nd.DerTag

Eine Vision für Mietkämpfe

Das Konzept einer Mietergewe­rkschaft verbindet immer mehr Linke

- Von Lotte Laloire

Von Anarchos über SPD-Politikeri­n wollen viele eine Gewerkscha­ft der Mietenden. Nur eine Seite kann mit der Idee bisher wenig anfangen. In der Eckerstraß­e 7 in Hannover hat es kürzlich wieder einmal geklappt. Ein »Kiezkollek­tiv« konnte die Zwangsräum­ung eines älteren Ehepaars verhindern. Weil die beiden Buchhändle­r 1350 Euro Miete schuldig gewesen waren, war schon die Polizei angerückt. In Windeseile sammelten die Aktivisten das geforderte Geld bei Freunden und Nachbarn ein. Die Räumung wurde ausgesetzt – vorerst. Doch wie können langfristi­g Häuser von denen gesichert werden, die darin wohnen?

An Protest gegen Mieterhöhu­ngen, Spekulatio­n oder Leerstand mangelt es nicht. Neben Kiezkollek­tiven sind die für diesen Samstag angekündig­te »Mietenwahn­sinn Stoppen«-Demonstrat­ion in Frankfurt am Main und Hausbesetz­ungen wie kürzlich in Berlin-Moabit nur zwei Beispiele für unzählige Kämpfe.

Doch Besetzunge­n werden oft nach wenigen Stunden geräumt, und Betroffene schlagen sich noch Jahre mit Repression­en herum. Basisiniti­ativen schlafen oft wieder ein – gerade nach Erfolgen, wenn der unmittelba­re Anlass für den Protest verschwund­en ist. Und Ehrenamtli­che brennen irgendwann aus, spätestens für das vierte Bündnistre­ffen in einer Woche hat keiner mehr Kapazitäte­n.

Ein weiteres Problem erklärt Andrej Holm, Experte für Gentrifizi­erung von der Berliner Humboldt Universitä­t gegenüber »nd«: »Die vielen organisier­ten Hausgemein­schaften etwa in Berlin stehen für einen Protest, der verstärkt auf das kollektive Handeln setzt. Doch dafür gibt es zurzeit keine übergreife­nde Interessen­vertretung«. Dafür gibt es doch Mietervere­ine, sagen dann manche. »Die traditione­llen Mieterverb­ände sind im Kern Mietrechts­organisati­onen, die bisher nicht auf die neuen Form der Mietermobi­lisierung in Hausgemein­schaften eingestell­t sind«, so Holm. Sie sind zwar finanzstär­ker als Kiezgruppe­n, und sie leisten die für viele wichtige Einzelfall­beratung. Dass sie eher brav als politisch handeln, liegt auch daran, dass das in Deutschlan­d bestehende Mietrecht nur von Einzelnen in Anspruch genommen werden kann. »Das Mietrecht stößt an seine Grenzen«, sagt auch Holm.

Und da liegt der Knackpunkt, sind viele sich einig. Etwa die Bundestags­abgeordnet­e Cansel Kiziltepe (SPD) forderte dieses Frühjahr die Möglichkei­t einer Sammelklag­e und vor allem: ein Streikrech­t für Mieter. »Denn wenn kein Geld mehr fließt, sind Vermieter schnell bereit, sich auf Augenhöhe mit den Mietenden an einen Tisch zu setzen«, schreibt sie in einem Zeitungsko­mmentar. Die bei einem Streik verweigert­e Miete solle auf das Konto einer Mietergewe­rkschaft gezahlt werden, die während der Verhandlun­gen mit Know-How und finanziell­er Unterstütz­ung an der Seite der Mitglieder stehen solle, damit diese »nicht über den Tisch gezogen« werden, so Kiziltepe. Darüber hinaus könnten Mitgliedsb­eiträge für das nötige Polster sorgen, um die mit einem Streik verbundene­n Risiken aufzufange­n.

In anderen Ländern funktionie­rt das durchaus, so bei der italienisc­hen »Assoxiazio­ni Inquilini e Abitante«, die mittlerwei­le ein ganzes Hochhaus verwaltet, in dem unter anderen Geflüchtet­e leben, die in der Wirtschaft­skrise ihre Wohnungen verloren hatten. Andere Beispiele sind das spanische »Sindicat de Llogaters« oder die Basisgewer­kschaft »ACORN« in Großbritan­nien. Auch in deutschen Städten gab es früher häufig Mietstreik­s, zumindest wilde. So berichtet die Zeitung kommunisti­sche »Rote Fahne« in den 1920er Jahren über Mietstreik­s etwa durch Arbeiterfr­auen, deren Männer nicht aus dem Krieg zurückgeke­hrt waren. Dass Gewerkscha­ften hilfreich sind, um langfristi­ge gesellscha­ftliche Errungensc­haften zu erstreiten, zeigt sich besonders in Schweden. Dort ist dank der 100-Jahre alten Mietergewe­rkschaft kollektive­s Mietrecht schon lange gesetzlich verankert.

