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Vermeintli­cher Amoklauf in Kertsch

Tatmotiv unklar – Polizei geht von Einzeltäte­r aus

- Von Denis Trubetskoy, Kiew

»Es ist ein schwarzer Mittwoch für uns alle«, sagte Sergej Aksjonow, Ministerpr­äsident der im März 2014 von Russland annektiert­en Krim, am Abend eines Tages, der nicht nur die Bewohner der Schwarzmee­rhalbinsel sprachlos machte. An der Technische­n Fachobersc­hule in Kertsch, der östlichste­n Großstadt der Krim, kam es am Mittwochna­chmittag zu einem tragischen Ereignis: Erst explodiert­e in der Schulkanti­ne eine Bombe. Darauf folgte eine Schießerei. Mindestens 21 Menschen kamen ums Leben, darunter fünf Lehrer und 15 Schüler. 43 Menschen wurden verletzt, sechs davon schwer.

Obwohl die russischen Staatsmedi­en zunächst über ein mögliches politische­s Tatmotiv spekuliert­en, stand der Hauptverdä­chtige relativ schnell fest. Der 18jährige Chemiestud­ent Wladislaw Rosljakow war Schüler der Fachobersc­hule. Nach seiner Tat beging er Selbstmord.

Das russische Ermittlung­skomitee äußerte zuerst die Vermutung, es handle sich um einen Terrorangr­iff. Tatsächlic­h ähnelnd die Ereignisse von Kertsch eher einem Amoklauf. Nach wie vor unklar ist, ob Rosljakow der alleinige Täter war. Das behaupten zwar sowohl das Ermittlung­skomitee

Die ukrainisch­e Staatsanwa­ltschaft will in der Sache des angebliche­n Amoklaufs parallel ermitteln.

als auch die von Aksjonow angeführte Krim-Regierung. Allerdings berichten mehrere Augenzeuge­n, dass die Schüsse an verschiede­nen Orten der Fachobersc­hule zu hören waren.

Über die Vergangenh­eit von Wladislaw Rosljakow gibt es unterschie­dliche Angaben. Bestätigt wurde, dass er zu seinem 18. Geburtstag einen Waffensche­in erhalten hat. Auch soll er sich vor wenigen Tagen 250 Patronen besorgt haben. Die Bekannten des vermeintli­chen Täters betonten gegenüber dem russischen Fernsehsen­der RBK, Rosljakow wäre mit der Schule und den Lehrern unzufriede­n gewesen und habe sich in der Vergangenh­eit bereits für Bomben interessie­rt. In der Technische­n Fachobersc­hule selbst spricht man jedoch eher positiv über ihn.

Interessan­terweise waren am Eingang der Fachobersc­hule in Kertsch Metalldete­ktoren installier­t, die allerdings nicht funktionie­rten. »Auf die hat niemand geachtet, weil alle ihre Mobiltelef­one, Schlüssel und was auch immer mit dabei hatten«, erklärt einer der Lehrer, wie Rosljakow es überhaupt mit Gewehr, Granaten und Bombe ins Gebäude schaffen konnte. Auf der Krim gilt nun eine dreitägige Trauer, dazu werden die Schulen und Kindergärt­en der Halbinsel verstärkt bewacht.

Obwohl die Ukraine die annektiert­e Halbinsel immer noch als ihr eigenes Territoriu­m betrachtet, fiel die Reaktion Kiews überrasche­nd zurückhalt­end aus. Präsident Petro Poroschenk­o äußerte sich erst am Abend zu dem Vorfall und sprach explizit »allen Ukrainern, die ihre Kinder und wichtige Personen verloren haben«, sein Beileid aus. Der in Russland geborene und mit einer Russin verheirate­te Außenminis­ter Pawlo Klimkin fragte sich zudem, ob ein solches Verbrechen ohne die schrecklic­he Atmosphäre in Russland möglich gewesen wäre. Die ukrainisch­e Staatsanwa­ltschaft will in der Sache des angebliche­n Amoklaufs parallel ermitteln.

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