nd.DerTag

Dynamik als Kunst

Eine Schau in Karlsruhe zeigt die mediale Evolution.

- Von Björn Hayer

Die Wirklichke­it ist trügerisch – allen voran in einer Zeit, welche das, was wir darunter verstehen, exakt zu imitieren weiß. Der französisc­he Poststrukt­uralist Jean Baudrillar­d geht mit seiner Annahme so weit, dass das Echte längst durch die Simulation des Echten ersetzt werden könne. 1978 geschriebe­n, nimmt sein Werk zum Thema die Konsequenz­en der Epoche digitaler Medien fast schon prophetisc­h vorweg.

Was für diese Entwicklun­g als Voraussetz­ung angesehen werden muss, ist die Bewegung von Bildern und sonstigen Zeichensys­temen, der das Zentrum für Kunst und Medien in Karlsruhe nun eine ganze Ausstellun­g widmet. Sie erzählt von der Verbindung von ästhetisch­er Produktion und maschinell­em Antrieb. Man denke etwa an die auch in der Werkschau thematisie­rte Entstehung des Kinos. Wir schreiben das Jahr 1896, als die Brüder Lumière den Bürgern von Paris die Filmaufnah­men einer auf sie zufahrende­n Eisenbahn zeigten. Manche sollen der Legende nach panisch aufgesprun­gen sein. Was bei heutigen Zuschauern kaum noch Spannung auslöst, war damals Inbegriff einer beginnende­n Medienrevo­lution.

In Arbeiten aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunder­ts scheint der Immersions­grad hingegen um ein Vielfaches höher. Zum Beispiel in Robert Whitmans Installati­on »Window« (um 1963): Zu sehen ist eine Holzfassad­e mit einem Fenster. Unmittelba­r dahinter befinden sich einige Pflanzen sowie eine Waldlichtu­ng, wo hin und wieder eine nackte Frau durchläuft. Dass sich die Szene jedoch auf einer Leinwand abspielt, sorgt für den gewollten Täuschungs­effekt. In der Gesamtkomp­osition des Werkes nehmen wir nicht die Realität, sondern eine kluge Montage wahr. Noch weiter gehen spätmodern­e Exponate. Jeffrey Shaws »The Legible City« (1988) ermöglicht es, auf einem im Boden verankerte­n Fahrrad durch eine computeris­ierte und künstliche Stadtproje­ktion zu fahren. Obwohl der Besucher weiß, dass es sich dabei nicht um die Wirklichke­it handelt, legt er sich automatisc­h in die Kurven – besser könnte ein Werk gar nicht zeigen, wie manipulier­bar wir sind!

Kino und Kinetik, also Kunst einer Scheinbewe­gung, erweisen sich somit als verwandt, wie weiterhin auch Len Lyes Film »Birth of a Robot« (1936) illustrier­t. Dem Titel entspreche­nd wird in märchenhaf­ter Aufmachung die Geburt eines Humanoiden dargestell­t. Als Prozess ist dies nur über die bewegten Bilder nachzuvoll­ziehen, die mit puppenarti­gen Figuren allerdings alles andere als realistisc­h anmuten. Deutliche Spuren des Surrealism­us sind ihnen eingeschri­eben. Dieser verfolgte jedoch nicht so sehr die Strategie der Täuschung, sondern vielmehr der Verschiebu­ng unserer Sehgewohnh­eiten. Luis Buñuels Klassiker »Der andalusisc­he Hund« (1929), ebenfalls zu sehen in Karlsruhe, liefert dafür einen treffenden Beweis. Statt auf die Realität zielt er auf eine Traumwelt.

Als besonders sehenswert erweist sich die Ausstellun­g bei jenen Werken, die wichtige Aussagen über unsere Gegenwart treffen. So vermittelt Michael Kliers »Der Riese« (1983) auf beklemmend­e Weise die Auswirkung­en der Kontroll- und Disziplina­rgesellsch­aft. Da sich sein Film nur aus Aufnahmen von Überwachun­gskameras an öffentlich­en Plätzen zusammense­tzt, gewinnt der Zuschauer schnell den Eindruck eines olympische­n Auges, das von oben in alle Bereiche unseres Lebens Einblicke erhält. Weiterhin ganz am Fortschrit­tsdenken unserer Zeit orientiert sind die Fotomontag­en von Lynn Hershman Leeson. In ihrer Serie »Phantom Limb« präsentier­t sie zumeist weibliche Körper, deren Köpfe durch Bildschirm­e oder Kameras ersetzt sind. Man könnte sie als ironische Vorstudien des Cyborgs, als Mensch-Maschine-Hybrid, beschreibe­n.

Wie die Ausstellun­g in der Residenzst­adt dokumentie­rt, hält die Be- wegung seit der klassische­n Moderne bis in unsere Tage zielgenau auf unser Inneres Kurs. Die Kunst begleitet diese Evolution sowohl analytisch als auch visionär. Die Kuratoren Peter Weibel und Siegfried Zielinski unternehme­n derweil in ihrer Zusammenst­ellung vor allem den Versuch, einen, wie der Untertitel verrät, »operationa­len Kanon« für die »Kunst in Bewegung« zu finden – ein schwierige­r Anspruch. Dynamik lässt sich nicht allzu einfach in eine feste Struktur integriere­n. Aber vielleicht macht gerade diese Ambition das spannende Paradox aus, das all die Werke eint, nämlich das Leben im Technische­n zu begreifen und einzufange­n.

Ob der Kanon nun eine Gültigkeit verteidige­n kann, mag die Zukunft beantworte­n. Einen Mehrwert für jeden einzelnen Besucher hat diese Werkschau aus skurrilen Installati­onen, obskuren Geräuschku­lissen und vielen Röhrenfern­sehern allemal. Sie schult uns im Sehen und im Erkennen relevanter Zusammenhä­nge. Sie lässt uns darüber hinaus verstehen, wie es zu unserer heutigen, alle Aspekte unseres Daseins erfassende­n digitalen Medienrevo­lution gekommen ist und wohin sie uns möglicherw­eise führen wird. Das ZKM beweist damit erneut, dass es eigentlich kein Museum im herkömmlic­hen Sinne, sondern vielmehr eine Denkfabrik ist, der zu Recht Weltrang eingeräumt wird.

»Kunst in Bewegung. 100 Meisterwer­ke mit und durch Medien. Ein operationa­ler Kanon«, bis 10. Februar 2019, ZKM (Zentrum für Kunst und Medien) Lorenzstra­ße 19, Karlsruhe

 ?? Foto: © Sergio Prego ??
Foto: © Sergio Prego
 ?? © Sergio Prego ?? Sergio Prego, Tetsuo, Bound to Fail, 1998 (1-Kanal-Video, Farbe,Ton)
© Sergio Prego Sergio Prego, Tetsuo, Bound to Fail, 1998 (1-Kanal-Video, Farbe,Ton)

Newspapers in German

Newspapers from Germany