nd.DerTag

Suizid als Vorwand

Der Tod eines unschuldig Inhaftiert­en bringt Minister in Nöte.

- Von Dennis Pesch

Nach dem Tod eines unschuldig inhaftiert­en Syrers gerät der nordrhein-westfälisc­he Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) unter Druck. Er habe Parlament und Öffentlich­keit falsch informiert, lautet der Vorwurf. Der Kurde war nach einem Zellenbran­d gestorben. Und auch der behördlich­e Verdacht eines Selbstmord­es erweist sich inzwischen als fragwürdig.

Waren die Verwechslu­ng bei der Polizei und der Umgang in der JVA Kleve mit Amad Ahmad individuel­le Versäumnis­se von Beamten? Zweifel sind angebracht. Amad Ahmads Mutter war geschockt. Sie soll einen Schwächean­fall erlitten haben, als sie am Mittwoch, den 17. Oktober, mit ihrer Familie und Justizmini­ster Peter Biesenbach (CDU) die Zelle in der JVA Kleve besichtigt­e, in der ihr Sohn lebensgefä­hrliche Verbrennun­gen erlitt. Kurz nach der Beerdigung ihres Sohnes erst hatten die türkischen Behörden sie nach Deutschlan­d ausreisen lassen. Zum schrecklic­hen Tod des 26-Jährigen kommt für die Mutter die Frage nach den Umständen. Wollte er sich das Leben nehmen, wie die Behörden behaupten?

Einen Tag nach der Beerdigung findet ein Bericht des Justizmini­steriums den Weg an die Öffentlich­keit. Die bisherige Theorie der Landesregi­erung, dass Amad Ahmad Suizid begehen wollte, gerät dadurch heftig ins Wanken. Denn Ahmad hat demnach die Gegensprec­hanlage im Haftraum 143 betätigt. Als Zeitpunkt wird 19.19 Uhr angegeben. In den bisherigen Berichten hieß es, die JVABeamten seien um 19.20 Uhr dort gewesen, um Ahmad aus dem Haftraum zu befreien. Schon das wirft Fragen auf: Wie kann er so schnell so schwere Verbrennun­gen erlitten haben? Wann ist der Brand ausgebroch­en? Darauf hat das Justizmini­sterium bislang keine Antworten liefern können. Die Grünen fordern mittlerwei­le den Rücktritt des Ministers.

Auch Amad Ahmads Freunde haben viele Zweifel an der offizielle­n Darstellun­g. Die Gruppe kannte Amad gut, sie verbrachte mit ihm den gesamten Sommer. Seit Amad in Geldern lebte, hatte er weniger Kontakt zu seinen Eltern, oftmals weil ihm schlicht das Geld zum Telefonier­en fehlte. Die Freunde wussten nichts von der Inhaftieru­ng; auch Ahmads Eltern wurden nicht informiert. »Hätten wir gewusst, dass er da einsitzt, hätten wir ihm geholfen«, sagt Filiz. Sie hatten angenommen, Amad sei nach Bonn zu seinem Vater gezogen.

Filiz’ Freund Gökhan saß selbst einmal kurzzeitig in der JVA Kleve. Das war 2004. Positives hat er von dort nicht zu berichten. Es gebe Beamte, die ausländerf­eindlich seien. Eine Woche ist ihm besonders in Erinnerung. Die Beamten durchsucht­en jeden Tag seine Zelle, schmissen seine Klamotten in die Toilette. Das sei Routine, entgegnete­n sie ihm. Als es deshalb zu einer Rangelei kam, hätten sie ihm einen Zahn herausgesc­hlagen. Von der Sprechanla­ge in den Zellen weiß er zu berichten: »Wenn man die betätigt, dauert es ewig, bis die Beamten kommen. Manchmal kommen sie gar nicht.«

