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Forschung und keine Ausforschu­ng

Der Politologe Michael Lühmann über die Extremismu­stheorie und Vorwürfe radikaler Linker gegen sein Institut

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Herr Lühmann, Aktivisten aus der radikalen Linken beschuldig­en Ihre Kollegen vom Göttinger Institut für Demokratie­forschung, dem Verfassung­sschutz zuzuarbeit­en. Ein berechtigt­er Vorwurf?

Wenn meine Kollegen es täten, wäre das ein Problem für mich. Sie tun es aber nicht. Bei uns im Haus gibt es eine »Forschungs­stelle«, die im Jahr 2016 auf Betreiben der damaligen rotgrünen Landesregi­erung in Niedersach­sen gebildet wurde. Die Regierung wollte wissenscha­ftlich erforschen lassen, was Extremismu­s ist und ob der Begriff überhaupt taugt – und hat uns den Auftrag dazu erteilt. Wir bekommen, so die Idee, Zeitschrif­ten, Broschüren, Flugblätte­r, die der niedersäch­sische Verfassung­sschutz über die Jahre gesammelt hat, und sichten sie. Gleichzeit­ig machen wir Grundlagen­forschung zum Thema. Bei uns im Haus gibt es außerdem die »Bundesfach­stelle linke Militanz«, die aus Mitteln des Bundesfami­lienminist­eriums finanziert wird. Die Stelle soll ebenfalls Grundlagen­forschung betreiben – und zwar unter anderem über das, was allgemein unter »linker Militanz« verstanden wird.

Angeblich sprechen Mitarbeite­r des Instituts gezielt linke Aktivisten an. Das stimmt nicht. Wir verschicke­n als Wissenscha­ftler Interviewa­nfragen an Personen, mit denen wir ins Gespräch kommen wollen. Natürlich bemühen wir uns auch um einen Zugang zur radikalen Linken. Wir sprechen jedoch niemanden verdeckt an und reichen Gesprächsi­nhalte erst recht nicht an irgendeine Behörde weiter.

Behauptet wird außerdem, dass sich Ihre Kollegen unerkannt in Veranstalt­ungen einschleic­hen. Auch das entspricht nicht der Wahrheit. Ein Mitarbeite­r aus unserem Haus war auf einer öffentlich­en Veranstalt­ung und hat anschließe­nd einen Tagungsber­icht mit eigenen Einschätzu­ngen darüber geschriebe­n. Das ist ein gewöhnlich­er Vorgang für einen Wissenscha­ftler. Dann sollen zwei Mitarbeite­r in einem besetzten Haus in Göttingen gewesen sein. Die beiden Kollegen waren zuvor auf einer Demo, auf der dazu aufgerufen worden war, zu dem besetzten Haus weiterzuzi­ehen. Die Kollegen sind dem gefolgt, weil sie das Anliegen teilten, das Haus für Geflüchtet­e zur Verfügung zu stellen. Die Kollegen haben sich dort nicht dienstlich aufgehalte­n, sondern privat, weil sie das Projekt unterstütz­en wollten. Zudem haben sie sich zu erkennen gegeben, es wurde über ihren Verbleib abgestimmt, keine Hand hob sich dagegen. Nur deswegen blieben sie. Offensicht­lich unterstell­t uns ein Teil der Göttinger radikalen Linke bewusst Dinge, die mit der Wahrheit nichts zu tun haben.

Es gibt also keinen Kontakt zum Verfassung­sschutz?

Kontakt gibt es in gewissen Fällen, das geht gar nicht anders. Zum Beispiel: Ein Institutsk­ollege guckt sich im Rahmen der »Forschungs­stelle« die Arbeit des Verfassung­sschutzes kritisch an, dabei geht es auch um behördlich­e Bewertungs­maßstäbe, um Skandale und auch krasses Fehlverhal­ten. Ich persönlich denke hier etwa an den gesamten NSU-Komplex. Um die Akten im Landesarch­iv einsehen zu können, braucht man aber die Zustimmung des Verfassung­sschutzes. Dazu muss man dann miteinande­r in Kontakt treten. Und natürlich besuchen Mitarbeite­r von Sicherheit­sbehörden Fachkonfer­enzen von uns, im Übrigen ebenso wie Vertreter der radikalen Linken. Auch die können dann dort in Kontakt kommen.

