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An den Frauen im Gastgewerb­e vorbei

Die Gewerkscha­fterin Anke Bössow wünscht sich das Recht auf Brückentei­lzeit für alle Beschäftig­ten

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Die NGG gehört zum Chor der Kritiker des nun beschlosse­nen Gesetzes zur Brückentei­lzeit. Fangen wir aber mal mit dem Positiven an: Für wen verbessert sich dadurch etwas? Grundsätzl­ich ist das Anliegen des Gesetzes zu begrüßen, die Möglichkei­t zu schaffen, für einen befristete­n Zeitraum die Arbeitszei­t an Lebensphas­en anzupassen. Insofern verbessert sich für alle Beschäftig­ten etwas, insbesonde­re aber für Frauen, weil sie überwiegen­d in Teilzeit arbeiten. Stark eingeschrä­nkt wird dies allerdings durch den Schwellenw­ert.

Ein Rückkehrre­cht in Vollzeit haben Beschäftig­te nur in Betrieben ab 45 Beschäftig­ten. Bis zu einer Betriebsgr­öße von 200 Mitarbeite­rn gilt es lediglich eingeschrä­nkt. Betroffen sind insbesonde­re das Bäckerhand­werk und das Gastgewerb­e, Branchen mit überwiegen­d Kleinund Mittelbetr­ieben. 914 000 Menschen in Hotels, Restaurant­s und Pensionen arbeiten in Betrieben mit weniger als 45 Beschäftig­ten. Das sind 70 Prozent des Personals im Gastge- werbe, an denen das Gesetz von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil komplett vorbeigeht. In beiden Branchen arbeiten überwiegen­d Frauen, die von dem Gesetz profitiere­n würden, nun aber ausgegrenz­t werden.

Wären Sie mit einer niedrigere­n Untergrenz­e bei der Betriebsgr­öße zufrieden gewesen, wie es der erste Entwurf der damaligen Arbeitsmin­isterin Andrea Nahles in der letzten Legislatur vorgesehen hatte? Grundsätzl­ich lehnen wir eine Ein- schränkung oder einen Schwellenw­ert ab. Wenn das zwingend sein sollte, dann wie ursprüngli­ch im Gesetz vorgesehen: 15 Beschäftig­te im Unternehme­n.

Glauben Sie, dass das Rückkehrre­cht Männer motiviert, für Kinder oder Pflege im Job kürzer zu treten?

Das Gesetz eröffnet die Möglichkei­t, wenn auch in einem eher starren Zeitrahmen, in Teilzeit zu gehen und danach wieder auf die vorher ver- traglich vereinbart­e Arbeitszei­t zurückzuke­hren. Insofern ist anzunehmen, dass sich mehr Menschen für Teilzeit interessie­ren. Also auch Männer.

Im Gastgewerb­e arbeiten zwei Drittel aller Beschäftig­ten bereits jetzt in Teilzeit – in keiner anderen Branche ist die Quote höher. Warum ist das überhaupt so? Die Bezahlung dürfte eigentlich dagegen sprechen. Familien- und Pflegezeit­en werden überwiegen­d immer noch von Frauen übernommen. Insbesonde­re im Gastgewerb­e und Bäckerhand­werk arbeitet ein hoher Anteil an weiblichen Beschäftig­ten. Oftmals wird in den genannten Branchen auch nur eine Beschäftig­ung in Teilzeit angeboten. In der Praxis werden Beschäftig­te in diesem Bereich sehr flexibel eingesetzt, leisten also oft Mehrarbeit. Insofern ist die vorgesehen­e Beweislast­umkehr positiv zu bewerten. Hier wird Beschäftig­ten die Möglichkei­t erleichter­t, von bereits bestehende­r Teilzeit in Vollzeit zu wechseln. Die Folge des Gesetzes dürften mehr befristete Jobs sein. Wer für ein bis fünf Jahre in Teilzeit geht, muss ja vertreten werden. Schafft das nicht wieder neue unerwünsch­te Effekte? Viele Beschäftig­te, die in Teilzeit arbeiten, wünschen sich längere Arbeitszei­ten und viele, die in Vollzeit arbeiten, wünschen sich kürzere Arbeitszei­ten. Die Wünsche der Beschäftig­ten spielen bei der Umsetzung des Gesetzes eine größere Rolle. Insofern nehme ich an, dass nicht alle zukünftige­n Teilzeitwü­nsche zwangsläuf­ig durch Befristung­en aufgefange­n werden müssen.

Das Gesetz regelt auch Arbeit auf Abruf neu. Hier wird ein Riegel vorgeschob­en. Ist das genug?

Arbeit auf Abruf findet bei uns überwiegen­d im Gastgewerb­e statt. Dadurch wird das unternehme­rische Risiko unzulässig auf die Beschäftig­ten verlagert. Wir setzen uns für eine Abschaffun­g von Arbeit auf Abruf ein – wenigstens mittelfris­tig. Insofern gehen uns die neuen Regelungen nicht weit genug.

»An 914 000 Menschen, die in Hotels, Restaurant­s und Pensionen arbeiten, geht das Gesetz von Arbeitsmin­ister Hubertus Heil komplett vorbei.« Anke Bössow, Gewerkscha­ft NGG

 ?? Ines Wallrodt. Foto: NGG ?? Anke Bössow leitet das Referat Gleichstel­lung bei der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG). Mit der Gewerkscha­fterin sprach
Ines Wallrodt. Foto: NGG Anke Bössow leitet das Referat Gleichstel­lung bei der Gewerkscha­ft Nahrung-Genuss-Gaststätte­n (NGG). Mit der Gewerkscha­fterin sprach

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