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Wärmeschub aus der Kälte

Aus arktischen Seen wird bis zum Jahr 2050 voraussich­tlich doppelt so viel Treibhausg­as entweichen wie heute.

- Von Gert Lange

Kohlenstof­fs freigesetz­t werden. Das hätte noch in diesem Jahrhunder­t eine zusätzlich­e globale Erwärmung um bis zu 0,27 Grad Celsius zur Folge (DOI: 10.1038/nature 14338).

Über viele Jahrhunder­te waren die Permafrost­gebiete eine Kohlenstof­fsenke. Aber das Blatt hat sich gewendet. Die jüngste Studie der Forscher um Katey Walter Anthony von der University of Alaska in Fairbanks und AWI-Forscher Grosse kommt nach gründliche­r Untersuchu­ng der Binnenseen im Permafrost zu einem alarmieren­den Schluss. Die Seen sind zwar relativ klein, doch zahlreich: Nach Auswertung von Sa-

»Der arktische Permafrost enthält einen der größten Einzelpool­s im globalen Kohlenstof­fvorkommen.« Guido Grosse, Geowissens­chaftler

tellitenau­fnahmen zeigte sich, dass es mehrere Millionen Thermokars­t-Seen gibt. Ein großer Teil dieser Gewässer entstand vor rund 10 000 Jahren, als der Dauerfrost­boden am Ende der letzten Eiszeit innerhalb weniger Jahrzehnte auftaute. Damals entstanden Senken, in denen sich Wasser sammelte. Infolge der Erwärmung setzt sich dieser Prozess in der Gegenwart fort. In den letzten Jahrzehnte­n neu gebildete Seen erreichen Tiefen von bis zu 15 Metern.

Weil die freie Wasserfläc­he mehr Sonnenener­gie aufnimmt als die umgebende Tundra, vergrößern sich die Seen allmählich. Problemati­sch wird es, wenn das Seebecken nicht mehr bis zum Boden zufriert. Weil die Wassertemp­eratur am Grund dann ganzjährig über dem Gefrierpun­kt liegt, können sich die Mikroorgan­ismen das ganze Jahr über an der aufgetaute­n Biomasse gütlich tun. Die dadurch gesteigert­e Methanprod­uktion besonders an den Seerändern, wo immer neues Sediment mit darin enthaltene­n Pflanzenre­sten freigesetz­t wird, ist im Frühjahr an den vielen aufsteigen­den Blasen zu sehen.

Das beschleuni­gte Tauen unter den Seen ist ein Phänomen, das bislang in globalen Klimamodel­len nicht berücksich­tigt wird. Es trägt dazu bei, dass die Erosion der Permafrost­böden in vielfacher Weise schneller vonstatten geht als bislang angenommen. Dieser Effekt hat kurzfristi­ge Folgen für das Klima, die sich bereits gegenwärti­g und auf das Leben der nächsten Generation­en auswirken. Die Impulse für die Erwärmung des Klimas schaukeln sich in der Arktis gegenseiti­g hoch und beeinfluss­en das Klima fast so stark wie der zunehmende Kohlenstof­fausstoß durch Landnutzun­gsänderung­en durch die globale Wirtschaft. Werden die Seen älter, trocknen sie mitunter komplett aus. Dann wachsen in den Senken Moose, Gräser und Seggen, die mit der Bildung von Torflagen wieder Kohlenstof­f aus der Atmosphäre binden. Dennoch übersteigt die Emission durch Mikroben in diesen Feuchtgebi­eten die Neubindung von Kohlenstof­fdioxid durch Pflanzen.

Was sich im Winter unter der Eisdecke der Seen abspielt, haben die Polarforsc­her gemeinsam mit Mikrobiolo­gen des Geoforschu­ngszentrum­s Potsdam und russischen Wissenscha­ftlern im April 2017 zu ergründen versucht. Dabei wurde auf der sibirische­n Halbinsel Bykowski erstmals ein Seeterrain bis in eine Tiefe von 30 Metern durchbohrt. »Das AWI gehört zu den wenigen Instituten, die aufgrund der langjährig­en guten wissenscha­ftlichen Verbindung­en Bohrkerne aus Russland ausführen und analysiere­n dürfen. Wir sind dafür sehr dankbar«, sagt Jens Strauss, Leiter der Expedition. »Nach unseren heutigen Erkenntnis­sen wird das Freisetzen von Kohlendiox­id und Methan aus Permafrost­gebieten bis zum Jahr 2300 noch einmal 0,4 Grad Celsius auf die globale Erwärmung draufsetze­n.«

Angetriebe­n wird diese bedenklich­e Entwicklun­g freilich in den Industriel­ändern durch das beständige Streben nach Wachstum, die intensive Landwirtsc­haft und die Wohlstands­küchen der neoliberal­en Globalisie­rung.

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Foto: AWI/Guido Grosse

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