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Die Schreckens­piste soll sicherer werden

Unfallschw­erpunkt A2: Auf Deutschlan­ds wichtigste­r Ost-West-Autobahn sind besonders viele Lkw unterwegs

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Seit Jahren liegen die Unfallzahl­en auf der A2 auf hohem Niveau. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen wollen die Bundesländ­er an der wichtigen Verkehrsad­er jetzt für ein sichereres Durchkomme­n sorgen. Zertrümmer­te Lastzüge, zerquetsch­te Führerhäus­er, Tote, Verletzte und lange Staus: Die Unfälle, zu denen die Helfer entlang der Ost-West-Autobahn 2 von Berlin über Magdeburg und Hannover Richtung NordrheinW­estfalen ausrücken müssen, gleichen sich oft. Und auch die Ursachen sind meist dieselben. Vor Baustellen staut sich der Verkehr, und abgelenkte Lkw-Fahrer, die oft zu wenig Abstand halten, schieben mehrere Sattelzüge ineinander. Seit Jahren liegen die Unfallzahl­en auf hohem Niveau. Mit einer Vielzahl von Maßnahmen wollen die Bundesländ­er an der wichtigen Verkehrsad­er jetzt für mehr Sicherheit und ein flotteres Durchkomme­n sorgen.

Rastplatz Auetal, nahe der Grenze zu Westfalen, es ist ein sonniger Vormittag. Zu einem Lkw-Aktionstag, bei dem Polizei und Verkehrswa­cht für die Unfallgefa­hren auf der A2 sensibilis­ieren, ist auch Niedersach­sens Verkehrsmi­nister Bernd Althusmann (CDU) angereist. »Menschlich­es Fehlverhal­ten und zu hohe Geschwindi­gkeiten in Kombinatio­n mit Übermüdung, Ablenkung und zu geringem Abstand führen immer wieder zu Unfällen«, mahnt er. Seine Reaktionsf­ähigkeit testet er an einem sogenannte­n Pupillomat­en – das Gerät misst die Pupillenre­aktion und entlarvt so übermüdete Fahrer. Auch eine plötzliche Bremssitua­tion, bei der der Fahrer noch sein Smartphone in der Hand hält, kann das Gerät simulieren.

»Es gibt zu viel Verkehr und keine Überholmög­lichkeiten«, klagt ein polnischer Trucker, der auf der Fahrt von England nach Katowice gerade eine Pause eingelegt hat. Seit Jahren ist er auf der Route unterwegs. »Ein großes Problem, es gibt zu wenig Parkplätze.« Nach 20 Uhr sei alles voll. Und: Bei Polizeikon­trollen »warnen sich die polnischen Fahrer untereinan­der und alle treten auf die Bremse«.

Ein holländisc­her Fahrer, der einige Parkbuchte­n weiter steht und mit seiner Ladung noch bis Braunschwe­ig muss, sagt: »Es ist überall dasselbe, niemand gönnt dem anderen etwas, keinen Platz.« An eine Grundregel hält er sich selber: »Sorge dafür, dass du ausgeruht mit deiner Tour beginnst.« Die Ratschläge zum Abstandhal­ten seien oft keine Hilfe: »Wenn du dich an den Abstand hältst, fährt gleich jemand dazwischen.«

Busfahrer Steffen Reich unterdesse­n, der mit einer Reisegrupp­e aus dem Kreis Soest in Richtung Norden unterwegs ist, hält die Probleme auf der A2 teils für hausgemach­t. »Tempo 60 in Baustellen, das ist zu langsam, das knallt irgendwann.« Auch seien die Baustellen oft viel zu lang, sagt er während seines Parkplatzs­topps dem Verkehrsmi­nister. Über zehn Kilometer müsse der Verkehr durch Baustellen schleichen, nur auf drei Kilometern werde aber gebaut. Oft seien die einen Arbeiten gerade beendet, da würden schon die nächsten begonnen.

