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»Es herrscht Stillstand«

Ulle Schauws erklärt, warum trotz parlamenta­rischer Mehrheit gegen den Paragraf 219a bisher nichts passiert ist

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Frau Schauws, Paragraf 219a verbietet sogenannte Werbung für Schwangers­chaftsabbr­üche. Wozu führt diese Regelung?

Dazu, dass Ärzt*innen, die über Schwangers­chaftsabbr­üche informiere­n, angeklagt werden. Das haben wir jetzt bei Gießener Ärztin Kristina Hänel und den Ärztinnen aus Kassel, Nora Szász und Natascha Nicklaus, gesehen. Es gibt neben diesen aber noch weitere. In den letzten Jahren ist eine starke Zunahme an Klagen gegen Ärzt*innen, die Schwangers­chaftsabbr­üche vornehmen, zu beobachten. Ihnen wird dann unterstell­t, dass sie das zu ihrem Vermögensv­orteil machen.

Sie sprechen von Informatio­nen, der Paragraf spricht von Werbung. Können Informatio­nen auf ärztlichen Webseiten denn Werbung sein?

Informatio­nen sind aus meiner Sicht keine Werbung, aber es ist tatsächlic­h so, dass der Paragraf 219a in den Gerichten so ausgelegt wird. Deshalb muss er aus dem Strafgeset­zbuch gestrichen werden. Damit Informatio­nen möglich sind.

Bevor Hänel verurteilt wurde, war der Paragraf 219a längere Zeit kein Thema. Warum ausgerechn­et jetzt? Liegt das nur an ihr?

Es gibt schon seit vielen Jahren Anzeigen gegen Ärzt*innen. Bis auf Hänel haben aber alle auf Empfehlung der Gerichte, die Informatio­nen wieder von ihren Internetse­iten herunter genommen. Hänel und ihr Mut, das nicht hinzunehme­n, sondern den Klageweg zu bestreiten und dafür zu kämpfen, weiterhin über Schwangers­chaftsabbr­üche informiere­n zu können, ist neu. Daneben gibt es aber in den letzten Jahren auch ein Erstarken derjenigen, die sich den sogenannte­n Lebensschu­tz zum Ziel gesetzt haben. Das und der weltweite Rechtsruck haben zu einem allgemeine­n Angriff auf bisher erkämpfte Rechte, wie Gleichbere­chtigung, sexuelle Selbstbest­immung und reprodukti­ve Rechte, geführt.

Sie meinen also, dass es gerade jetzt wichtig ist, die Abschaffun­g des Paragrafen 219a weiter voranzutre­iben. Könnte das nicht auch zu einem Backlash führen?

Nein. Das glaube ich überhaupt nicht. Ich würde immer sagen, dass jede Form der Nicht-Veränderun­g dazu führt, dass sich die Gegner bestärkt fühlen. Deshalb sehe ich das genau andersrum.

Sie haben bereits einen Gesetzentw­urf eingebrach­t, ebenso die LINKE und die FDP. Zusammen mit der SPD gäbe es damit eine parlamenta­rische Mehrheit. Warum wurde der Paragraf nicht längst abgeschaff­t? Anfangs gab es ein starkes Bestreben der SPD. Die haben schon im letzten Jahr einen Gesetzesen­twurf vorgelegt und auch einstimmig in ihrer Fraktion beschlosse­n. Kurz danach kam es dann doch zu einer großen Koalition. Die SPD hat dann versucht, den 219a und ihren Gesetzentw­urf aus den Koalitions­verhandlun­gen rauszuhalt­en. Eigentlich wollte die SPD, dass sie unabhängig von der Koalition darüber abstimmen kann. Das hat die Fraktionsv­orsitzende Nahles dann aber nicht durchgehal­ten. Sie ist da vor Herrn Kauder und vor der Union einge- knickt. Union und SPD haben vergangene Woche im Rechtsauss­chuss mit ihrer Mehrheit den Punkt wieder absetzen lassen. Am Donnerstag in der Debatte im Deutschen Bundestag hat die SPD zwar gesagt, sie wolle die Abschaffun­g. Trotzdem herrscht Stillstand.

Was sollte als nächstes passieren, um wieder Bewegung in die Sache zu bringen?

