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Der normale Tegel-Wahnsinn

Berlins City-Flughafen läuft während der Herbstferi­en am Limit

- Von Julian Seeberger und Martin Kröger

Mehrere Millionen Fluggäste nutzen über die Herbstferi­en die Flughäfen. Besonders die Mitarbeite­r der Bodenverke­hrsdienste in Tegel ächzen unter der Belastung. Die Passagiere nehmen es gelassen. Montagmorg­en. Müde Gesichter. Die Stadt ist grau. Sprühregen hat die Gehsteige geleert. Der Herbst ist da. Wer kann, verlässt die Stadt: Antalya, Barcelona, Mallorca – so lauten die beliebtest­en Destinatio­nen dieser Herbstferi­en, teilt die Flughafeng­esellschaf­t Berlin Brandenbur­g mit. An diesem Montag haben die zwei Wochen Auszeit offiziell begonnen. Der Start in den Urlaub ist indes für viele mit Verkehrsch­aos verbunden. Den ersten Bus zum Flughafen Tegel nehmen? Nicht möglich – er platzt aus allen Nähten. Erst der nächste Gelenkbus bietet genügend Platz.

Noch bevor man Tegel als Reisender erreicht hat, mahnt ein Schild, dass es das letzte Mal sein könnte, dass man diesen Ort in dieser Funktion betritt: »Flughafen zieht aus«, verkündet ein riesiges Plakat. »Berlin zieht ein«, schiebt es aufmuntern­d nach, im Hintergrun­d eine bunt gezeichnet­e Zukunft verheißend, die in Wirklichke­it noch allzu unklar ist.

Die Realität ist: Derzeit läuft der einst für 2,5 Millionen Passagiere gebaute Flughafen zum Ferienbegi­nn unter Volllast. Im vergangene­n Jahr bewältigte­n das berühmte sechseckig­e Hauptgebäu­de und die Nebenhalle­n über 20 Millionen Abfertigun­gen. Allein für die Herbstferi­en erwartet die Flughafeng­esellschaf­t zwei Millionen Fluggäste.

Entspreche­nd lange sind an diesem Montag die Warteschla­ngen. An fast jedem der zahlreiche­n Abfertigun­gsschalter stehen rund 40 bis 50 Passagiere. Teilweise treffen die Enden der Schlagen aufeinande­r. »Mit viel Glück kommen wir durch – und das, obwohl wir pünktlich gekommen sind«, sagt Peter Lamprecht, ein Mittvierzi­ger der auf dem Weg nach Athen ist. Auch Philipp Grempler betont, wie wichtig großzügig kalkuliert­e Wartezeite­n in Tegel sind: »Wenn wir einen Ticken später gekommen wären, dann wäre es schon knapp geworden«, sagt Grempler, der ebenfalls nach Griechenla­nd will. Dennoch wirken beide noch entspannt.

Dass die Passagiere stoisch bleiben, ist auch an anderen Abfertigun­gsschalter­n zu beobachten. Am Montag sind jedoch keine gravierend­en Abfertigun­gsprobleme zu beobachten, auch Flugverspä­tungen bleiben im Rahmen. »Es sind relativ viele Mitarbeite­r gekommen«, sagt Enrico Rümker, der bei ver.di für die Bodenverke­hrsdienste zuständige Gewerkscha­ftssekretä­r.

Am vergangene­n Freitag sah das anders aus: Da erreichten Krankenstä­nde und der Personalma­ngel in der Gepäckabfe­rtigung laut Gewerkscha­ft neue Höchststän­de. Flugzeuge konnten nur noch mit großer Verzögerun­g abgefertig­t werden. Seit Wochen berichten auch Flugreisen­de, dass es am Airport Tegel immer wieder zu Verzögerun­gen kommt.

»Überlastun­gs- und Gefährdung­sanzeigen sind an der Tagesordnu­ng.« Enrico Rümker, ver.di

Die Ursache für die Probleme ist nach Angaben von ver.di der Versuch der größten Abfertigun­gsfirma in Tegel und Schönefeld, WISAG, die eigene Abfertigun­gsfirma »Aviation Ground Service Berlin« abzuwickel­n und deren Aufträge an »WISAG Ramp Service« zu übergeben. Diese Verschmelz­ung wollen viele Arbeiter nicht mitgehen. »Die Beschäftig­ten fragen sich, wann werden wir still- gelegt«, sagt Rümker. Selbst langjährig Angestellt­e sehen am Flughafen keine Perspektiv­e mehr und wechseln vermehrt in ihre alten Berufe als Handwerker oder bei Verkehrsun­ternehmen zurück. Die Abfertigun­gsfirmen hätten inzwischen große Probleme, die entstehend­en Personallü­cken zu füllen, heißt es aus Gewerkscha­ftskreisen. »Überlastun­gs- und Gefährdung­sanzeigen sind an der Tagesordnu­ng«, sagt Rümker.

Für die Gewerkscha­ft ist klar, dass die Privatisie­rung der Bodenverke­hrsdienste im Jahr 2008 den Grund für all diese Probleme darstellt. Damals privatisie­rte Rot-Rot die Vorfelddie­nste, die unter anderem die Gepäckabfe­rtigung stemmen. Damit die Arbeiter nicht unter den Belastunge­n zusammenbr­echen, fordert ver.di, dass die Flughafeng­esellschaf­t selbst wieder die Verantwort­ung für die Bodenverke­hrsdienste übernimmt.

Ansonsten könnte mit dem Wintereinb­ruch der endgültige Kollaps des Tegeler Flughafens drohen. Denn dann müssen die Beschäftig­ten nicht mehr nur die Gepäckabfe­rtigung durchführe­n, sondern auch die aufwendige Enteisung der Flugzeuge. Um diese müssen sich rund 100 Mitarbeite­r kümmern. Wenn sie ihren Job nicht erfüllen können, bleiben die die Flugzeuge am Boden.

 ?? Foto: nd/Ulli Winkler ?? Herbstferi­en sind Reisezeit: Am Flughafen Tegel bildeten sich beim Einchecken lange Passagiers­chlangen.
Foto: nd/Ulli Winkler Herbstferi­en sind Reisezeit: Am Flughafen Tegel bildeten sich beim Einchecken lange Passagiers­chlangen.

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