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»Ihn verließ die Ruhe nicht«

Hans Serelman, ein deutscher Arzt in der französisc­hen Résistance

- Von Werner Abel

Die Vorlage für die Nazis lieferte der in den 1920er Jahren (leider) viel gelesene Schriftste­ller Artur Dinter in seinem Buch »Die Sünde wider das Blut«. Pseudowiss­enschaftli­ch aus der Tierzucht abgeleitet, stellte er die These auf, dass der Geschlecht­sverkehr eines Juden, eines Angehörige­n einer »niederen Rasse«, mit einer »höherrassi­gen« Arierin deren Körper derart verderben würde, dass sie künftig nur noch Bastarde gebären könne. Man könnte das als Ausfluss eines irren Antisemite­n abtun, wäre damit von den Nazis nicht tausendfac­h »Rassenscha­nde« begründet worden.

Nun geschah aber 1934 in dem kleinen sächsische­n Ort St. Egidien bei Niederlung­witz in der Nähe von Chemnitz etwas, was selbst die schmutzige Fantasie Dinters nicht einkalkuli­ert hatte: Der in Niederlung­witz wohnende jüdische Arzt Dr. Hans Serelman, Kommunist noch dazu, verabreich­te einer durch schwere Wehen bedrohten »arischen« Frau eine Eigenblutt­ransfusion. Trotz aller Bemühungen verstarb die Frau, aber ihr Kind konnte gerettet werden. Zehn Tage später wurde der Arzt verhaftet und zunächst im KZ Hohnstein, dann im KZ Sachsenbur­g inhaftiert. Obwohl für die Nazis nunmehr »Rassenschä­nder«, scheint seine Hilfe für die Patientin nicht der Grund für die Inhaftieru­ng gewesen zu sein. Jüdischen Ärzten war ihre Tätigkeit zwar erschwert worden, aber die Nürnberger Rassengese­tze wurden erst im September 1935 erlassen. Als jedoch die einflussre­iche »New York Times« berichtete, Serelman sei als »Rassenschä­nder« ins KZ gekommen, wurde eine Legende geboren, die sich bis heute in der medizinhis­torischen Literatur findet. Natürlich hassten die Nazis den Juden Serelman, aber ihr Vorgehen galt wohl eher dem Kommuniste­n und Antifaschi­sten.

Es war ein kurzes, aber ereignisre­iches Leben, das der Biologie- und Sportlehre­r Konstantin Seifert erforschte und in den historisch­en Kontext einbettet. Der 1898 in Berlin geborene Protagonis­t, seit 1921 in der kommunisti­schen Studentenb­ewegung und der KPD aktiv, wirkte im Proletaris­chen Gesundheit­sdienst, in der Internatio­nalen Arbeiterhi­lfe, im Internatio­nalen Bund der Opfer des Krieges und im Arbeitersp­ortkartell. Es war nur konsequent, dass sich Serelman im Spanischen Krieg zu den Internatio­nalen Brigaden meldete und als Feldarzt und als Mediziner in verschiede­nen Hospitäler­n arbeitete. Er nahm an der letzten großen Offensive der Republik, der Ebro-Schlacht, teil. »Unsere Arme waren rot von Blut bis an die Ellbogen ... Ihn verließ die Ruhe nicht und er behandelte die Soldaten ohne Pause, bis der letzte Mann versorgt war«, schrieb ein Kamerad über ihn. Traurig nur, dass ihm die eigenen Genossen misstraute­n, ihm »trotzkisti­sches Verhalten« vorwarfen. Nach der Niederlage der Republik floh Serelman nach Frankreich, wo er unter entwürdige­nden Bedingunge­n interniert wurde, dann wieder als Arzt tätig war und 1941 eine Studie über den Einsatz von Insulin bei Wundbehand­lungen publiziert­e. Nach dem Einfall der Wehrmacht wurde er an die Nazis ausgeliefe­rt. Es konnte fliehen und wurde (wohl der einzige deutsche) Arzt in der Résistance, im Maquis. Bei einem Gefecht am 19. Juni 1944 nahe der Gemeinde Oloron-Sainte-Marie kam er zu Tode.

Ein Grabstein erinnert heute an ihn. Hans Serelman wird in Frankreich als Angehörige­r der Franc-tireurs et partisans (FTP) und der Forces françaises de l’intérieur (FFI) geehrt. In beiden Teilen Deutschlan­ds war er in Vergessenh­eit geraten. Seifert schließt nun die Erinnerung­slücke. Hans Serelmans Leben böte Stoff für einen spannenden Film, vermerkt zu Recht Enrico Hilbert im Klappentex­t des Buches.

Konstantin Seifert: Mediziner, »Rassenschä­nder«, Interbriga­dist ...? Hans Serelman, der deutsche Arzt des Maquis. Verlag Hentrich & Hentrich, brosch., 263 S., 24,90 €.

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Foto: Archiv

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