Druck auf Riad im Fall Khashoggi
EU fordert umfassende Untersuchung zum Tod des saudischen Journalisten
Dubai. Nach dem Tod des saudi-arabischen Journalisten Jamal Khashoggi haben zahlreiche Staaten weitere Antworten verlangt. Die offizielle Mitteilung aus Riad, wonach Khashoggi im Konsulat des Königreichs in Istanbul bei einer Schlägerei zu Tode kam, stieß international auf Skepsis. Die Bundesregierung und die EU forderten »glaubwürdige« Erklärungen. Die vorliegenden Angaben zu den Abläufen seien »nicht ausreichend«, so Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesaußenminister Heiko Maas (SPD).
Maas forderte »eine geschlossene Antwort« der Staatengemeinschaft. »Mit Frankreich und Großbritannien, der EU und den G7Staaten sind wir in enger Abstimmung.« Auch US-Präsident Trump verlangte weitere Informationen. Er sei »nicht zufrieden, bis wir die Antwort haben«. Mit Verweis auf »eine Million US-Jobs« sprach sich Trump aber erneut dagegen aus, ein Milliarden-Rüstungsgeschäft mit Riad auf Eis zu legen. Es gebe andere Dinge, die getan werden könnten, dazu gehörten auch Sanktionen«.
Der im saudischen Konsulat in Istanbul zu Tode gekommene Jamal Kashoggi war nicht nur Journalist, sondern lange Zeit Teil des Systems in Saudi-Arabien.
»Es ist vorbei, gegen dieses Regime hat niemand eine Chance.« Das schreibt eine Person, die sich jahrelang für mehr Bürgerrechte, für mehr Freiheiten in Saudi-Arabien eingesetzt hat, per Email an den Autoren. Und weiter: »Dabei haben wir alle darauf vertraut, dass es Gesetze gibt, so brutal und so ungerecht sie auch sein mögen. Aber man konnte sich daran orientieren. Man konnte entscheiden, ob man ein bestimmtes Risiko eingehen möchte.«
Doch die Ereignisse rund um Jamal Khashoggi, sein Verschwinden, nachdem er Anfang Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten hatte, die um Wochen verspätete Erklärung der saudischen Regierung, der 59-Jährige sei »bei einem Faustkampf« ums Leben gekommen, haben selbst diese kleine Berechenbarkeit beseitigt: »Viele haben den Eindruck, dass die Regierung ihnen die Lebensadern durchtrennen will, dass die Nachricht ist, dass man überall erreichbar ist, egal wo«, heißt es in der Mail. Denn zwar leben mittlerweile viele saudische Bürgerrechtler im Ausland. Doch früher oder später müssen alle ihre Ausweisdokumente verlängern, werden Dokumente benötigt, drohen erhebliche Nachteile im Aufenthaltsland, wenn die entsprechenden Unterlagen nicht beigebracht werden können. Und erst zwei Wochen vor dem Verschwinden wurde die Vorschrift erlassen, dass dafür ab sofort eine persönliche Vorsprache erforderlich ist.
Khashoggi allerdings war mehr als ein Journalist und Kolumnist, der die Politik des saudischen Kronprinzen und De-facto-Alleinherrschers Mohammad bin Salman für die »Washington Post« und andere Zeitungen kritisch kommentierte. In den 80er Jahren war er zunächst Auslandskorrespondent unter anderem für die damals extrem anti-westliche »Saudi Gazette«, in den 90er Jahren wurde er Chefredakteur der regierungsnahen Zeitung »al Madina«. Mehrmals interviewte er in dieser Zeit Osama bin Laden. US-amerikanischen Medienberichten zufolge lernte er in dieser Zeit auch Turki ibn Faisal kennen, seit 1977 Chef des saudischen Geheimdienstes. Darüber hinaus baute er im Laufe der Zeit auch enge Kontakte zum türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan auf.
Jahrelang zählte Khashoggi danach zum engsten Kreis rund um Turki ibn Faisal, der kurz vor den An-
In Saudi-Arabien herrscht in den sozialen Medien Schockstarre nach dem Tod des saudi-schen Journalisten Jamal Khashoggi. Zahlreiche Staaten, darunter Deutschland, verlangen weitere Antworten von Riad.
»Es ist vorbei, gegen dieses Regime hat niemand eine Chance.« Email an Oliver Eberhardt
schlägen am 11. September 2001 von seinem Amt zurücktrat. Nach der Ernennung Turki ibn Faisals zum saudischen Botschafter in Washington im Juli 2005 wurde Khashoggi sein »Medienberater«, ein Amt, dessen Funktion unklar ist; die Botschaft in den USA hat eine eigene Presseabteilung. Viele saudische Aktivisten sehen in Khashoggi deshalb vor allem einen Geheimdienstler, begegneten ihm mit Misstrauen.
Gleichzeitig war Khashoggis Verhältnis zu den in Saudi-Arabien geltenden extrem orthodoxen Auslegungen des Islam, zur Politik des Königshauses stets durchwachsen. Zwei Mal wurde er zum Chefredakteur der Zeitung »al Watan« ernannt; zwei Mal musste er gehen: 2003 hatte er in einer Kolumne den Wahhabismus kritisiert; 2010 hatte er einen Text ver- öffentlicht, in dem der Einfluss ultrakonservativer Kleriker auf die saudische Politik kritisiert wurde. 2013 veröffentlichte er das Buch »Frühling der Araber – Zeit der Muslimbrüder«, in dem er die vor allem in Ägypten damals sehr starke Bewegung als »moderate Islamisten« bezeichnete und ihnen die Fähigkeit zuerkannte, »Vorreiter eines demokratischen Wandels« in der arabischen Welt sein zu können.
Nachdem Kronprinz Mohammad bin Salman ab 2015 wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen einleitete, unterstützte Khashoggi diese zunächst, wandte sich aber dann bereits kurze Zeit später verstärkt gegen den saudischen Militäreinsatz in Jemen und den Mangel an Bürgerrechten in Saudi-Arabien. Nachdem er dann im Sommer 2017, erneut we- gen kritischer Berichte, seine Stellung bei der Zeitung »al Hajat« verloren hatte, reiste er in die Vereinigten Staaten aus. Zwei Monate später wurde eine große Zahl an Mitgliedern der saudischen Königsfamilie und Geschäftsleuten wegen angeblicher Korruption inhaftiert.
Khashoggis Ansichten, ihr ständiger Wandel, sind etwas, das bei vielen saudischen Intellektuellen zu beobachten ist; die Suche nach dem politischen und gesellschaftlichen Modell für Saudi-Arabien war bisher in vollem Gange. Die Ereignisse rund um Khashoggi haben dieses Ringen um die Zukunft zu einem abrupten Stopp gebracht: In den sozialen Netzwerken ist es ruhig geworden, und in saudischen Medien ist nun wirklich nichts Kritisches mehr zu finden.