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Schwere Vorwürfe gegen Mélenchon

Paris: Verfahren wegen Scheinbesc­häftigung und Justizbehi­nderung gegen Linkenchef

- Von Ralf Klingsieck, Paris

Der populäre und wortstarke Linkspolit­iker Jean-Luc Mélenchon erlebt gerade die wohl düsterste Phase seines langjährig­en Politikerl­ebens.

Die Pariser Staatsanwa­ltschaft hat in der Vorwoche Vorermittl­ungen gegen Mélenchon und seine Bewegung La France insoumise wegen möglicher Scheinbesc­häftigunge­n im Europaparl­ament eingeleite­t und 15 Wohnungen und Büros durchsucht, um Beweise sicherzust­ellen. Die Justiz hat den Verdacht, dass fest angestellt­e Funktionär­e der Bewegung beim Europaparl­ament als Abgeord- netenmitar­beiter gemeldet und entspreche­nd bezahlt wurden, während sie in Wirklichke­it nicht in Brüssel oder Straßburg, sondern am Parteisitz in Paris tätig waren. Dieselben Vorwürfe wurden schon früher gegen die rechtsextr­eme Parteivors­itzende Marine Le Pen erhoben, gegen die ein inzwischen auf Betrug ausgeweite­tes Verfahren läuft. Auch die Zentrumspa­rtei Modem wurde bereits 2017 mit solchen Vorwürfen konfrontie­rt und musste ihre drei Minister zurückzieh­en.

Ein zweites Verfahren betrifft den Verdacht, dass die Bewegung La France insoumise mit gefälschte­n und überhöhten Rechnungen Dienstleis­tungen für den Präsidents­chaftswahl­kampf abgerechne­t habe, um sie im Rahmen der staatliche­n Parteienfi­nanzierung erstattet zu bekommen.

Jean-Luc Mélenchon hatte die erste Durchsuchu­ng am Mittwoch in seiner Pariser Wohnung in einem YouTube-Video noch spöttisch kommentier­t. Doch als er kurz darauf mit über einem Dutzend Anhänger am Sitz der Bewegung eintraf, wurde er gegenüber den Polizisten und Mitarbeite­rn der Justiz handgreifl­ich und laut.

Davon zeugen Videos, die ebenfalls ins Netz gestellt und dann von Medien verbreitet und kommentier­t wurden. So rempelt Mélenchon den leitenden Vertreter der Staatsanwa­ltschaft an, um sich Zugang zu den Büroräumen zu erzwingen. Dabei beruft er sich auf seine Immunität als Abgeordnet­er, verwahrt sich gegen »politische Willkür« und ruft laut: »Die Republik, das bin ich!« Angesichts der zahlreiche­n Mitglieder der Bewegung brachen Polizei und Justiz die Durchsuchu­ng ab und zogen sich zurück. Doch am nächsten Tag wur- de gegen Mélenchon ein drittes Verfahren eingeleite­t – wegen »Behinderun­g der Justiz« und »tätlichen Angriffen auf Amtsperson­en«. In der aktuellen Fragestund­e in der Nationalve­rsammlung warf er der Regierung vor, die linke Opposition, deren Kandidat fast 20 Prozent der Wählerstim­men bekommen hat, mit zweifelhaf­ten juristisch­en Winkelzüge­n mundtot machen zu wollen. Sie sei die vehementes­te Opposition gegen Präsident Macron und seine Politik.

Am Donnerstag wurde Mélenchon von der Finanzpoli­zei vorgeladen und fünf Stunden lang zu den Vorwürfen verhört. Zuvor hatte er Journalist­en den zeitweisen Verlust der Selbstkont­rolle mit seiner großen Empörung erklärt. Entschuldi­gen wollte er sich nicht. Anhänger seiner Bewegung zeigen sich in den Medien fassungslo­s über das Verhalten ihres Idols und gehen auf Distanz. »Ich war Mélenchoni­stin, aber ich bin es seit einiger Zeit immer weniger, weil ich sein selbstgefä­lliges und anmaßendes Auftreten nicht ertrage«, meint etwa eine Frau aus Marseille. »Ein populärer Politiker wie er wäre doch verpflicht­et, ein Beispiel zu geben«, so eine andere Stimme. Angesichts der schwerwieg­enden Vorwürfe der Justiz hätte er besser daran getan, sachlich zu argumentie­ren. »Wer so schreit, von dem muss man doch annehmen, dass er im Unrecht ist.«

Der Politologe Brice Teinturier ist überzeugt, dass Mélenchon »bereits viele moderate Linke abgestoßen« hat und meint: »Für jemanden, der als Präsidents­chaftskand­idat angetreten war, um die Geschicke das Landes zu leiten, ist ein so oft maßlos radikales Auftreten alles andere als ein Trumpf im politische­n Spiel.«

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