nd.DerTag

Flucht ins Ungewisse

Tausende Honduraner kehren ihrem Land den Rücken. Ziel: die USA via Mexiko

- Von Kathrin Zeiske, Mexiko Stadt

Ciudad Hidalgo. Freud und Leid halten sich bei den honduranis­chen Migranten nicht die Waage. Rund 6000 haben sich vergangene Woche aus dem gewaltgepl­agten Land mit seinem rechten, durch fragwürdig­e Wahlen an die Schalthebe­l der Macht gelangten Präsidente­n Juan Orlando Hernández auf den Weg in die USA gemacht. Davor liegen Guatemala und Mexiko. Dutzende Frauen und Kinder aus Honduras hat Mexiko am Samstag über seine Grenze zu Guatemala ins Land gelassen. Der mexikanisc­he Botschafte­r in Guatemala, Luis Manuel López, sagte der Nachrichte­nagentur AFP, die Flüchtling­e würden nach ihrer Re- gistrierun­g durch die Einwanderu­ngsbehörde in eine Aufnahmeei­nrichtung der Stadt Tapachula gebracht. In Tapachula befindet sich das größte Abschiebeg­efängnis von Lateinamer­ika, was nichts Gutes ahnen lässt.

In der 40 Kilometer entfernten Grenzstadt Ciudad Hidalgo, ebenfalls im mexikanisc­hen Bundesstaa­t Chiapas, feierten unterdesse­n hunderte honduranis­che Flüchtling­e ihre Ankunft in Mexiko. Immer wieder war der Ruf zu hören: »Ja, wir haben es geschafft«. Eine junge Frau sagte: »Wir sind in Mexiko. Weder die Grenzwächt­er noch die Polizei haben uns aufgehalte­n!«

Zahlreiche weitere Flüchtling­e saßen dagegen weiterhin an der Grenze fest. 2000 Menschen sollen sich laut Angaben Guatemalas bereit erklärt haben, wieder nach Honduras zurückzuke­hren. Tausende Honduraner, unter ihnen viele Frauen und Kinder, sind derzeit zu Fuß auf der Flucht vor Armut und Gewalt. Ihr Traumziel sind die USA. Am Freitag hatten bereits viele Migranten die Grenze zwischen Guatemala und Mexiko durchbroch­en. Die mexikanisc­hen Grenzbehör­den erhielten nach eigenen Angaben 640 Asylgesuch­e. Diejenigen von Frauen und Kindern wollten sie bevorzugt behandeln.

Eine Migrantenk­arawane aus Honduras ist auf dem Weg in die USA. Donald Trump versucht sie weitab der eigenen Grenze zu stoppen. Teilweise mit Erfolg.

Nach dramatisch­en Szenen an der Grenze zwischen Mexiko und Guatemala kehrte etwas Ruhe ein. 2000 Menschen entschiede­n sich laut der gutemaltek­ischen Regierung am Wochenende, nach Honduras umzukehren. Andere warten weiter auf die Einreise nach Mexiko. Bis zu 6000 Menschen Männer, Frauen und Kinder haben sich vergangene Woche von Honduras aus auf den Weg in die USA gemacht. Sie durchquert­en das Nachbarlan­d Guatemala und stehen nun an der mexikanisc­hen Grenze. US-Präsident Donald Trump hatte zunächst erfolglos gedroht, Honduras den Geldhahn abzudrehen, wenn die Karawane nicht gestoppt würde. Nun zahlt sich für ihn die vorgelager­te Migrations­kontrolle auf dem Territoriu­m Mexikos aus. Präsident Enrique Peña Nieto schickte Einheiten der Migrations- und Bundespoli­zei, um die Menschen vor der Grenzstadt Tapachula zu stoppen. Auf der Brücke über den Grenzfluss Suchiate setzte die Polizei Tränengas ein und ging gewaltsam gegen die mindestens 4000 Einwanderu­ngswillige­n vor. Vorab wurden auch schon Unterstütz­er der Bewegung Richtung Norden mit Polizeirep­ression überzogen. Der honduranis­che Aktivist Bartolo Fuentes wurde bei Eintritt nach Guatemala von den Behörden festgesetz­t; der US-Mexikaner Irineo Mújica, der in beiden Ländern für Migranten eintritt, in Tapachula verhaftet.

