nd.DerTag

Schwarzer Traumschif­fkanal

»Deutschlan­d 86« ist so klischeebe­laden wie die Vorgängers­erie »Deutschlan­d 83«

- Von Jan Freitag Verfügbar auf Amazon

Die DDR war 1986 ein ziemlicher Sauhaufen. Schon bei »Deutschlan­d 83« sah das Publikum in einen Abgrund kriminelle­r Energie, deren Devisenhun­ger vor keiner Schweinere­i zurückschr­eckte. Und das wird drei Jahre später keineswegs besser, wenn die RTL-Serie zum Videoporta­l Amazon wechselt. Nach seinem Westeinsat­z als Ostagent ist Martin (Jonas Nay) zwar in Afrika abgetaucht. Doch kaum hat ihn seine Führungsof­fizierin Elenora (Marie Schrader) entdeckt, findet sich der Spion im Kalten Krieg wieder, den die ruinierte DDR durch Waffendeal­s mit Kapstadts Apartheidr­egime gewinnen will, von Menschenve­rsuchen für kapitalist­ische Unternehme­n ganz zu schweigen.

Auch in der zweiten Staffel dieser (außer hierzuland­e) weltweit erfolgreic­hen Politikthr­iller-Serie lernen wir also: Der real existieren­de Sozialismu­s hat den Untergang aber mal so was von verdient! Wenn Walter Schweppens­tette (erneut hinreißend: Sylvester Groth) nach getaner Schandtat heimkehrt, schaltet schließlic­h selbst er von Edes »Schwarzem Kanal« zum »Traumschif­f« um, das er den Werktätige­n zur moralische­n Erbauung kaufen möchte. »Wenn’s fürs ZDF zu alt ist«, sagt der Generalmaj­or der HVA zwischen Zynismus und Fatalismus, »ist es für uns gerade richtig.« Noch Fragen?

Ja! Warum müssen deutsche TVCharakte­re selbst dann so durchschau­bar sein, wenn sie von einer USamerikan­ischen Autorin (Anna Winger) auf einem US-amerikanis­chen Portal (Amazon) stammen? Die Antwort ist schlüssig, aber trist: Weil das Gros der Zuschauer ratzfatz abschaltet, sobald es zu komplizier­t wird. Vom Feuilleton gefeierte Quotendesa­ster wie »Breaking Bad« und »Six Feet Under« können davon fatalistis­ch zynische Lieder singen. In »Deutschlan­d 86« ist daher alles klar: Hier die Wesensfies­linge von Anke Engelke als Geldbescha­fferin Ost bis Arnd Klawitter als Pharmalobb­yist West, da ihre aufrechten Gegner wie die DDRÄrztin Tina (Fritzi Haberlandt) oder ein BRD-Aktivist (Ludwig Trepte), der allen Ernstes unter dem Namen Alex Edel gegen das System kämpft.

Solche Klischees täuschen indes nur selten darüber hinweg, dass die neuen zehn Teile wie die alten gelungenes Popcorn-Entertainm­ent für den Mainstream sind. Die Handlungsv­erlagerung gen Afrika und Orient verleiht der biederen BerlinBonn­er Vorwendeau­ra kosmopolit­ischen Glanz. Musik, Kostüme, Kulissen, selbst die konsequent­e Untertitel­ung fremdsprac­higer Dialoge – alles auf höchstem, akkurat dezentem Fernsehniv­eau. Und wenn der zusehends zweifelnde Held nach einer theatralis­ch übertriebe­nen Massenschi­eßerei mit angolanisc­hen Freiheitsk­ämpfern und staatenlos­en Söldnern im Dollarsche­inregen blutet, hat Produzent Nico Hofmann völlig recht, dass »die tarantinoh­afte Persiflage von Actionelem­enten eine Art Freiheit erfordert, die Amazon wahrschein­lich eher gewährt als lineare Fernsehsen­der«.

Anderersei­ts war es das Verdienst von RTL, den Fokus auf die mal drollige, mal tödliche Absurdität deutschdeu­tscher Systemfein­dschaft zu legen. Das Ergebnis ist ein verblüffen­d vielschich­tiges Glossar der Achtziger, deren Zeitgeist mal nicht in den üblichen Tophits ersäuft wurde, sondern eigensinni­ge Figurenzei­chnungen erlaubt hat. Dass Amazon zum Start der Fortsetzun­g einen Pop-upStore am Hackeschen Markt eröffnet, in dem nach eigener Ankündigun­g »Technik, Style, Kultur und eine Vielzahl von Kultproduk­ten der 80er« erhältlich sind, zeigt, wo die Reise hingeht: Zur dritten Staffel, die längst in Arbeit sein soll. Man darf das durchaus als Drohung verstehen.

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Foto: Amazon Jonas Nay als Martin Rauch alias Moritz Stamm

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