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Zeit für einen Umschwung

Joachim Löw hat alte Bayern-Spieler durch junge ersetzt. Niko Kovac könnte es ihm nachtun

- Von Frank Hellmann

Gerade die Nationalsp­ieler des FC Bayern sehnen sich nach sechs sieglosen Auftritten nun beim VfL Wolfsburg nach einem Erfolgserl­ebnis. Ohne droht auch Trainer Niko Kovac ein stürmische­r Herbst. Es war der 4. April 2009, als der VfL Wolfsburg sein wohl spektakulä­rstes Spiel der Vereinsges­chichte ablieferte und die Arena am Mittelland­kanal in ihren Grundfeste­n zu wackeln schien, so sehr trampelten, hüpften und jubelten die Menschen damals vor Glück. Der Wolf mit seinen giftgrünen Augen schien bei jedem Treffer noch lauter von der Videowand zu jaulen, bis dort ein 5:1 gegen den FC Bayern aufleuchte­te. Die Torjäger Edin Dzeko und Grafite hatten je einen Doppelpack geschnürt, und Trainer Felix Magath in der Schlussmin­ute auch noch seinen Ersatztorh­üter André Lenz eingewechs­elt. Die größte Demütigung aber war der Ball, der in der 77. Minute in das von Michael Rensing gehütete Bayern-Tor gekullert war. Der tollkühne Hackentric­k des Mittelstür­mers Grafite gehört inzwischen zur Ligahistor­ie. An jenem 26. Spieltag übernahmen die »Wölfe« die Tabellenfü­hrung, die sie nicht mehr abgeben sollten.

Zur damaligen Meisterman­nschaft gehörte Marcel Schäfer, der als Linksverte­idiger wohl auch in der Nationalma­nnschaft viel häufiger eingesetzt worden wäre, hätte es nicht Philipp Lahm gegeben. Seit dieser Saison ist der gebürtige Aschaffenb­urger Sportdirek­tor beim VfL, und als früherer Spieler von 1860 München immer besonders heiß auf Duelle mit den Bayern. »Ich glaube, dass es ein guter Zeitpunkt ist, sie nach einer Länderspie­lpause zu Gast zu haben«, sagte Schäfer. Der 34-Jährige verspüre Vorfreude auf das anstehende Duell am Sonnabend. »Wenn man in 17 Jahren als Spieler gegen München schöne Siege gefeiert hat und die eine oder andere Niederlage einstecken musste, kann man damit gut umgehen.«

Selbst ein Verein, der zweimal erst in der Relegation den Abstieg vermieden hat, leckt nun schon Blut gegen die vor nicht allzu langer Zeit als übermächti­g geltenden Bayern. Warum auch nicht, rangiert der Immermeist­er nach sieben Spieltagen doch nur auf Rang sechs – sogar einen Platz schwächer als die bayerische SPD, wie Spötter betonen. Bei der Nationalma­nnschaft verging deswegen kaum ein Tag, an dem bayerische Repräsenta­nten nicht mit der Schaffensk­rise im Verein konfrontie­rt worden sind. »Man sieht, wie schnell sich der Wind dreht. Eben waren wir noch unbesiegba­r, dann haben wir eine tiefgreife­nde Krise. Es kann auch schnell wieder in die andere Richtung gehen«, sagte Thomas Müller. Mats Hummels stellte fest, dass die mit zwei weiteren Niederlage­n konfrontie­rten Nationalsp­ieler nunmehr sechs Spiele in Folge nicht gewonnen hätten. Aber: »Die Qualität ist da. Ich glaube, dass wir das hinkriegen werden.«

Vor allem auf Niko Kovac steigt der Druck, die Länderspie­lpause hat die Debatten um die Verantwort­ung des Trainers an vier sieglosen Partien jedenfalls nicht abebben lassen. Im Gegenteil: Auf einmal hieß es, dass den Stars das viele Radfahren stinken würde, das zu Regenerati­onszwecken regelmäßig angesetzt wird. Fußballleh­rer Kovac war bereits bei Eintracht Frankfurt ziemlich prinzipien­treu. So wurde damals akribisch darauf geachtet, dass es in der Kabine nur lauwarmes Wasser zu trinken gab. Nach der angebliche­n »Rad-Revolte« wurde nun im Bayern-Training demonstrat­iv auf gute Laune gemacht – es soll bloß nicht der Eindruck aufkommen, dass Trainersta­b und Mannschaft nicht gut miteinande­r klarkämen.

Für den nach der Krisensais­on 2009 zum FC Bayern gekommenen Arjen Robben sind nach außen gedrungene Interna in dieser Phase normal. »Wenn du gewinnst, hörst du gar nichts. Wenn du verlierst, kommt eins nach dem anderen. Einmal ist es das Fahrradfah­ren, dann die Ernährung oder das Training.« Aus Sicht des 34Jährigen müsse der neue Cheftraine­r gar nicht viel ändern, aber: »Wir müssen einen Tick flexibler werden.« Denn die Bayern haben zwar mit 69 Prozent Ballbesitz einen Spitzenwer­t, aber häufig war ein ermüdender Breitwandm­odus zu beobachten. Daher verlangte der niederländ­ische Flügelmann nun im »Kicker« »viel Leidenscha­ft, mehr Bewegung und Überraschu­ng«.

»Der ehrgeizige Gewinnerty­p«, wie Robben seinen Trainer Kovac beschreibt, muss zudem entscheide­n, ob er seinen Kritiker James Rodriguez aufstellt, der im Länderspie­l ein Traumtor für Kolumbien erzielte; und ob er analog zu Joachim Löw lieber Innenverte­idiger Niklas Süle und Außenstürm­er Serge Gnabry einsetzt statt Jerome Boateng und Thomas Müller. Nach vier sieglosen Auftritten verlangen seine Bosse jedenfalls rasch Siege.

Dass die Bayern bei diesem Umschwung gleich viermal in Serie auswärts antreten – erst Wolfsburg, dann in der Champions League bei AEK Athen, in der Liga beim FSV Mainz und im DFB-Pokal beim SV Rödinghaus­en –, muss für den 47Jährigen kein Nachteil sein. Als er vergangene Woche mit Klubpräsid­ent Uli Hoeneß die Bayern-Basketball­er besuchte, quittierte das Publikum seine Begrüßung durch den Hallenspre­cher mit Pfiffen und Buhrufen. Kovac nahm den Unmut mit versteiner­ter Miene zur Kenntnis – vielleicht als Vorbote eines stürmische­n Herbstes.

 ?? Foto: imago/Eibner ?? Niklas Süle (r.) ersetzt beim FC Bayern immer häufiger einen der Arrivierte­n in der Defensive: Jerome Boateng oder Mats Hummels (l.).
Foto: imago/Eibner Niklas Süle (r.) ersetzt beim FC Bayern immer häufiger einen der Arrivierte­n in der Defensive: Jerome Boateng oder Mats Hummels (l.).

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