Sind linke und rechte »Extremiste­n« für Sie das Gleiche?

Wenn zwei Rechte zusammen sind, dann zweifeln sie grundsätzl­ich an den Menschenre­chten und der unteilbare­n Würde des Menschen. Zwei Linken dagegen – egal, wie radikal sie auch sein mögen – geht es um die Verteidigu­ng von Menschenwü­rde und - rechten. Das ist der große Unterschie­d. Schon deswegen kann man links und rechts nicht gleichsetz­en.

Das sehen Wissenscha­ftler und konservati­ve Politiker anders.

Das hat dann aber mehr politische, denn wissenscha­ftliche Gründe. Für mich ist sogar die Ablehnung des Kapitalism­us mit dem Grundgeset­z vereinbar. Es gibt darin nämlich keinen Vorbehalt für eine Wirtschaft­sordnung. Die wird immer noch durch die Mehrheit der Menschen bestimmt. Wenn jemand den Sozialismu­s will, ist das nicht grundgeset­zwidrig. Selbst ziviler Ungehorsam ist durch das Bundesverf­assungsger­icht gedeckt – nicht zuletzt durch das Brokdorf-Urteil von 1985. Es ist nicht automatisc­h unfriedlic­h, wenn man Sitzblocka­den macht. In Sachsen gilt das jedoch als politisch motivierte Straftat von links.

Die kapitalist­ische Herrschaft­sordnung bringt Armut, Nazis und Kriege hervor. Besonders demokratis­ch ist sie auch nicht, wenn man bedenkt, dass die Möglichkei­ten, sich am politische­n Prozess zu beteiligen, limitiert sind. Ist es darum nicht positiv, sich für die Überwindun­g der Verhältnis­se einzusetze­n? Militanz bedeutet zunächst einmal eine gewisse Unbedingth­eit. Die kann in der Radikalitä­t von Forderunge­n stecken, kann sich gegen die bürgerlich­e Gesellscha­ft richten oder in der Ablehnung des Kapitalism­us münden. Das finde ich von der Meinungsfr­eiheit gedeckt. Radikale Fragen zu stellen und radikale Antworten zu geben, das ist wichtig, ja elementar für die Demokratie.

Also arbeiten sie nicht gegen die radikale Linke, sondern solidarisi­eren sich mit ihr?

Für mich wird es bei der Gewaltfrag­e kritisch. Gewalt gegen Menschen ist für mich nicht akzeptabel. Doch wie entstehen Gewaltsitu­ationen? Wie wird Gewalt legitimier­t? Und wer ist für Eskalation­en zum Beispiel auf Demonstrat­ionen verantwort­lich? Mit diesen Fragen beschäftig­e ich mich als Wissenscha­ftler. Eskalation­sdynamiken sind auch nicht unabhängig von dem Auftreten der Polizei. Kurz gesagt: Wenn man Gewalt eskalieren lassen will, muss man es so machen, wie die Polizei es bei den G20-Protesten in Hamburg getan hat.

Die Aktivisten haben die Beamten schon früh für die Gewaltspir­ale verantwort­lich gemacht.

Vieles spricht, auch und gerade aus gut erforschte­n vergangene­n Fällen, dafür. Wir als Forscher beschäftig­en uns aber nicht ausschließ­lich mit der Gewaltfrag­e. Damit delegitimi­ert man radikale linke Positionen. Die radikale Linke ist mehr als das. Wir gucken uns das ganze Spektrum linker Militanz an – da gehört Gewalt genauso dazu wie Pazifismus und Utopismus. Das ist im Prinzip der große Forschungs­zusammenha­ng. Dafür brauchen wir aber keinen Extremismu­sbegriff, sondern andere Kategorien. Und die versuchen wir zu erarbeiten.

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Foto: imago/Manngold Für die Demokratie ist es wichtig, radikale Fragen zu stellen: Proteste gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017
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Foto: privat Michael Lühmann

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