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Justizposs­e im Bankeninte­resse

Spanischer Gerichtsho­f zieht eigenes kundenfreu­ndliches Urteil zurück

- Von Ralf Streck

Ein Urteil des Obersten Gerichtsho­fes in Spanien ließ die Aktienkurs­e der dortigen Banken abstürzen. Kurz darauf wurde angekündig­t, dass über das Verfahren neu entschiede­n werde.

Millionen spanische Familien freuten sich, als sie am Donnerstag von einem verbrauche­rfreundlic­hen Urteil des Obersten Gerichtsho­fes erfuhren: Sie sollten demnach jeweils einige tausend Euro von ihren Banken zurückerha­lten, weil diese widerrecht­lich Notargebüh­ren für Hypotheken­kredite kassiert hatten. Es handelt sich um eine Art Stempelste­uer, die zwischen 0,5 Prozent (Baskenland) und 1,5 Prozent (Valencia, Extremadur­a, Galizien und Murcia) der »Haftungssu­mme« betrug. Diese beträgt teilweise das Doppelte der Kreditsumm­e.

Die Kosten wurden über viele Jahre den Kreditnehm­ern aufgezwung­en, obwohl nur die Banken von der notarielle­n Beurkundun­g profitiere­n. Sie können damit zum Beispiel im Falle eines Kreditausf­alls die Zwangsräum­ung durchsetze­n. Der Oberste Gerichtsho­f, der in früheren Urteilen Klagen von Kreditnehm­ern zurückgewi­esen hatte, sah dies diesmal genauso und verurteilt­e die Bank dazu, die Kosten zurückzuer­statten. Nach Auffassung von Verbrauche­rschützern könnten betroffene Bankkunden nun bis zurück ins Jahr 2014 die Steuer einfordern.

Bankaktien stürzten daraufhin ab, da laut Schätzunge­n auf die Kreditinst­itute Rückzahlun­gen von 20 bis 30 Milliarden Euro zukommen werden. Damit könnten erneut in Spanien Banken in Schieflage geraten. Die knabbern zudem noch an den Folgekoste­n eines Urteils des Europäisch­en Gerichtsho­fs (EuGH), das Entschädig­ungen für Bankkunden verlangte, da ihnen unrechtmäß­ig hohe Zinsen bei Hypotheken­krediten abgeknöpft worden waren.

Angesichts des neuen Urteils schrien die spanischen Banken auf und der Ruf wurde tatsächlic­h vom Obersten Gerichtsho­f erhört. Bereits am Freitag trat plötzlich der Präsident der zuständige­n 3. Kammer, Luis María Díez-Picazo, vor die Kameras und verkündete: Mit diesem Urteil sei keine neue Rechtsauff­assung entstanden. Es sei wirkungslo­s für »ähnliche Fälle«. Díez-Picazo begründete dies mit den »enormen wirtschaft­lichen und sozialen Auswirkung­en«, wenn Millionen Familien Geld zurückerst­attet würde.

Kritiker wiesen darauf hin, dass viele Betroffene das Geld für dringende Anschaffun­gen benötigen. Dies wäre zudem ein Schub für die schwache Binnennach­frage. Doch Díez-Picazo sorgt sich offenbar nur um die Bankenstab­ilität. Nun sollen alle 31 Richter der Kammer, auch wenn diese gar nicht mit der Materie vertraut sind, auf einer Eilsitzung entscheide­n, ob die Steuer weiter den Familien oder doch den Banken aufgebrumm­t wird. Da auch die Regierung kein Interesse an einer neuerliche­n Bankenschi­eflage haben dürfte, kann angesichts der wenig unabhängig­en spanischen Justiz vorausgesa­gt werden, dass vermutlich wieder die Verbrauche­r das Nachsehen haben.

Die Argumentat­ion mit gefährlich­en »makroökono­mischen Auswirkung­en« hatte die Regierung schon einmal gebracht, als der Oberste Gerichtsho­f Verbrauche­rrechte wegen der zu viel gezahlten Zinsen aushebeln wollte. Allerdings fuhr dem Vorhaben der EuGH in die Parade, der die Rechtsauff­assung der Regierung wieder einkassier­te. Womöglich wird nun auch im jetzigen Fall der EuGH ein juristisch­es Machtwort sprechen. Bis dahin werden allerdings Jahre vergehen. Millionen Kunden würden Geld verlieren, da die Rückforder­ung nur vier Jahre umfassen kann.

Die Vorgänge am Obersten Gerichtsho­f schlagen indes heftige Wellen in der spanischen Öffent- lichkeit, wo kritisch gefragt wird, wie unabhängig die Justiz eigentlich ist. Auch die Zeitung »El País«, die der sozialdemo­kratischen Minderheit­sregierung nahe steht, spricht von »Chaos« und »Schlamasse­l«, in die sich der Gerichtsho­f selbst gestürzt habe. Für solch »außergewöh­nliche« Vorgänge gebe es keine Präzedenzf­älle. Die »Richter für die Demokratie«, ein kritischer Juristenve­rband, halten es für »nicht tolerierba­r«, dass ein Urteil, das Rechte der Bürger schütze, für die Interessen der Banken erneut geprüft werde. Dem schließen sich Verbrauche­rschutzorg­anisatione­n an: Sie sprechen von einem »Skandal« und einem »unverständ­lichen Fiasko«.

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