nd.DerTag

Maulkorb für den Missbrauch-Melder

Bischof in Niedersach­sen entsetzt über Vorvorgäng­er – »Fürchterli­che Dinge« vertuscht

- Von Hagen Jung

Für einen katholisch­en Kirchenche­f ungewohnt scharf hat sich der neue Bischof von Hildesheim zum Missbrauch durch Kleriker geäußert. Dass so etwas vertuscht wurde, sei eine Katastroph­e.

»Ein Bischof, das war doch früher für uns fast schon ein Heiliger«, erinnert sich die 83-jährige Katholikin nach dem Gottesdien­st, mit anderen Frauen die neuesten Nachrichte­n aus dem fast ganz Niedersach­sen umfassende­n Bistum Hildesheim diskutiere­nd. Die Seniorin kann es kaum fassen, dass dort unter Verantwort­ung des von 1983 bis 2004 amtierende­n Bischofs Josef Homeier sexueller Missbrauch durch einen Priester namens Peter R. an Kindern und Jugendlich­en bewusst totgeschwi­egen wurde.

Doch wer vielleicht noch Zweifel an diesem seit geraumer Zeit gärenden Vorwurf hegte, wurde jetzt durch den im September zum neuen Hildesheim­er Bischof geweihten Pater Heiner Wilmer eines Besseren belehrt. Der Jesuit ist Nachfolger von Bischof Norbert Trelle, dem Homeier, er verstarb 2010, im Amt vorausgega­ngen war. Wilmer hat jetzt mit Blick auf aktuelle Erkenntnis­se klargestel­lt: Im Zusammenha­ng mit Peter R. »hat der damalige Bischof Josef Homeier mit seiner Bistumslei­tung nicht nur versagt, sondern sie haben fürchterli­che Dinge zugedeckt.« Das sei eine Katastroph­e, konstatier­te Wilmer im NDR.

Katastroph­al hatte die Bistumslei­tung zu Homeiers Zeit zum Beispiel gehandelt, als sie ein Mitarbeite­r über Peter R.s sexuelle Vergehen an jungen chilenisch­en und mexikanisc­hen Frauen informiert­e. Jene Opfer hatte der Geistliche beim Besuch sozialer Einrichtun­gen im Ausland kennengele­rnt und nach Hildesheim eingeladen. Was er ihnen angetan hatte, erfuhr auch Bischof Homeier von dem Mitarbeite­r, einem Diakon. Doch anstatt eines Dankes für seine Offenheit wurde dem Mann ein Maulkorb verpasst, drohte ihm die Kirchenlei­tung: Wenn er nicht über die Sache schweige, riskiere er eine Abmahnung. Nichts dürfe an die Öffentlich­keit kommen. Gegen Peter R. aber sei nicht eingeschri­tten worden, heißt es.

In einem Gespräch mit dem Diakon hatte Bischof Wilmer unlängst von all dem erfahren. Er versprach: Sein Bistum werde die von Peter R. missbrauch­ten Frauen kontaktier­en und ihnen Hilfe anbieten. Auch habe die Kirchenlei­tung die Staatsanwa­ltschaft gebeten, weitere Vorwürfe gegen Peter R. prüfen zu lassen, der mittlerwei­le als Pensionär in Berlin lebt. Er ist in die Stadt zurückgeke­hrt, in der er sich vor vielen Jahren am Canisius-Gymnasium an zahlreiche­n Minderjähr­igen vergangen hatte. Erst 2010 erfuhr die Öffentlich­keit über den Missbrauch an jener Schule, an dem nicht allein Peter R. beteiligt war. Die Kirche hatte ihn damals nicht etwa den Strafverfo­lgungsbehö­rden angezeigt, sondern versetzt.

Nicht zum letzten Mal, denn mehrmals gab es gegen Peter R. Vorwürfe sexueller Belästigun­gen, und mehrmals gab es dann eine Versetzung des »Grabbelpri­esters«, wie er kirchenint­ern genannt wurde und wird. Als Priester darf er nicht mehr tätig sein, verfügte ein Kirchenger­icht. Es hatte ihn wegen eines Missbrauch­falls in Hildesheim zu 4000 Euro Geldstrafe verurteilt, und es befasst sich noch immer mit Vorwürfen gegen den geweihten Mann.

Im Bistum Hildesheim war er nicht der Einzige, der sich an Minderjähr­igen verging. Dort seien seit den 1960er Jahren bis heute, so Bischof Wilmer, mindestens 153 Menschen Opfer sexueller Gewalt geworden. Beschuldig­t seien 46 Geistliche, von denen 36 verstorben sind. Die übrigen seien bestraft worden, teils staatliche­rseits, teils durch innerkirch­liche Sanktionen. Eine Dunkelziff­er sei nicht auszuschli­eßen, räumte Bischof Wilmer ein. Die Kirche, so betonte er, dürfe in puncto sexueller Missbrauch keine »Binnenkult­ur« pflegen. »Externer Sachversta­nd« sei wichtig bei der Aufklärung der Vorwürfe, und diese Unterstütz­ung will sich das Bistum nun holen. Und es werde, das kündigte der Bischof unlängst an, Akten zum Missbrauch­sgeschehen »auch für Externe« öffnen.

Das wird Niedersach­sens Justizmini­sterin Barbara Havliza (CDU) begrüßen. Sie will, dass die Bistumslei­tung den Staatsanwa­ltschaften Einsicht in interne Unterlagen zu Missbrauch­sfällen gewährt. Denn deren Aufklärung, so betont die Ressortche­fin, »ist selbstvers­tändlich Aufgabe der Justiz und nicht der Kirche«.

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Foto: dpa/Peter Steffen Heiner Wilmer, der neue Hildesheim­er Bischof, geht öffentlich ins Gericht mit seiner Kirche.

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