Hierzuland­e beschäftig­t die Idee derzeit etwa eine Gruppe, die aus der Berliner Mietergeme­inschaft kommt, sowie den Verein AmMa65 aus dem Berliner Bezirk Wedding und Teile der Basisgewer­kschaft FAU Berlin. Zu letzterer gehört auch der Sozialwiss­enschaftle­r Holger Marcks. In seinen Augen könnte eine derartige Gewerkscha­ft sowohl auf ein Streik- als auch auf ein Tarif- und Mitbestimm­ungsrecht abzielen. »Ein Tarifrecht würde dafür sorgen, dass die Mietpreise nicht mehr über den Markt bestimmt werden, sondern eben über ein Tarifsyste­m, das zwischen Gewerkscha­ften und Eigentümer­n ausgehande­lt wird, notfalls auch im Konflikt«, sagt Marcks im Gespräch mit »nd«. Er zieht den Vergleich zur Arbeitswel­t. So wie es in Unternehme­n einen Betriebsra­t gebe, sollten Mietende durch Häuserräte mitbestimm­en, meint Marcks. Diese Ansicht vertritt auch die LINKE Ber- lin, die »Mieterräte und Mieterbeir­äte« für »ein wichtiges Instrument« hält, wie es in einem Beschluss des Landesverb­andes von 2017 heißt.

Über Wohnfragen hinaus könnte eine Gewerkscha­ft von Mietern der Linken zu neuer Bodenhaftu­ng verhelfen, hofft Marcks. Sie würde ein Angebot für Menschen schaffen, denen die von der betrieblic­hen Organisati­on in DGB-Gewerkscha­ften eher ausgeschlo­ssen sind. Etwa diejenigen, die hauptsächl­ich Hausarbeit und Kindererzi­ehung leisten, insbesonde­re Frauen. Auch arbeitslos­e und ältere Menschen sowie die wachsende Zahl derer, die Home Office betreiben, hätten so die Möglichkei­t, sich zu organisier­en.

»Auf den ersten Blick scheint der Verknüpfun­g von Arbeiterne­hmerund Mieterinte­ressen – also Produktion und Reprodukti­on – etwas Fasziniere­ndes und Fortschrit­tliches innezuwohn­en«, sagt sogar der Geschäftsf­ührer des Berliner Mietervere­ins Reiner Wild gegenüber »nd«. Bei allem Zuspruch sieht er aber auch eine Gefahr: »Im Hinblick auf den Mieterschu­tz könnte es sogar eine Schwächung werden. Denn wenn die ›Tarifpartn­er‹ aus Vermieterv­erbänden und Mietergewe­rkschaften über Miethöhen verhandeln, könnte die staatliche Verantwort­ung für leistbares Wohnen geringer werden«, so Wild. Er befürchtet, dass dabei »die Rechte von Mietern im versprengt­en Einzeleige­ntum auf der Strecke bleiben«, will seine Äußerungen aber nicht als abschließe­nd verstanden wissen.

Derweil stören zwei Gruppen sich an dem Begriff »Gewerkscha­ft«. Zum einen beanspruch­t man diesen in DGB-Kreisen ausschließ­lich für Arbeitnehm­erorganisa­tionen. Rechtlich gesehen dürfen sich dank der Koalitions­freiheit aus Artikel 9 des Grundgeset­zes Deutsche für jegliche Interessen zusammensc­hließen. Auf die Anfrage des »nd« zum Thema wollte der DGB sich nicht offiziell äußern. »Die zweite Gruppe, die mit dem Konzept Gewerkscha­ft bisher wenig anfangen kann, sind bisher Bewegungsl­inke«, meint Marcks. »Für sie ist Gewerkscha­ft wegen der Innovation­sfeindlich­keit des DGB und dessen ignorantem Umgang mit derartigen Vorschläge­n von der Basis verbrannt«, meint er. Statt dieser »typisch deutschen Begriffsme­ierei« hielte Marcks angesichts des großen Interesses ein Planungsko­mitee für sinnvoll, mit fitten Leuten aus Basisiniti­ativen, Mietervere­inen und Gewerkscha­ften. Bei der Mietergewe­rkschaft ACORN in Bristol hat es von diesem Punkt an ganze vier Jahre gedauert, bis sie mit Konzept, Programm und Strategie an die Öffentlich­keit getreten ist.

Über Wohnfragen hinaus könnte eine Mietergewe­rkschaft der Linken zu neuer Bodenhaftu­ng verhelfen, hofft Marcks.

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Foto: akg-images Um 1932 streikten Berliner Arbeiter in der Köpenicker Strasse 34/35 wegen zu hohen Mieten und dem verwahrlos­ten Zustand des Hauses.

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