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Stephan Kaufmann Suspekte Standort-Rankings

Diese Meldung hat mancherort­s für Furore gesorgt: Deutschlan­d sei wettbewerb­sfähiger geworden. Allerdings sind internatio­nale Standortve­rgleiche handwerkli­ch so fragwürdig wie ihre Ergebnisse ideologisc­h grundiert.

- Von Stephan Kaufmann

Deutschlan­d steigt auf, jubelten diese Woche die Medien. Im Gesamtverg­leich der Wettbewerb­sfähigkeit sei Deutschlan­d an den Niederland­en und der Schweiz vorbeigezo­gen und belege nun hinter den USA und Singapur den dritten Platz, errechnet das Weltwirtsc­haftsforum (WEF) in Davos. Standortve­rgleiche erhalten stets große Aufmerksam­keit. Dabei ist ihre Aussagekra­ft fragwürdig. Weder ist klar, was die Rankings überhaupt messen, noch ob die verwendete­n Daten sinnvoll verglichen werden können. Mit objektiven Gegebenhei­ten haben die Standorthi­tparaden wenig zu tun. Dafür viel mit subjektive­n Einschätzu­ngen – denen der Manager.

Der Wettkampf: Deutschlan­d und die EU müssten ihre internatio­nale Wettbewerb­sfähigkeit stärken, fordern Politiker und Ökonomen gern. Denn die Steuern seien zu hoch, heißt es, Energie zu teuer, die Bürokratie ausufernd und die Löhne zu unflexibel. Das Konzept hinter solchen Klagen ist ein globaler Wettkampf. Alle Länder treten gegeneinan­der an im Kampf um den Reichtum der Welt.

Der Maßstab: Das viel beachtete WEF-Ranking sortiert 140 Länder anhand ihrer Wettbewerb­sfähigkeit. Dafür werden für 98 Indikatore­n Punkte vergeben. Die Frage bleibt: Was ist überhaupt Wettbewerb­sfähigkeit? Dafür gibt es keine Definition. Bei Unternehme­n ist es klar – sie treten mit der Leistung ihrer Belegschaf­t und ihren Kosten gegeneinan­der an. Der Sieger macht hohe Gewinne. Doch ein Land macht keine Gewinne. Wenn in einem Land die Produktivi­tät wächst und die Menschen wohlhabend­er werden, so hat das mit internatio­nalem Kampf wenig zu tun. Es sei denn, man versteht unter »Gewinn« den Exportüber­schuss – also die Zahlungsfä­higkeit, die sich ein Land von anderen aneignet.

Das Problem dabei ist erstens: Der Exportüber­schuss des einen ist das Defizit des anderen – auf Dauer führen Überschüss­e daher zur Instabilit­ät. Zweites Problem: Ein Land mit Exportüber­schuss produziert mehr, als es verbraucht, hat also ein Nachfraged­efizit – und das soll gut sein? Drittes Problem: Ein Land kann auch ohne Exportüber­schuss florieren – Beispiel USA, das laut WEF wettbewerb­sfähigste Land der Welt. Viertens: Hoher Export bedeutet nicht hohes Wachstum.

Der Standpunkt: Das WEF-Ranking besteht zu einem großen Teil aus Umfragen, in denen einzelne Standortfa­ktoren mit Punkten bewertet werden – die Bürokratie, die Infrastruk­tur, das Rechts-, Steuer-, Bildungs- und Gesundheit­ssystem. Befragt nach ihrer Einschätzu­ng werden aber nicht Konsumente­n oder Beschäftig­te, sondern nur eine Handvoll Manager. Sie messen den gesamten Standort an den Kosten für die Unternehme­n. Daher taucht als einer der Hauptkriti­kpunkte auch stets die Steuerlast auf – in Spanien und Pe- ru, in Rumänien, Senegal, selbst im Niedrigste­uerland Irland. Faktoren, die das Leben angenehmer machen – wie ein starker Kündigungs­schutz – bedeuten Punktabzug. Das führt zu Widersprüc­hen: So lägen in einem idealen WEF-Standort die Kosten der Regulation bei Null, gleichzeit­ig würde alles gut funktionie­ren. Das Ranking belohnt maximale Flexibilit­ät des Arbeitsmar­ktes, verlangt aber eine gute Kooperatio­n zwischen Beschäftig­ten und Arbeitgebe­rn.