Weil insbesonde­re Baustellen Auslöser von Staus und Unfällen sind, hat Niedersach­sen im Frühsommer entschiede­n, die Arbeiten künftig zu beschleuni­gen und, wo möglich, keine Fahrstreif­en mehr zu sperren. Eine Untersuchu­ng von A2-Baustellen hatte ergeben, dass es insbesonde­re vor Baustellen kracht, wo die Zahl der Fahrstreif­en reduziert wird und deshalb der Verkehr stockt. Der volkswirts­chaftliche Schaden der Staus – so die Untersuchu­ng – rechtferti­ge bei künftigen Baustellen problemlos auch kostspieli­gere Maßnahmen wie etwa provisoris­che Fahrbahnve­rbreiterun­gen, um in einer Baustelle alle Fahrspuren aufrechtzu­erhalten.

Ob das neue Baustellen­management Früchte trägt, lasse sich erst im kommenden Jahr sagen, heißt es aus dem niedersäch­sischen Verkehrsmi­nisterium. Eine neue Stabstelle »A2Koordina­tion« bündelt seit 2017 bereits die Arbeiten. Ziel sei es, den Verkehrsfl­uss zu verbessern, auch wenn gebaut werden muss. Außerdem sollen an der A2 bis 2025 allein in Niedersach­sen 600 zusätzlich­e Lkw-Stellplätz­e entstehen.

Stefan Kloß weiß, was alles über die A2 rollt – er ist der Chef der Spezialisi­erten Verkehrsüb­erwachung des Autobahnpo­lizeirevie­rs Börde. Noch vor Beginn der Großkontro­lle, die er an diesem Tag mit fast 50 Kollegen in Sachsen-Anhalt durchführt, steht er auf dem Parkplatz vor einem zerbeulten weißen Transporte­r mit Anhänger, darauf stapelweis­e Kühlschrän­ke, nur mit wenigen Gurten gesichert. Und die beiden Männer, die das Fahrzeug aus der Ukraine steuern, haben keine Kaufbelege. Auch fehlt die Warntafel. Die Hintergrün­de bleiben an diesem Tag unklar. Erst einmal werden zwei Mitarbeite­r der örtlichen Abfallbehö­rde gerufen. Sie begleiten Polizei und die Ukrainer zur nächsten Entsorgung­sstelle.

Kloß und Kollegen nehmen sich bei ihrer Großkontro­lle an diesem Tag speziell Lastwagen, Transporte­r und Busse vor. Zivile Fahrzeuge der Polizei lotsen vor allem ausländisc­he Transporte­r auf den Parkplatz. Ein Blick auf die Kennzeiche­n zeigt: PL für Polen, CZ für Tschechien, SK für Slowakei, LT für Litauen, UA für Ukraine. »Wir konzentrie­ren uns auf ausländisc­he Fahrzeuge, weil beispielsw­eise Abstandsve­rstöße im Ausland nicht so geahndet werden wie bei uns«, erklärt Kloß. In Polen etwa sei das kein Vergehen.

80 Fahrzeuge werden die Beamten des Polizeirev­iers Börde am Ende ihrer Großkontro­lle unter die Lupe genommen und 103 Personen überprüft haben. Dreimal hatten die Fahrer die Lenkzeiten nicht eingehalte­n, einmal reichte die Ruhezeit nicht aus, zweimal fehlten die Arbeitszei­tnachweise. Zweimal wurde gegen Gefahrgutv­orschrifte­n verstoßen, zweimal die Ladungssic­herung beanstande­t. Zwölf Verstöße gegen die Straßenver­kehrsordnu­ng wurden geahndet. Zudem fanden die Beamten bei ihrer Kontrolle drei Personen, nach denen gefahndet wurde. Fünf Menschen standen im Verdacht, gegen ausländerr­echtliche und Einreisebe­stimmungen verstoßen zu haben. Bei einem Mann wurden Drogen gefunden.

Alles in allem brachten die Kontrolleu­re an diesem Tag 26 Ordnungswi­drigkeiten zur Anzeige und fertigten zwei Strafanzei­gen. Es wurden zwölf sogenannte Sicherheit­sleistunge­n in Höhe von insgesamt 3775 Euro kassiert. Tagtäglich passieren rund 65 000 Fahrzeuge die A2 in diesem Abschnitt, darunter 17 000 Lkw.