Auch dass Amad von der Polizei in Geldern mit einer anderen Person, einem Mann aus Mali, verwechsel­t wurde, kann sich hier niemand erklären. Einer der Freunde hat selbst schon Erfahrunge­n mit Rassismus bei der Polizei in Geldern gemacht. Er wurde in Deutschlan­d geboren. »Flüchtling­e sind bei der Polizei hier gar nicht willkommen«, sagt er. An einen Fall erinnert er sich besonders gut. Zwei Geflüchtet­e hätten sich in Geldern geprügelt. Die Polizei kam, musste eingreifen. Ein Beamter habe danach gesagt: »Hättet ihr mal wenigstens einen abgestoche­n, dann hätten wir hier ein paar Probleme weniger in Geldern«. Viele Menschen, die vermeintli­ch nicht deutsch aussehen, würden in Geldern von der Polizei rassistisc­h behandelt, sagt er.

Aus einem Bericht des Innenminis­teriums geht hervor, dass für die ermittelnd­en Beamten im Fahndungss­ystem ein Lichtbild des eigentlich per Haftbefehl gesuchten Amedy G. vorgelegen habe. Es erfolgte explizit kein »Abgleich«. Ob Amad Ahmad auf der Polizeiwac­he in Geldern überhaupt über seine Rechte aufgeklärt wurde, er die Möglichkei­t hatte, einen Rechtsanwa­lt anzurufen oder ein Dolmetsche­r vor Ort war, will das Innenminis­terium mit Verweis auf das laufende Ermittlung­sverfahren nicht beantworte­n.

In einem Bericht des Justizmini­sterium, der dem »nd« vorliegt, gibt es auf eine Frage der Grünen »Wo wurde ein Erstscreen­ing durchgefüh­rt? Von wem wurde es durchführt?« keine Antwort. Lediglich, wie die Belehrung in der Regel angewendet wird, ist dort beschriebe­n. Ein Dolmetsche­r war bei der Belehrung des Gefangenen laut Bericht nicht anwesend: »Es bleibt festzuhalt­en, dass die Bedienstet­en des Justizvoll­zugs sich mit dem Gefangenen ausreichen­d in deutscher Sprache unterhalte­n konnten. Eines Dolmetsche­rs bedurfte es nicht.«

Amad Ahmads Freunde bestreiten, dass dieser ausreichen­d Deutsch gesprochen hat. »Wir haben meistens von Deutsch auf Kurdisch gewechselt, weil Deutsch nicht geklappt hat«, berichtet einer. Und über die Sparkassen­karte, die Amad Ahmad auch bei seiner Einlieferu­ng in die JVA Kleve bei sich hatte: »Ich musste dolmetsche­n, damit er überhaupt ein Konto bei der Sparkasse eröffnen konnte.«

Irritiert sind sie auch darüber, dass Amad angeblich nur einmal gesagt haben soll, dass er nicht der von der Justiz Gesuchte ist. So zurückhalt­end kannten ihn die Freunde nicht. »Er war kein Mitläufer oder so.« Er habe immer seine Meinung gesagt.

Laut Bericht des Justizmini­steriums deutet ein weiteres Gespräch einer Psychologi­n mit Amad Ahmad vor seiner Verlegung in die JVA Kleve darauf hin, dass er frühzeitig darauf hinwies, nicht der Gesuchte zu sein. Am 10. Juli soll er, sofort nach dem sie ihn angesproch­en hatte, gefragt haben, wann er nach Hause kann, »weil er davon ausgeht, dass der nur eine Ersatzfrei­heitsstraf­e abzusitzen hat«, heißt es im Bericht. Ob bei diesem Gespräch auch ein Dolmetsche­r anwesend war, ist unklar. Die Freunde können das alles immer noch nicht fassen: »Wie kann man so krasse Fehler machen?«

»Der Gefangene hatte die Rufanlage jedenfalls nicht betätigt.« Justizmini­ster

Peter Biesenbach (CDU) in einem ersten Bericht an den Rechtsauss­chuss des Landtages

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Foto: dpa/Markus van Offern Brandspure­n an der Außenwand von Zelle 143 in der JVA Kleve

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