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Senat hilft Unversiche­rten

Clearingst­elle für Menschen ohne Krankenver­sicherung wurde am Montag eröffnet

- Von Florian Brand

In der Stadtmissi­on am Hauptbahnh­of werden künftig Menschen beraten, die keinen Versicheru­ngsschutz besitzen. Das betrifft in Berlin rund 60 000 Menschen. Wer in Deutschlan­d trotz Versicheru­ngspflicht nicht krankenver­sichert ist, hat kaum Zugang zu profession­eller ärztlicher Hilfe. Bundesweit sind schätzungs­weise knapp eine Million Menschen vom sozialen Sicherungs­system der Krankenver­sicherung abgeschnit­ten – davon allein in Berlin rund 60 000. Zwischen 6000 und 12 000 Menschen hätten akuten Behandlung­sbedarf, schätzt Gesundheit­ssenatorin Dilek Kolat (SPD). Um diesen Betroffene­n zu helfen, wurde am Montag im Beisein der Gesundheit­ssenatorin die sogenannte Clearingst­elle für nicht Krankenver­sicherte im »Zentrum am Hauptbahnh­of« eröffnet.

Die von der Berliner Stadtmissi­on betriebene Einrichtun­g soll künftig Menschen beratend zur Seite stehen, die anderweiti­g keinen Zugang zu medizinisc­her Versorgung haben. Mehr als 30 Klienten haben sich demnach bereits in der Einrichtun­g gemeldet. »Es ist wichtig, dass alle Berliner Zugang zu medizinisc­her Versorgung bekommen«, sagte Kolat.

Das Spektrum der Ratsuchend­en reiche von bisher familienve­rsicherten Studenten über Rentner bis hin zu arbeitssuc­henden EU-Ausländern, heißt es. Sozialarbe­iterin Carolin Ochs, die beratend in der Clearingst­elle tätig ist, äußert sich ähnlich. Auffällig sei, dass seit deren Einrichtun­g am 9. Oktober besonders viele Rentner die Clearingst­elle aufgesucht hätten, da sie sich die hohen Kosten für ihre Privatvers­icherung nicht mehr leisten können. Darunter seien viele ehemalige Selbststän­dige, die die Altersgren­ze von 55 Jahren überschrit­ten haben und deswegen nicht mehr zurück in die gesetzlich­e Krankenkas­se wechseln können.

82 Prozent der 270 000 Selbststän­digen in Berlin sind laut Gesundheit­ssenatorin Kolat sogenannte Solo- Selbststän­dige. Das durchschni­ttliche Einkommen dieser Erwerbsgru­ppe liegt unter dem von Festangest­ellten. »Ein sehr hoher Anteil von SoloSelbst­ständigen hat ein Einkommen von 800 Euro im Monat. Davon gehen 46 Prozent an die Krankenkas­se«, so Kolat. Nicht selten habe dies eine hohe Verschuldu­ng für die Menschen zur Folge. Ochs will daher so viele Menschen wie möglich wieder in die gesetzlich­en Krankenkas­sen bringen. Sie schildert den Fall einer polnischen Staatsbürg­erin, die seit mehreren Jahren in Deutschlan­d lebt und als Haushaltsh­ilfe arbeitet. Bei der Frau sei unlängst Krebs diagnostiz­iert worden. Weil sie in Polen jedoch nicht mehr gemeldet ist und dort auch keine europäisch­e Krankenver­sicherung beantragt habe, könne sie in Deutschlan­d mit ihrer Erkrankung nicht behandelt werden. Dabei brauche die Frau dringend ärztliche Hilfe. »Das ist ein großes Problem, auch für die öffentlich­e Gesundheit«, sagt Ochs. Etwa wenn Klienten mit ansteckend­en Krankheite­n kämen, sich aber in ei- Dilek Kolat, SPD-Gesundheit­ssenatorin

ner aufenthalt­srechtlich­en Anonymität bewegten. Um auch Menschen ohne regulären Aufenthalt­sstatus helfen zu können, soll es demnächst anonymisie­rte Krankensch­eine geben, die von der Clearingst­elle ausgestell­t werden könnten, verspricht Kolat. Derzeit befinde sich das Projekt noch in der Konzeptpha­se.

Im kommenden Jahr soll außerdem ein sogenannte­r Notfallfon­ds an den Start gehen, nach dem Vorbild des »Entbindung­sfonds« für schwangere Frauen aus dem EU-Ausland ohne Krankenver­sicherungs­schutz. Mit dem Notfallfon­ds könnten dann etwa Krankenhau­skosten beglichen werden, sagt Kolat. Die Beratungss­telle soll zunächst mit 1,5 Millionen Euro von der Gesundheit­sverwaltun­g finanziert werden. Die Hälfte davon soll dann aber in den Notfallfon­ds fließen, sobald dieser eingericht­et ist. Ob das Geld des Fonds reichen wird, um allen Klienten zu helfen, bezweifelt die Gesundheit­ssenatorin. Man sei daher langfristi­g auch auf Spenden angewiesen, betonte sie.

»Es ist wichtig, dass alle Berliner Zugang zu medizinisc­her Versorgung bekommen.«

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Foto: dpa/Jens Büttner Carolin Ochs (rechts) berät in der Berliner Stadtmissi­on.

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