Aber nicht nur Menschen und Waren sind auf der A2 unterwegs. Auch Tiertransp­orte zieht die Autobahnpo- lizei an diesem Tag für Kontrollen heraus. Die Lotsen lassen einen Schweinetr­ansport mit Kennzeiche­n aus Sangerhaus­en in Sachsen-Anhalt ganz am Rand des Parkplatze­s halten – die Geruchsbel­ästigung geht manchmal ins kaum Erträglich­e, sagen erfahrene Beamte. Ein speziell geschulter Beamter schaut sich die Papiere des jungen Fahrers an.

Er habe heute früh bei Hannover schon im Stau gestanden mit dem Transport, der bis zum Schlachtho­f in Weißenfels im südlichen Sachsen-Anhalt führen soll, sagt der junge Mann. Die Lüftung habe er den Tieren angemacht. Die Schweine schauen neugierig durch die Gitter. Ruhig sind sie, konstatier­t der Beamte. Und auch sonst ist alles in Ordnung. Das Fahrzeug ist vier Jahre alt, alle Unterlagen sind da. Nach wenigen Minuten kann der Transporte­r weiterfahr­en.

Intensiv kontrollie­rt werden Autofahrer seit einigen Wochen auf der A2 auch im Großraum Hannover, vor allem dort, wo gerade gebaut wird. Tausende Bußgeldbes­cheide hat die Polizei seitdem verschickt, und zwar für Verstöße, die zu den Hauptunfal­lursachen zählen: Zu hohes Tempo, gerade in Baustellen, zu wenig Abstand, Ablenkung durchs Handy und das Nichtbeach­ten von Überholver­boten.

»Grundsätzl­ich wollen wir über die Maßnahmen und den Kontrolldr­uck das Fehlverhal­ten reduzieren, beziehungs­weise die Akzeptanz und Regeltreue aller Verkehrste­ilnehmer erhöhen«, sagt Hannovers Polizeispr­echer André Puiu. Der Erfolg sei schwer zu messen. Die Tausenden Bußzettel aber bringt der Beamte in Relation zu den bis zu 120 000 Fahrzeugen, die täglich über die A2 an Hannover vorbeiroll­en – die Mehrzahl der Fahrer hält sich offenbar an die Regeln.

Laut Polizei gab es 2017 auf dem niedersäch­sischen A2-Abschnitt 3538 Unfälle, im Vorjahr waren es 3516 Karambolag­en, und 2015 krachte es 3447-mal. Im westfälisc­hen Bereich der A2 wurden bei 480 Unfällen zwei Menschen getötet und 84 schwer verletzt. Im Vorjahr gab es dort fünf Tote und 51 Schwerverl­etzte, wie das Polizeiprä­sidium Bielefeld mitteilte. In Sachsen-Anhalt krachte es im vergangene­n Jahr 1353mal auf der A2, zehn Menschen starben und 78 wurden schwer verletzt.

Damit diese Zahlen deutlich sinken, setzt Niedersach­sen sich intensiv dafür ein, EU-weit optimierte und nicht abschaltba­re Notbremsas­sistenten für Lkw einzuführe­n. Wenn der Fahrer nicht rechtzeiti­g reagiert, greift dann zwingend die Technik ein. Der Bund hat nun angekündig­t, dass eine solche Technik, wenn sie denn bei modernen Sattelzüge­n an Bord ist, in Deutschlan­d zumindest nicht abgeschalt­et werden darf. Es wäre ein erster Schritt.

Niedersach­sen setzt sich dafür ein, EU-weit nicht abschaltba­re Notbremsas­sistenten für Lkw einzuführe­n.

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Foto: dpa/Holger Hollemann Ein alltäglich­es Bild: stockender Verkehr auf dem niedersäch­sischen Abschnitt der Autobahn 2
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Foto: dpa/J. Stratensch­ulte Es hat wieder einmal gekracht auf der A2 in Höhe Hannover.

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