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Der Fall Khashoggi und die Türkei

Erdoğan wird nicht ernsthaft Rechenscha­ft für den Tod des saudischen Reporters einfordern, glaubt Yücel Özdemir. Denn erstens will das Regime die Beziehunge­n zu Riad nicht gefährden – und zweitens hat es selbst Leichen im Keller

- Aus dem Türkischen von Svenja Huck

Die Türkei ist nicht nur für Journalist­en mit türkischer Staatsbürg­erschaft ein gefährlich­er Ort. Sondern auch für ihre ausländisc­hen Kollegen. Diese Gefahr drückte sich bis heute vorwiegend in Verhaftung­en aus. Doch was dem saudischen Kollegen Jamal Khashoggi nun widerfuhr, erweitert das Gefahrensp­ektrum noch einmal.

Seitdem Khashoggi am 2. Oktober das Generalkon­sulat Saudi-Arabiens in Istanbul betrat, es nicht mehr verließ und verschwand, sind etwas mehr als zwei Wochen vergangen. Doch weder von türkischer noch von saudischer Seite gab es bislang eine klare Stellungna­hme.

Man weiß inzwischen, dass eine Gruppe, bestehend aus 15 Personen, mit dem Status der diplomatis­chen Immunität von Saudi-Arabien nach Istanbul ins Konsulat gereist war und dieses noch am selben Tag wieder verließ. Kameraaufn­ahmen vom Flughafen zeigen, dass sie alle problemlos ein- und wieder ausreisen konnten.

Nun steht mit an Sicherheit grenzender Wahrschein­lichkeit fest, dass Khashoggi in Istanbul getötet wurde. Es ist nicht gang und gäbe, dass solch ein Sonderkomm­ando von Riad nach Istanbul kommt, um einen opposition­ellen Journalist­en umzubringe­n. Vor allem ist es nicht üblich, dass solche Leute unbehellig­t, einfach fröhlich winkend die Türkei wieder verlassen. Übrigens ist auch der saudische Generalkon­sul Mohammad al-Otaibi in sein Heimatland zurückgeke­hrt. Dass der türkische Geheimdien­st MİT über die Operation nicht informiert gewesen sein soll, ist nicht gerade glaubwürdi­g.

Die Dosis der Kritik, die Recep Tayyip Erdoğan und seine Minister nach diesem Mord an die saudische Führung richten können, ist allerdings gering. Erdoğans Verhalten ist auf eine Fortsetzun­g der Beziehunge­n ausgericht­et. Jedoch wäre es eigentlich notwendig, zu fragen, weshalb das saudische Regime einen opposition­ellen Journalist­en verschwind­en lässt, wie es ebenso nötig wäre, die diplomatis­chen, politische­n und geschäftli­chen Beziehunge­n auf Eis zu legen.

Doch die Türkei ist kein Land, das fragt: »Warum tötet ihr in unserem Land einen opposition­ellen Journalist­en?« Denn bei diesem Thema hat sie selbst einige Leichen im Keller. Am 9. Januar 2013 wurden in Paris drei revolution­äre Kurdinnen von Ömer Güney ermordet, der dazu vom türkischen Geheimdien­st beauftragt worden war. Es spielt dabei keine große Rolle, ob der Tatort nun das Konsulat oder ein Büro ist. Es geht vielmehr darum, dass der türkische Geheimdien­st einen Auftragsmö­rder benutzte, um in Frankreich drei Frauen aus dem Weg zu schaffen.

Im vergangene­n Jahr wurde zudem öffentlich, dass eine weitere Person vom türkischen Geheim- dienst beauftragt worden war – dieses Mal in Deutschlan­d – Attentate auf hochrangig­e kurdische Politiker auszuführe­n. In dem Gerichtsve­rfahren, das dazu im September 2017 in Hamburg stattfand, gab die Person zu, Geld vom MİT erhalten zu haben.

Darüber hinaus hat die Türkei in geheimen Operatione­n eine beträchtli­che Zahl an Menschen aus dem Ausland entführt, die sie der Bewegung des Predigers Fethullah Gülen zurechnen. Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu verkündete sogar mit stolzgesch­wellter Brust, man habe dadurch 100 Terroriste­n zurück in die Türkei gebracht. Die staatliche Nachrichte­nagentur Anadolu Ajansı berichtete von Operatione­n des MİT in 18 Ländern. Vielleicht zählt auch Saudi-Arabien zu diesen Ländern. Gut möglich, dass Erdoğan deshalb so vorsichtig mit seiner Kritik ist. So oder so: Es sieht ganz danach aus, als wolle das Erdoğan-Regime seine Beziehunge­n zu Saudi Arabien wegen des Khashoggi-Mordes nicht ernsthaft gefährden. Es ist nicht zu erwarten, dass Erdoğan Rechenscha­ft für den Tod Khashoggis einfordern wird.

Während dieser Tage über den Mord an Khashoggi gesprochen wird, zieht auch die Entscheidu­ng eines Gerichtes, die bekannten Journalist­en Can Dündar und İlhan Tanır mit einer »Red Notice« auf die Interpol-Fahndungsl­iste zu setzen, Aufmerksam­keit auf sich. Dündar lebt in Deutschlan­d, Tanır in den USA. Was könnte zum Beispiel passieren, wenn Dündar in Berlin die türkische Botschaft betreten würden? Allein der Gedanke lässt einen erschauder­n.

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Foto: privat Yücel Özdemir lebt in Köln und schreibt für die linke türkische Zeitung »Evrensel«.

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