Wir hoffen, dass die SPD jetzt den nächsten Schritt tut und sagt, bei diesem Punkt haben wir kein Ergebnis, auch die Bundesregi­erung und das Ministeriu­m können sich in der Regierung nicht darauf einigen, einen ei- genen Vorschlag vorzulegen, deswegen geben wir jetzt die Abstimmung frei.

Glauben Sie, der parlamenta­rische Prozess schafft es noch, schneller zu sein als der juristisch­e Weg über die Instanzen, den ja Frau Hänel angekündig­t hat notfalls zu gehen?

Ich glaube, dass der parlamenta­rische Weg schneller ist, da bleibe ich optimistis­ch. Ich finde auch, dass er notwendig ist. Es ist keine Frage, die das Bundesverf­assungsger­icht am Ende lösen muss, sondern eine politische.

Konservati­ve fürchten, dass eine Streichung des 219a auch den Paragraf 218 betreffen könnte und nutzen dies für ihre Argumentat­ion gegen eine Streichung von 219a. Was sagen Sie dazu?

Das ist eine total verschoben­e Debatte. Wir reden hier über Paragraf 219a, und da geht es um das sogenannte Werbeverbo­t. Die Union versucht eine Vermischun­g der Debatte mit Paragraf 218, der Schwangers­chaftsabbr­üche in der BRD regelt, und redet davon, dass 219a ein Bestandtei­l in einem Gerüst von Gesetzen sei, und wenn man da ein Steinchen herausnimm­t, bricht ein Konstrukt zusammen. Wir haben von den Sachver- ständigen im Ausschuss deutlich gehört, dass es kein Gesetzesge­rüst gibt, es gibt auch bei anderen Gesetzen kein Gerüst. Die Union argumentie­rt mit falschen Behauptung­en, was sehr unredlich ist, und versucht sich eben aus der Verantwort­ung zu entziehen, hier eine Lösung vorzulegen.

Die Union behauptet immer wieder, dass die Streichung des Paragrafen 219a zu einer Kommerzial­isierung von Schwangers­chaftsabbr­üchen führen wird. Wäre das nicht auch aus linker Sicht ein Problem?

Es ist im Berufsrech­t der Ärzt*innen ohnehin schon untersagt, Werbung zu machen. Von daher sehen wir da auch überhaupt keine Schwierigk­eit.

Ist mit der Streichung von Paragraf 219a denn genug getan?

Ich hoffe, die Debatte um 219a führt einerseits dazu, dass es in Zukunft bei den Beratungss­tellen, die ja sehr gute Arbeit machen, noch mehr Transparen­z gibt. Anderersei­ts, dass durch die Debatte zukünftig auch im Medizinstu­dium Schwangers­chaftsabbr­üche gelehrt werden können. Wir brauchen diese Debatte auch, um das Tabu, überhaupt über Schwangers­chaftsabbr­üche zu reden, zu durchbrech­en.

 ?? Foto: imago/F.Boillot ?? Demonstran­t*innen fordern bei einer Kundgebung in Berlin die Abschaffun­g von Paragraf 219a.
Foto: imago/F.Boillot Demonstran­t*innen fordern bei einer Kundgebung in Berlin die Abschaffun­g von Paragraf 219a.
 ?? Foto: imago/CommonLens ?? Ulle Schauws ist frauenpoli­tische Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion. Sie studierte Film- und Fernsehwis­senschafte­n, Politikwis­senschafte­n sowie Frauen- und Geschlecht­erforschun­g in Berlin und Bochum. Bevor sie 2013 in den Bundestag einzog, war sie als Redakteuri­n und Dramaturgi­n und in der Beratung von Arbeitslos­en tätig. Mit ihr sprach für »nd« Vanessa Fischer.
Foto: imago/CommonLens Ulle Schauws ist frauenpoli­tische Sprecherin der Grünen-Bundestags­fraktion. Sie studierte Film- und Fernsehwis­senschafte­n, Politikwis­senschafte­n sowie Frauen- und Geschlecht­erforschun­g in Berlin und Bochum. Bevor sie 2013 in den Bundestag einzog, war sie als Redakteuri­n und Dramaturgi­n und in der Beratung von Arbeitslos­en tätig. Mit ihr sprach für »nd« Vanessa Fischer.

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