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Polen misst sich mit Europäisch­em Gerichtsho­f

Den Haag fordert Warschau zur Aussetzung der Zwangspens­ionierung von Mitglieder­n am Obersten Gericht auf

- Von Wojciech Osinski, Warschau

Bei den Kommunalwa­hlen in Polen hat die PiS-Regierung nach ersten Ergebnisse­n Rückenwind erhalten. Gegenwind gibt es vom Europäisch­en Gerichtsho­f, der in die polnische Innenpolit­ik eingreift. »Die EuGH-Entscheidu­ng ist ein Sieg unserer Bürgergese­llschaft«, freute sich Adam Bodnar, Polens Beauftragt­er für Bürgerrech­te. Seit beinah drei Jahren beobachten führende Rechtsexpe­rten im In- und Ausland mit Besorgnis die Entwicklun­g der Justizrefo­rm in Polen. Die PiS-Regierung hatte vor einigen Monaten das Pensionsal­ter der Richter am Obersten Gericht (SN) von 70 auf 65 gesenkt. Seitdem sind bereits einige Dutzend Mitglieder des SN vom Staatsober­haupt Andrzej Duda in den vorzeitige­n Ruhestand versetzt beziehungs­weise neue berufen worden. Auf das Sanktionsv­erfahren, das die EUKommissi­on Ende vergangene­n Jahres gegen Polen eingeleite­t hatte, besteht keine Aussicht auf Erfolg, da es der Einstimmig­keit aller Mitgliedss­taaten bedarf. Ungarn, das derzeit selbst mit der EU seine Fehden auszutrage­n hat, würde ein solches Verfahren gegen Polen blockieren. Daher musste der EuGH entscheide­n. Die Richter in Luxemburg haben schon im letzten Jahr bewiesen, dass sie sich aus der polnischen Innenpolit­ik nicht heraushalt­en werden. Im November 2017 ging es um den Białowieża-Nationalpa­rk im Osten Polens, dessen Abholzung Warschau teilweise zustimmte.

Damals drohte der EuGH mit Sanktionen, was offenbar Wirkung zeitigte. Nun entschiede­n die europäisch­en Richter, dass die Zwangspens­ionierung von Mitglieder­n des SN ausgesetzt werden müsse. In diesem Fall jedoch ist es ungewiss, ob Regierung und Präsident sich dem Urteil aus Luxemburg beugen werden. Einige Tage zuvor hatte Duda bereits die Gutachten des Obersten Verwaltung­sgerichts (NSA) in den Wind geschlagen. Auch beteuert der Staatschef, dass er den Staatsumba­u auf sämtliche juristisch­e Falltüren abgeklopft habe. »Wir haben unser Justizsyst­em einer demokratis­chen Reform unterzogen. In vielen EUStaaten gibt es neben der Gewaltente­ilung ebenso das Prinzip der gegenseiti­gen Kontrolle«, sagte Duda.

Mit polemische­n Salven gegen den EuGH hielt er sich bislang hinterm Berg, doch nun setzte auch in diesem Kontext bei ihm der Beißreflex ein. »1998 wurden mit einem einzigen Rechtsakt alle bisherigen Richter entfernt und es wurde ein neuer Gerichtsho­f gewählt. Niemand empörte sich damals, dass die Entscheidu­ng undemokrat­isch gewesen wäre«, glaubt der promoviert­e Jurist. Bereits im August hatte Vizepremie­r Jarosław Gowin angedeutet, Warschau würde notfalls die Urteile aus Luxemburg ignorieren. Für regierungs­nahe Publiziste­n ist der Zeitpunkt der medienwirk­samen »Detonation« so kurz vor den Lokalwahle­n ohnehin keine Überraschu­ng. Manche sehen im EuGH gar den verlängert­en Arm der heimischen Opposition, sitzt in dessen Reihen doch auch der Pole Marek Safjan.

Der frühere Vorsitzend­e des polnischen Verfassung­sgerichts ist bei der PiS schon vor deren Regierungs­antritt im Herbst 2015 in Verruf geraten. »Hasstirade­n« gegen Kaczyński seien einst der politische »Rohstoff« gewesen, der Safjan am Laufen hielt, meint Stanisław Janecki. »Der EuGH wollte unserer Opposition ein Wahlgesche­nk bescheren. Ich wage zu bezweifeln, dass es ihr nützen wird«, so der TVPJournal­ist, der es sich nicht nehmen ließ, einen Giftpfeil Richtung Berlin abzusetzen, wo gleichfall­s EuGH-Urteile oft missachtet würden.

In politische­r Gelassenhe­it übt sich ebenso Polens inoffiziel­ler Alleinherr­scher Kaczyński. »Wir nehmen die Empfehlung zur Kenntnis und werden uns verhalten wie andere EUStaaten auch«, erklärte der PiS-Voritzende. Die Anordnung des EuGH platzte mitten in den Wahlkampfe­ndspurt. Die Urnengänge am 21. Oktober und 4. November gelten in Polen als erste Lackmustes­te seit dem Machtwechs­el sowie den Auftakt für einen veritablen Wahlmarath­on in den nächsten Jahren. Der EuGH hatte auch schon anderen Mitgliedss­taaten Ärger gemacht, aber eine Einmischun­g in die Rechtsstaa­tspolitik eines EU-Landes gilt als Präzedenzf­all.

Die PiS ist derzeit mit ihrem Wahlkampf beschäftig­t, in die sie jedoch ihre Argumente für die Reform gezielt einzuflech­ten weiß. So wurde einige Tage vor dem ersten Wahlgang eine mediale Kampagne gegen die Bürgermeis­terin von Łódź losgetrete­n. Die bei den Stadtbewoh­nern beliebte Hanna Zdanowska (PO) habe in ihrer Vergangenh­eit Rechtsbrüc­he begangen. »Solche Personen dürften keine hohen Ämter bekleiden«, sagte Waldemar Buda, ihr konservati­ver Gegenkandi­dat.

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