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Jana Frielingha­us Kassen sollen Bluttests bei Schwangere­n bezahlen

Jana Frielingha­us plädiert für mehr Empathie für Eltern

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Im Kapitalism­us spielen (Selbst)Optimierun­g und Auslese in fast allen Lebensbere­ichen eine Rolle. Die Kontrolldi­chte, die Frauen während einer Schwangers­chaft mit den ständig sich erweiternd­en Möglichkei­ten der Pränataldi­agnostik erleben, passt ins Bild. Hier wird suggeriert, es gehe um mehr Sicherheit. In Wahrheit führt die Masse der Untersuchu­ngen zu mehr Sorge – und bestimmte Diagnosen nötigen zu Entscheidu­ngen. Etwa dann, wenn ein Test ergeben hat, dass das Kind eines mit Trisomie 21 sein wird. Möglichkei­ten, gerade diese genetische Abweichung festzustel­len, gibt es schon lange. Doch im Unterschie­d etwa zur Fruchtwass­erspiegelu­ng hat der seit 2012 mögliche Bluttest keine Nebenwirku­ngen und birgt kein Risiko für den Fötus. Insofern stellt er eine Verbesseru­ng dar. Wenn der Spitzenver­band der gesetzlich­en Krankenkas­sen ihn demnächst als Regelleist­ung anböte, worüber dort gerade beraten wird, so würde das gerade jenen den Zugang zum Test erleichter­n, für die die Entscheidu­ng für oder gegen die Fortsetzun­g der Schwangers­chaft besonders existenzie­ll ist. Weil sie zum Beispiel finanziell kaum über die Runden kommen. Der Test ist mit 200 bis 550 Euro nicht billig.

Ethisch bedenklich ist nicht die Freigabe als Kassenleis­tung, sondern die Tatsache, dass in einem reichen Land wie Deutschlan­d Eltern mit den aus Tests resultiere­nden schweren Entscheidu­ngen allein gelassen werden. Es gibt viel zu wenige Informatio­nen darüber, was nach der Geburt des Kindes auf Mütter und Väter zukommt. Vor allem bekommen Eltern von Kindern mit Handicap generell viel zu wenig Unterstütz­ung. Das ist ein Skandal, insbesonde­re angesichts dessen, dass mehr als 90 Prozent der Beeinträch­tigungen nicht pränatal diagnostiz­iert werden können.

Weil es an qualifizie­rten Betreuungs- und Bildungsan­geboten mangelt, müssen häufig vor allem Mütter von Kindern mit körperlich­er, geistiger oder psychische­r Beeinträch­tigung aus ihrer Erwerbstät­igkeit aussteigen. Sie bezahlen aufopferun­gsvolle Pflege vielfach mit Altersarmu­t. Solange Familien derart auf sich gestellt sind, solange es keine gesellscha­ftliche Verantwort­ungsüberna­hme und vermehrt Formen des kollektive­n Zusammenle­bens gibt, in denen sich mehrere Erwachsene gemeinsam um den Nachwuchs kümmern, sollten werdende Eltern das verfügbare Paket an Informatio­nen bekommen, um sich für oder gegen das »Weitertrag­en« des Ungeborene­n entscheide­n zu können – ohne finanziell­e Belastung. Der Druck auf sie ist ohnehin groß genug: Einerseits wird Menschen, die ihr Kind bekommen wollen, vorgeworfe­n, eine Last für die Gesellscha­ft zu sein. Auf der anderen Seite stehen jene, die Schwangers­chaftsabbr­üche in solchen Fällen als »Euthanasie« brandmarke­n. Ein solcher Vorwurf geht am Problem komplett vorbei.

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