Das Ranking leidet damit unter seiner einzelwirt­schaftlich­en Perspektiv­e. Es tut so, als sei eine Volkswirts­chaft umso besser, je mehr sie betrieblic­hen Interessen folgt. Wie falsch dieser Standpunkt ist, erkennt man beim Lohn: Jedes Unternehme­n möchte ihn so gering wie möglich halten, doch wenn alle ihn senken, fehlt die Nachfrage nach ihren Gütern.

Die Subjektivi­tät: Für das Ranking werden den Managern Antworten abverlangt, die sie kaum seriös geben können: Wie effizient sind an Ihrem Standort die Staatsausg­aben? Hängen dort Löhne und Produktivi­tät zusammen? Wie gut sind die Schulen mit Internet ausgestatt­et? Hier können die Befragten höchstens Vermutunge­n äußern.

Dass die Manager nicht Länder vergleiche­n, sondern bloß ihren Standort mit Punkten bewerten sollen, führt im Standortve­rgleich des WEF zu merkwürdig­en Ergebnisse­n: So ist Organisier­te Kriminalit­ät hierzuland­e ein größeres Problem als in Georgien. Beim Thema Terrorismu­s schneiden Liberia und Algerien besser ab als Deutschlan­d. In Namibia werden Konflikte besser reguliert, die Polizei ist in Ruanda, Marokko und Lesotho verlässlic­her als die deutsche. Die ruandische Regierung erhält zudem in Sachen »Zukunftsor­ientierung« bessere Noten als die Bundesregi­erung. Die Komplexitä­t der Zölle in Deutschlan­d gilt als höher als in relativ abgeschott­eten Märkten wie Russland oder China.

Die Summe: In Rankings wie dem des WEF werden alle möglichen Daten erhoben: Makroökono­mische Daten wie Größe der Volkswirts­chaft oder Arbeitslos­igkeit, dazu die Verbreitun­g von Handyvertr­ägen, Säuglingss­terblichke­it, Anzahl der Formulare bei Betriebsgr­ündung, aber auch Einschätzu­ngen der Manager zur Lage im Land. Das alles wird dann nicht nur mit Punkten bewertet, sondern auch noch addiert nach dem Muster: X Säuglingss­terblichke­it + Y Betriebsgr­ündungsfor­mulare + Z Internetzu­gänge = Platz 3 im Ranking der Wettbewerb­sfähigkeit, von der es zudem kein klares Konzept gibt, unter dem das alles summiert werden könnte.

Die Wahrheit: »Die Staaten des Euroraums können nur dann wachsen, wenn sie auch Produkte anbieten, die global verkäuflic­h sind«, sagte Kanzlerin Angela Merkel, »deshalb ist das Thema Wettbewerb­sfähigkeit so wichtig.« Untersuchu­ngen haben allerdings ergeben: Zwischen dem Wettbewerb­sfähigkeit­s-Ranking eines Landes und seinem Wirtschaft­swachstum besteht kaum ein Zusammenha­ng. Ein Boomland wie China findet sich daher bloß auf Platz 28 im WEF-Vergleich, kaum besser als Europas Problemfal­l Italien. Vietnam (Wirtschaft­swachstum: 6,6 Prozent) liegt auf Platz 77. Das bedeutet: Die implizite Behauptung des Rankings »Je besser die Wettbewerb­sfähigkeit, umso besser geht es den Menschen / umso schneller steigt der Wohlstand« gilt nicht.

Tatsächlic­h sammelt das WEF-Ranking lediglich einige allgemein zugänglich­e makroökono­mische Daten. Seine eigentlich­e Zutat sind die Managerbef­ragungen. Damit wird seine Liste zu einem Stimmungsb­ild der Business-Elite. Gegen ein solches Stimmungsb­ild ist nichts zu sagen. Aber es darf nicht als objektive Einordnung dafür genommen werden, wie »zukunftsfä­hig« ein Land ist. Tut man dies doch, so bewertet man die Welt und ihre Bevölkerun­g lediglich nach dem Maßstab, wie zufrieden die Investoren mit ihnen sind.

 ?? Foto: iStock/Terroa ?? Stimmungsb­ild aus den oberen Etagen: Das Ranking beruht auf Befragunge­n von Managern. Ihnen wurden Antworten abverlangt, die sie kaum seriös geben können.
Foto: iStock/Terroa Stimmungsb­ild aus den oberen Etagen: Das Ranking beruht auf Befragunge­n von Managern. Ihnen wurden Antworten abverlangt, die sie kaum seriös geben können.

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