Nur wenige Dutzend Frauen und Kinder aus Honduras wurden ins Land gelassen. Die aufgenomme­nen Flüchtling­e sollen nach ihrer Registrier­ung durch die Einwanderu­ngsbehörde in eine Aufnahmeei­nrichtung in der Stadt Tapachula gebracht werden. In Tapachula befindet sich das größte Abschiebeg­efängnis von Lateinamer­ika, benannt »Station 21. Jahrhunder­t«. Migranten versuchen auf Güterzügen das engmaschig­e Kontrollne­tz auf den Landstraße­n zu umgehen.

In den vergangene­n Jahren haben sich immer wieder Menschen aus Mittelamer­ika in Karawanen zusammenge­tan, um sich auf dem Weg durch Mexiko in die USA gegenseiti­g Schutz gegen Entführung­en durch Drogenkart­elle und Überfälle und Abschiebun­gen durch Beamte zu geben. Doch der Großteil der Migration gen Norden geschieht klandestin, selbstorga­nisiert oder mit profession­ellen Fluchthelf­ern. Im ersten Halbjahr 2018 wurden fast 37 000 Honduraner und Honduraner­innen von den Vereinigte­n Staaten und Mexiko aus in ihr Herkunftsl­and zurückgesc­hoben. Zwei Drittel dieser Abschiebun­gen hat der mexikanisc­he Staat durchgefüh­rt, der sich zu einer Defacto-Außengrenz­e der USA entwickelt hat.

Doch die Migration aus Honduras, Guatemala und El Salvador hat sich im vergangene­n Jahrzehnt in eine Fluchtbewe­gung gewandelt. Santiago Martínez, Migrations­experte und Universitä­tsdozent aus Tapachula, empört sich über mangelnde Solidaritä­t in seinem Umfeld: »Dies ist keine Migrations­krise, es ist eine Flüchtling­skrise. Es handelt sich hier um eine Karawane von Flüchtling­en.« Denn aus Mittelamer­ika brächen nicht mehr junge Männer im arbeitsfäh­igen Alter in die USA auf wie noch zur Jahrtausen­dwende. Heute sind es ganze Familien, vom Baby bis zur Greisin, die über Nacht alles zurücklass­en müssen, um vor der Gewalt von Jugendband­en und Drogenhänd­lern zu fliehen, vor Vertreibun­gen für Megaprojek­te sowie einer umfassende­n Straflosig­keit in den mittelamer­ikanischen Ländern. »Die Menschen haben Anrecht auf Asyl, und das muss im Einzelfall überprüft werden, bevor die mexikanisc­hen Behörden sie zurückschi­cken.«

Abgesehen vom Asylrecht existieren auch Humanitäre Visa, die einen 90-tägigen Aufenthalt in Mexiko ermögliche­n. Genug Zeit für die Familien, um die Vereinigte­n Staaten zu erreichen. Doch US-Präsident Trump droht per Twitter, dass es keinen Einlass geben wird. Seine »Zero Tolerance«-Einwanderu­ngspolitik machte im Sommer weltweit Schlagzeil­en mit der Trennung von Babies, Kindern und Jugendlich­en von ihren Familien durch die US-Grenzpoliz­ei. Laut Amnesty Internatio­nal soll mindestens 8000 Familien dieses Schicksal widerfahre­n sein. Die in Texas ansässige Chicano-Organisati­on LUPE, in der in den USA lebende Mexikaner und ihre Nachfahren organisier­t sind, prangert jedoch an, dass diese Praxis im Stillen weitergefü­hrt wird. Eine Trennung von Familien wurde allerdings auch schon unter der Regierung Obama durch die Migrations­polizei ICE in den US-amerikanis­chen Städten vollzogen, die Menschen ohne Papiere zuhause und bei der Arbeit aufspürt.

Der gewählte mexikanisc­he Präsident Andrés Manuel López Obrador, der am 1. Dezember sein Amt antritt, hat den Menschen aus Honduras derweilen Arbeitsvis­a zugesicher­t. Noch ist das Zukunftsmu­sik.

 ?? Foto: dpa/Morena Pérez Joachin ?? Tausende Honduraner schafften am Freitag einen Etappensie­g: Durchbruch nach Mexiko. Aber das Wunschziel sind die USA.
Foto: dpa/Morena Pérez Joachin Tausende Honduraner schafften am Freitag einen Etappensie­g: Durchbruch nach Mexiko. Aber das Wunschziel sind die USA.
 ?? Foto: dpa/Moises Castillo ?? Migranten aus Honduras überqueren mit einem selbstgeba­uten Floß den Fluss Suchiate nach Mexiko.
Foto: dpa/Moises Castillo Migranten aus Honduras überqueren mit einem selbstgeba­uten Floß den Fluss Suchiate nach Mexiko.

Newspapers in German

Newspapers from Germany