Der normale Tegel-Wahnsinn
Berlins City-Flughafen läuft während der Herbstferien am Limit
Mehrere Millionen Fluggäste nutzen über die Herbstferien die Flughäfen. Besonders die Mitarbeiter der Bodenverkehrsdienste in Tegel ächzen unter der Belastung. Die Passagiere nehmen es gelassen. Montagmorgen. Müde Gesichter. Die Stadt ist grau. Sprühregen hat die Gehsteige geleert. Der Herbst ist da. Wer kann, verlässt die Stadt: Antalya, Barcelona, Mallorca – so lauten die beliebtesten Destinationen dieser Herbstferien, teilt die Flughafengesellschaft Berlin Brandenburg mit. An diesem Montag haben die zwei Wochen Auszeit offiziell begonnen. Der Start in den Urlaub ist indes für viele mit Verkehrschaos verbunden. Den ersten Bus zum Flughafen Tegel nehmen? Nicht möglich – er platzt aus allen Nähten. Erst der nächste Gelenkbus bietet genügend Platz.
Noch bevor man Tegel als Reisender erreicht hat, mahnt ein Schild, dass es das letzte Mal sein könnte, dass man diesen Ort in dieser Funktion betritt: »Flughafen zieht aus«, verkündet ein riesiges Plakat. »Berlin zieht ein«, schiebt es aufmunternd nach, im Hintergrund eine bunt gezeichnete Zukunft verheißend, die in Wirklichkeit noch allzu unklar ist.
Die Realität ist: Derzeit läuft der einst für 2,5 Millionen Passagiere gebaute Flughafen zum Ferienbeginn unter Volllast. Im vergangenen Jahr bewältigten das berühmte sechseckige Hauptgebäude und die Nebenhallen über 20 Millionen Abfertigungen. Allein für die Herbstferien erwartet die Flughafengesellschaft zwei Millionen Fluggäste.
Entsprechend lange sind an diesem Montag die Warteschlangen. An fast jedem der zahlreichen Abfertigungsschalter stehen rund 40 bis 50 Passagiere. Teilweise treffen die Enden der Schlagen aufeinander. »Mit viel Glück kommen wir durch – und das, obwohl wir pünktlich gekommen sind«, sagt Peter Lamprecht, ein Mittvierziger der auf dem Weg nach Athen ist. Auch Philipp Grempler betont, wie wichtig großzügig kalkulierte Wartezeiten in Tegel sind: »Wenn wir einen Ticken später gekommen wären, dann wäre es schon knapp geworden«, sagt Grempler, der ebenfalls nach Griechenland will. Dennoch wirken beide noch entspannt.
Dass die Passagiere stoisch bleiben, ist auch an anderen Abfertigungsschaltern zu beobachten. Am Montag sind jedoch keine gravierenden Abfertigungsprobleme zu beobachten, auch Flugverspätungen bleiben im Rahmen. »Es sind relativ viele Mitarbeiter gekommen«, sagt Enrico Rümker, der bei ver.di für die Bodenverkehrsdienste zuständige Gewerkschaftssekretär.
Am vergangenen Freitag sah das anders aus: Da erreichten Krankenstände und der Personalmangel in der Gepäckabfertigung laut Gewerkschaft neue Höchststände. Flugzeuge konnten nur noch mit großer Verzögerung abgefertigt werden. Seit Wochen berichten auch Flugreisende, dass es am Airport Tegel immer wieder zu Verzögerungen kommt.
»Überlastungs- und Gefährdungsanzeigen sind an der Tagesordnung.« Enrico Rümker, ver.di
Die Ursache für die Probleme ist nach Angaben von ver.di der Versuch der größten Abfertigungsfirma in Tegel und Schönefeld, WISAG, die eigene Abfertigungsfirma »Aviation Ground Service Berlin« abzuwickeln und deren Aufträge an »WISAG Ramp Service« zu übergeben. Diese Verschmelzung wollen viele Arbeiter nicht mitgehen. »Die Beschäftigten fragen sich, wann werden wir still- gelegt«, sagt Rümker. Selbst langjährig Angestellte sehen am Flughafen keine Perspektive mehr und wechseln vermehrt in ihre alten Berufe als Handwerker oder bei Verkehrsunternehmen zurück. Die Abfertigungsfirmen hätten inzwischen große Probleme, die entstehenden Personallücken zu füllen, heißt es aus Gewerkschaftskreisen. »Überlastungs- und Gefährdungsanzeigen sind an der Tagesordnung«, sagt Rümker.
Für die Gewerkschaft ist klar, dass die Privatisierung der Bodenverkehrsdienste im Jahr 2008 den Grund für all diese Probleme darstellt. Damals privatisierte Rot-Rot die Vorfelddienste, die unter anderem die Gepäckabfertigung stemmen. Damit die Arbeiter nicht unter den Belastungen zusammenbrechen, fordert ver.di, dass die Flughafengesellschaft selbst wieder die Verantwortung für die Bodenverkehrsdienste übernimmt.
Ansonsten könnte mit dem Wintereinbruch der endgültige Kollaps des Tegeler Flughafens drohen. Denn dann müssen die Beschäftigten nicht mehr nur die Gepäckabfertigung durchführen, sondern auch die aufwendige Enteisung der Flugzeuge. Um diese müssen sich rund 100 Mitarbeiter kümmern. Wenn sie ihren Job nicht erfüllen können, bleiben die die Flugzeuge am Boden.