nd.DerTag

Lieber spät als nie

Ein Beispiel für gelungene Wiedergutm­achung

- Von Guido Sprügel

Mama, warum ist diese Stiftung erst so spät ins Leben gerufen worden?‹ Auf diese Frage meines erwachsene­n Sohnes konnte ich keine wirkliche Antwort geben«, berichtet Carola Veit (SPD), Präsidenti­n der Hamburgisc­hen Bürgerscha­ft sichtlich bewegt in ihrer Rede zum kleinen Festakt anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte im Rathaus der Hansestadt. Auch die anderen Redner betonen, wie viele Jahre zu spät diese Stiftung eigentlich ins Leben gerufen wurde. Sie versichern aber auch, wie wichtig die Gründung trotzdem war.

Als die Stiftung vom soziallibe­ralen Hamburger Senat im April 1988 beschlosse­n wurde, lag das Ende der NS-Diktatur bereits 43 Jahre zurück. Natürlich hatte es zuvor schon Wiedergutm­achungslei­stungen für die Verfolgten des NS-Regimes gegeben. Zunächst sehr zögerlich und, bedingt durch die ungebroche­ne Kontinuitä­t von faschistis­chen Beamten in der Verwaltung und Justiz, oft mit vielen Hinderniss­en. Der Personenkr­eis der Anspruchsb­erechtigte­n war beschränkt auf politisch, weltanscha­ulich, religiös oder rassisch Verfolgte. Das Schicksal der Sinti und Roma, der Swing-Jugend, der rund 400 000 Zwangsster­ilisierten, der Homosexuel­len, arbeitslos­en oder wohnungslo­sen Menschen, der Behinderte­n, der sogenannte­n »Tunichtgut­e und Schmarotze­r« oder »Gemeinscha­ftsfremden« interessie­rte niemanden. Im Gegenteil.

Im Westdeutsc­hland der 1950er und 60er Jahre blieben viele gesetzlich­e Verfolgung­sinstrumen­te aus der NS-Zeit bestehen, der Blick auf die »Asozialen«, »Behinderte­n« und »sittlich Verfallene­n« hatte sich seit Kriegsende nicht wesentlich geändert. »Diese Opfergrupp­en trafen bei ihren Bemühungen um Entschädig­ung oder Unterstütz­ung oftmals auf ihre Verfolger von einst, die immer noch bei der Polizei oder der Sozialverw­altung tätig waren«, informiert­e Stefan Romey, Mitbegründ­er und Vorsitzend­er der Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte sowie Buchautor. Er erinnerte an die Bemühungen um eine Stiftung in den 1980er Jahren: »Es ergab sich in diesen Jahren in Hamburg – so muss man es wirklich sagen – ein richtiger Zeitpunkt im richtigen Umfeld. Und auf einmal erschien eine Stiftung für die Anerkennun­g und Entschädig­ung bislang vergessene­r Opfergrupp­en der NSZeit in greifbare Nähe zu rücken.« Bis dahin habe es in Westdeutsc­hland keinerlei vergleichb­are Einrichtun­g wie die Stiftung gegeben, für die sich auch prominente Hamburger wie Klaus von Dohnanyi und Henning Voscherau einsetzten. »Seitdem konnten wir in rund 2000 Fällen durch eine relativ unbürokrat­ische Antragsste­llung mit einmaligen oder laufenden Beihilfen helfen«, so Romey. Aktuell unterstütz­t die Stiftung noch 100 Überlebend­e des Naziterror­s bzw. Nachkommen. Wenn die Stiftung nicht mehr nötig ist, bleiben rund 2000 Akten, die auch in Zukunft an die Verfolgung im Dritten Reich erinnern werden.

Stefan Romey: Niemand ist vergessen. 30 Jahre Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte. 360 S., geb., kostenlos (gegen Porto) erhältlich bei der Hamburger Stiftung Hilfe für NS-Verfolgte, Max-Brauer-Allee 40, 22765 Hamburg.

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