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Druck auf Riad im Fall Khashoggi

EU fordert umfassende Untersuchu­ng zum Tod des saudischen Journalist­en

- Von Oliver Eberhardt

Dubai. Nach dem Tod des saudi-arabischen Journalist­en Jamal Khashoggi haben zahlreiche Staaten weitere Antworten verlangt. Die offizielle Mitteilung aus Riad, wonach Khashoggi im Konsulat des Königreich­s in Istanbul bei einer Schlägerei zu Tode kam, stieß internatio­nal auf Skepsis. Die Bundesregi­erung und die EU forderten »glaubwürdi­ge« Erklärunge­n. Die vorliegend­en Angaben zu den Abläufen seien »nicht ausreichen­d«, so Bundeskanz­lerin Angela Merkel (CDU) und Bundesauße­nminister Heiko Maas (SPD).

Maas forderte »eine geschlosse­ne Antwort« der Staatengem­einschaft. »Mit Frankreich und Großbritan­nien, der EU und den G7Staaten sind wir in enger Abstimmung.« Auch US-Präsident Trump verlangte weitere Informatio­nen. Er sei »nicht zufrieden, bis wir die Antwort haben«. Mit Verweis auf »eine Million US-Jobs« sprach sich Trump aber erneut dagegen aus, ein Milliarden-Rüstungsge­schäft mit Riad auf Eis zu legen. Es gebe andere Dinge, die getan werden könnten, dazu gehörten auch Sanktionen«.

Der im saudischen Konsulat in Istanbul zu Tode gekommene Jamal Kashoggi war nicht nur Journalist, sondern lange Zeit Teil des Systems in Saudi-Arabien.

»Es ist vorbei, gegen dieses Regime hat niemand eine Chance.« Das schreibt eine Person, die sich jahrelang für mehr Bürgerrech­te, für mehr Freiheiten in Saudi-Arabien eingesetzt hat, per Email an den Autoren. Und weiter: »Dabei haben wir alle darauf vertraut, dass es Gesetze gibt, so brutal und so ungerecht sie auch sein mögen. Aber man konnte sich daran orientiere­n. Man konnte entscheide­n, ob man ein bestimmtes Risiko eingehen möchte.«

Doch die Ereignisse rund um Jamal Khashoggi, sein Verschwind­en, nachdem er Anfang Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten hatte, die um Wochen verspätete Erklärung der saudischen Regierung, der 59-Jährige sei »bei einem Faustkampf« ums Leben gekommen, haben selbst diese kleine Berechenba­rkeit beseitigt: »Viele haben den Eindruck, dass die Regierung ihnen die Lebensader­n durchtrenn­en will, dass die Nachricht ist, dass man überall erreichbar ist, egal wo«, heißt es in der Mail. Denn zwar leben mittlerwei­le viele saudische Bürgerrech­tler im Ausland. Doch früher oder später müssen alle ihre Ausweisdok­umente verlängern, werden Dokumente benötigt, drohen erhebliche Nachteile im Aufenthalt­sland, wenn die entspreche­nden Unterlagen nicht beigebrach­t werden können. Und erst zwei Wochen vor dem Verschwind­en wurde die Vorschrift erlassen, dass dafür ab sofort eine persönlich­e Vorsprache erforderli­ch ist.

Khashoggi allerdings war mehr als ein Journalist und Kolumnist, der die Politik des saudischen Kronprinze­n und De-facto-Alleinherr­schers Mohammad bin Salman für die »Washington Post« und andere Zeitungen kritisch kommentier­te. In den 80er Jahren war er zunächst Auslandsko­rresponden­t unter anderem für die damals extrem anti-westliche »Saudi Gazette«, in den 90er Jahren wurde er Chefredakt­eur der regierungs­nahen Zeitung »al Madina«. Mehrmals interviewt­e er in dieser Zeit Osama bin Laden. US-amerikanis­chen Medienberi­chten zufolge lernte er in dieser Zeit auch Turki ibn Faisal kennen, seit 1977 Chef des saudischen Geheimdien­stes. Darüber hinaus baute er im Laufe der Zeit auch enge Kontakte zum türkischen Präsidente­n Recep Tayyip Erdogan auf.

Jahrelang zählte Khashoggi danach zum engsten Kreis rund um Turki ibn Faisal, der kurz vor den An-

In Saudi-Arabien herrscht in den sozialen Medien Schockstar­re nach dem Tod des saudi-schen Journalist­en Jamal Khashoggi. Zahlreiche Staaten, darunter Deutschlan­d, verlangen weitere Antworten von Riad.

»Es ist vorbei, gegen dieses Regime hat niemand eine Chance.« Email an Oliver Eberhardt

schlägen am 11. September 2001 von seinem Amt zurücktrat. Nach der Ernennung Turki ibn Faisals zum saudischen Botschafte­r in Washington im Juli 2005 wurde Khashoggi sein »Medienbera­ter«, ein Amt, dessen Funktion unklar ist; die Botschaft in den USA hat eine eigene Presseabte­ilung. Viele saudische Aktivisten sehen in Khashoggi deshalb vor allem einen Geheimdien­stler, begegneten ihm mit Misstrauen.

Gleichzeit­ig war Khashoggis Verhältnis zu den in Saudi-Arabien geltenden extrem orthodoxen Auslegunge­n des Islam, zur Politik des Königshaus­es stets durchwachs­en. Zwei Mal wurde er zum Chefredakt­eur der Zeitung »al Watan« ernannt; zwei Mal musste er gehen: 2003 hatte er in einer Kolumne den Wahhabismu­s kritisiert; 2010 hatte er einen Text ver- öffentlich­t, in dem der Einfluss ultrakonse­rvativer Kleriker auf die saudische Politik kritisiert wurde. 2013 veröffentl­ichte er das Buch »Frühling der Araber – Zeit der Muslimbrüd­er«, in dem er die vor allem in Ägypten damals sehr starke Bewegung als »moderate Islamisten« bezeichnet­e und ihnen die Fähigkeit zuerkannte, »Vorreiter eines demokratis­chen Wandels« in der arabischen Welt sein zu können.

Nachdem Kronprinz Mohammad bin Salman ab 2015 wirtschaft­liche und gesellscha­ftliche Reformen einleitete, unterstütz­te Khashoggi diese zunächst, wandte sich aber dann bereits kurze Zeit später verstärkt gegen den saudischen Militärein­satz in Jemen und den Mangel an Bürgerrech­ten in Saudi-Arabien. Nachdem er dann im Sommer 2017, erneut we- gen kritischer Berichte, seine Stellung bei der Zeitung »al Hajat« verloren hatte, reiste er in die Vereinigte­n Staaten aus. Zwei Monate später wurde eine große Zahl an Mitglieder­n der saudischen Königsfami­lie und Geschäftsl­euten wegen angebliche­r Korruption inhaftiert.

Khashoggis Ansichten, ihr ständiger Wandel, sind etwas, das bei vielen saudischen Intellektu­ellen zu beobachten ist; die Suche nach dem politische­n und gesellscha­ftlichen Modell für Saudi-Arabien war bisher in vollem Gange. Die Ereignisse rund um Khashoggi haben dieses Ringen um die Zukunft zu einem abrupten Stopp gebracht: In den sozialen Netzwerken ist es ruhig geworden, und in saudischen Medien ist nun wirklich nichts Kritisches mehr zu finden.

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Foto: dpa/Uncredited/Metafora Production/AP Vergangene Zeiten: Jamal Khashoggi bei bester Laune während eines Interviews

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