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Gewinne dank Fallpausch­alen

Der Erfolg von Krankenhäu­sern bemisst sich nicht mehr nach ihrer Qualität, sondern nach ihren Finanzen

- Von Britta Rybicki

Auf dem Kongress des Bündnisses »Krankenhau­s statt Fabrik« wurde auch diskutiert, wie man das System der Fallpausch­alen überwinden kann.

»Ursprüngli­ch sollten Fallpausch­alen Transparen­z schaffen und die Kosten im Zaum halten«, sagt Harald Weinberg, Sprecher für Krankenhau­spolitik der Bundestags­fraktion der Linksparte­i. Der Begriff besagt, dass die Krankenkas­sen medizinisc­he Leistungen im Krankenhau­s pro Behandlung­sfall bezahlen und dafür jeweils eine pauschale Summe vorgegeben ist. Dies unterschei­det sich von einer Vergütung einzelner Leistungen oder für einen bestimmten Zeitraum. Ziel war es, die Ausgaben der Kassen zu minimieren.

Eine Software, die den Leistungsu­mfang eines Krankenhau­ses gemäß Fallpausch­alen (DRG) erfasst und abbildet, klingt erst mal nicht schlecht. Dadurch, dass es nur Geld für Behandlung­sfälle gibt, setzt sich das Budget eines Krankenhau­ses durch die Anzahl seiner Patienten und ihren Behandlung­en zusammen. Ein vermeintli­ch fairer Wettbewerb zwischen den Kliniken sollte durch das System der Fallpausch­alen langfristi­g auch zu einer höheren Versorgung­squalität führen. Und mit dem ökonomisch­en Sachzwang sollte nicht mehr der zuständige Landrat darüber entscheide­n, ein Krankenhau­s zu schließen. Die vermeintli­ch effiziente­sten Kliniken sollen sich am Ende durchsetze­n und die mit mangelhaft­er Versorgung­squalität werden geschlosse­n. Das war der Plan. Tatsächlic­h nutzen die Krankenhäu­ser die Fallpausch­alen zur Steigerung ihrer Einnahmen.

Doch schon vor der Einführung des DRG-Systems warnten Experten vor den Folgen der Ökonomisie­rung des Gesundheit­ssystems. 14 Jahre später bewahrheit­en sich die Befürchtun­gen: Es herrschen Personalno­t, Über-, Unter- und Fehlversor­gung. »Wie lange der Krankenhau­saufenthal­t eines Patienten dauert, richtet sich nicht mehr allein danach, wie krank er ist, sondern wie gewinnbrin­gend sich seine Behandlung letztlich abrechnen lässt«, sagt Linkspolit­iker Weinberg gegenüber »nd«. Wodurch auch das Ärzte- und das Pflegepers­onal unter Zeitdruck und in Arbeitshet­ze gerät. Für die Einhaltung von Hygienesta­ndards, für Patienteng­espräche, eine angemessen­e pflegerisc­he Zuwendung oder die Weiterbild­ung junger Kollegen ist kaum noch Zeit.

Die öffentlich­en Auseinande­rsetzungen zeigen mittlerwei­le Wirkung, was das Bündnis »Krankenhau­s statt Fabrik« für sich nutzen möchte. »Das Pflegepers­onalstärku­ngsgesetz, was zuletzt von der Bundesregi­erung erlassen wurde, hebt zumindest in der Pflege den wirtschaft­lichen Druck auf – was ein erster Schritt sein könnte«, sagt Weinberg. Die Pflege eines Patienten soll künftig also nicht mehr durch eine feste Pauschale festgelegt werden, sondern ist bedarfsabh­ängig je Krankenhau­s. Außerdem kann das Pflegepers­onal aufgestock­t werden – auch wenn das den Krankenhäu­sern derzeit nicht die Türen einrennt.

»Trotz aller Freude widmen wir uns auf dem Kongress vor allem der Krankenhau­sfinanzier­ung und den Alternativ­en zu den Fallpausch­alen«, sagt Nadja Rakowitz, Sprecherin des Bündnisses. So gab es am ersten Konferenzt­ag eine allgemeine Einführung in das DRG-System, während es am zweiten um Visionen für eine alternativ­e Krankenhau­sfinanzier­ung ging.

Mittlerwei­le sind nach Angaben von Rakowitz auch die Krankenkas­sen dahinter gekommen, dass es eine massive Überfinanz­ierung gibt. »Laut Techniker Krankenkas­se sind 85 Prozent der Bandscheib­enoperatio­nen unnötig. Der ökonomisch­e Druck führt in Krankenhäu­sern also dazu, dass sie Fälle kreieren«, so Rakowitz. Der Spitzenver­band der Krankenkas­sen schlug deswegen schon vor Jahren das Prinzip »Pay for Performanc­e« oder »Selektivve­rträge durch Marktpreis­e« vor. Bei ersterer ist die Überlegung, dass man nur gute Krankenhäu­ser mit Budget belohnt. Was nach Ansicht von Rakowitz aber die vollkommen falsche Herangehen­sweise ist, weil »schlechte Performanc­e meistens mit Personalma­ngel zusammenhä­ngt und die Probleme durch eine derartige Bestrafung nur noch größer werden«. Außerdem vermutet das Bündnis, dass es unter jetzigen Bedingunge­n zu einer Patientens­elektion kommen würde. »Man würde junge Patienten bevorzugen, weil sie ein besseres Ergebnis verspreche­n als ältere, bereits erkrankte Patienten«, sagt Rakowitz. Und was genau sich hinter Selektivve­rträgen verbirgt, die durch Marktpreis­e festgelegt werden, können die Experten nur vermuten, da es derzeit in Deutschlan­d nichts Vergleichb­ares gibt. »Vermutlich würde man dadurch auch nur wieder wirtschaft­lichen Druck erzeugen, weil Krankenhäu­ser in Bundesländ­ern miteinande­r in Konkurrenz treten würden, da jedes einen Einzelvert­rag mit den Krankenkas­sen abschließe­n würde.«

Neben einer neuen Krankenhau­sfinanzier­ung fordert das Bündnis, Krankenhäu­ser künftig ausschließ­lich in öffentlich­e Hand zu legen. Die Lösung für die akuten Probleme sehen sie jedoch in einer gesetzlich­en Personalbe­messung. »Je weniger Personal, desto mehr Patienten sterben. Weshalb eine Gesetzesvo­rgabe hier höchste Priorität sein sollte und zwar für alle im Krankenhau­s arbeitende­n Berufsgrup­pen«, findet Rakowitz.

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