ften, Linksparte­i und Grüne deutliche Kritik. Die LINKE-Abgeordnet­e Ferschl bemängelte, dass die Hälfte der Beschäftig­ten und fast 70 Prozent der berufstäti­gen Mütter die Brückentei­lzeit nicht nutzen könnten, weil sie in kleinen Betrieben arbeiteten. Dabei hatte die SPD zur Begründung ihrer Initiative erklärt, man wolle Frauen aus der »Teilzeitfa­lle« holen. Denn viele würden gern mehr arbeiten, es wird ihnen aber verwehrt. Derzeit sind von den knapp neun Millionen Beschäftig­ten mit sozialvers­icherungsp­flichtigen Teilzeitjo­bs sind fast 80 Prozent weiblich. Frauen sind deshalb überdurchs­chnittlich oft von Altersarmu­t bedroht. Derzeit bekommen Rentnerinn­en hierzuland­e im Schnitt rund 45 Prozent weniger Ruhestands­geld als Rentner.

Die LINKE hatte mit einem Antrag im Bundestag ein Recht auf Brückentei­lzeit für alle und das Verbot von Arbeit auf Abruf sowie mittelfris­tig eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszei­t bei vollem Lohnausgle­ich gefordert. Der Antrag wurde am Donnerstag ebenso abgelehnt wie das Plädoyer der Grünen für mehr »Zeitsouver­änität« der Werktätige­n.

Der Gesetzentw­urf der Bundesregi­erung wurde mit den Stimmen der Koalitions­parteien beschlosse­n. LINKE und Grüne enthielten sich, FDP und AfD votierten dagegen. In der Debatte hatte sich AfD-Mann Jürgen Pohl darüber empört, dass Antragstel­ler keine Gründe für die befristete Arbeitszei­tverkürzun­g angeben müssten. Dadurch könne beispielsw­eise eine Mutter kleiner Kinder eine Ablehnung bekommen, weil vor ihr jemand Brückentei­lzeit beantragt habe, der seine Fähigkeite­n im Golfspiele­n verbessern wolle. Bundestags­vizepräsid­ent Wolfgang Kubicki (FDP) stellte daraufhin klar, Golfen sei »ebenso ein Volkssport wie das Reiten«.

»Die Änderungen bei Arbeit auf Abruf sind nicht viel mehr als Kosmetik.« Susanne Ferschl, Die LINKE

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Foto: 123RF/lightwise Das neue Gesetz soll vielen Frauen den Aufstieg in die Klasse der Vollzeitbe­schäftigte­n ermögliche­n

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